Da stand er. Auf einer Werbebande. Anmutig wie eine Wikinger-Statue aus Bronze, die Arme ausgebreitet, der Blick entschlossen ins Publikum gerichtet. "Seht her, hier bin ich", vermittelte jene selbstbewusste Geste.
Soeben hatte Salzburg-Youngster Erling Braut Haaland im Duell mit Genk sein zweites Champions-League-Tor erzielt, eine knappe halbe Stunde nachdem er sein Treffer-Debüt in der Königsklasse feiern durfte. Noch vor der Pause schnürte der Norweger einen Dreierpack und stellte damit einen neuen Rekord auf.
Nie zuvor war es einem Debütanten in der Champions-League-Historie gelungen, in den ersten 45 Minuten drei Treffer beizusteuern, die bisherigen Bestmarkenhalter Wayne Rooney (2004 für Manchester United), Raul (1995 für Real Madrid) und Yakubu Aiyegbeni (2002 für Maccabi Haifa) benötigten für ihren jeweiligen Dreierpack allesamt zwei Hälften.
Bei Haalands Gala stand am Ende ein 6:2 zugunsten der Mozartstädter auf der Anzeigetafel - und der Norweger allerspätestens in den Notizblöcken sämtlicher Schwergewichte Europas. "Das war das Verrückteste, was ich in meinem Leben je erlebt habe", schwärmte er im Anschluss an das Schützenfest gegen den belgischen Meister und schob nach: "Oh, mein Gott! Ich habe Herzklopfen, seit ich das Spielfeld betreten habe - und ich habe dieses Gefühl immer noch in meinem Körper, das hatte ich noch nie."
Zwei Dreierpacks in Österreichs Beletage, der Ball als neue "Freundin"
Tatsächlich dürfte ihm das Gefühl, drei Tore in einem Spiel erzielt zu haben, nicht gänzlich unbekannt gewesen sein. In der österreichischen Bundesliga hatte Haaland bis dato in der laufenden Saison schon doppelt mit einem Hattrick für Furore gesorgt. Zunächst beim 5:2 gegen den Wolfsberger AC, wonach er sich den Spielball schnappte - so wie es eben nach einem Hattrick Usus ist - und das Kunstleder pathetisch als seine "neue Freundin" bezeichnete.
Drei Tage vor der denkwürdigen Partie gegen Genk ließ er auf nationaler Ebene seinen zweiten Dreierpack folgen und lieferte eine kuriose Begründung dafür, das Spielgerät diesmal nicht mitzunehmen. "Ich musste ihn jemand anderes geben, ich kann den Ball nicht betrügen", lautete seine kuriose Begründung mit Blick auf seine erste "Freundin". Er wisse aber, dass er "noch viele Freundinnen bekommen" werde.
Viele Experten sind sich sicher, dass Haaland Recht behält, seine Mitspieler attestieren dem physisch starken Angreifer ebenfalls eine große Zukunft. "Er ist phänomenal", erklärte Teamkollege Maximilian Wöber und schob nach: "Mit seiner Größe, so wendig zu sein und den Ball zu beherrschen. Es ist wirklich schwer, im Training gegen ihn zu spielen - du kannst ihn nur foulen. Wieder einmal hat er bewiesen, warum er definitiv einer der besten Stürmer der Welt werden wird."
Haalands Spielerstatistiken bei RB Salzburg 2019/20
Wettbewerb | Spiele | Tore | Torvorlagen |
Bundesliga | 9 | 11 | 5 |
Champions League | 2 | 4 | - |
ÖFB-Cup | 1 | 3 | - |
Gladbach-Trainer Rose prognostiziert Haaland "große Zukunft"
Auch Marco Rose, seit Sommer als Trainer bei Borussia Mönchengladbach angestellt, kennt den 19-Jährigen, der im Januar dieses Jahres von Molde FK zum österreichischen Dauermeister gewechselt war, aus gemeinsamen Salzburger Zeiten bestens. "Er ist extrem dynamisch und torgefährlich und im Moment geht einfach auch viel auf", verriet Rose im Gespräch mit dem kicker. "Er ist ein richtig guter Junge, der eine große Zukunft vor sich hat."
Eine verspätete Lobeshymne, hatte Haaland beim gebürtigen Leipziger doch einen schweren Stand. "Er war von Anfang an sehr fokussiert, hat aber auch ein paar Wochen gebraucht, um die Spielweise zu adaptieren", erklärte Rose. "Das erste halbe Jahr" in Österreich sei "nicht so einfach für ihn" gewesen.
Dass Haaland mittlerweile - aufgrund seiner Spielweise, vor allem aber wegen seiner skandinavischen Wurzeln - mit seinem Idol Zlatan Ibrahimovic verglichen wird, mutet überraschend an, wenn man sich mit der körperlichen Beschaffenheit Haalands vor nicht allzu langer Zeit auseinandersetzt.
Journalist Lars Sivertsen: Haaland? War "ein kleiner, dünner Junge"
Lars Sivertsen, norwegischer Journalist aus Bryne, sagte im kicker , Haaland sei zu seiner Zeit beim hiesigen Bryne FK, für den er als 15-Jähriger in der ersten Mannschaft debütierte, "ein kleiner, dünner Junge" gewesen. Doch binnen zwei Jahren schoss er in die Höhe, wuchs eigenen Angaben zufolge in 24 Monaten insgesamt 17 Zentimeter. Hieße also von 1,76 auf seine jetzigen, wuchtigen 1,93 Meter.
2017 wechselte Haaland aus Bryne zum Erstligisten Molde, bei dem damals noch der heutige ManUnited-Übungsleiter Ole Gunnar Solskjaer als Trainer fungierte. Ähnlich wie in Salzburg hatte der Offensivmann auch beim dreimaligen norwegischen Meister zu Beginn Startprobleme, ehe im Sommer 2018 seine große Stunde schlug.
Ausgerechnet gegen den ungeschlagenen Tabellenführer Brann Bergen, der damals mit der besten Defensive aufwartete (fünf Gegentore), glänzte Haaland als Vierfachtorschütze - innerhalb von 17 Minuten wohlgemerkt.
Haaland zu Juventus? "War geschmeichelt"
Insgesamt kam der Goalgetter für Molde 50-mal zum Einsatz (20 Tore), bevor es ihn trotz eines Angebots von Juventus Turin zu den Roten Bullen nach Salzburg zog. "Ich war geschmeichelt, dass Juventus interessiert war", wurde Haaland von der RB-Vereinsseite kurz nach seinem Wechsel zitiert. "Aber ich dachte, es sei zu früh, um dorthin zu gehen."
Eine Entscheidung, die die "Bestie", wie der Nationalspieler jüngst von der spanischen Marca tituliert wurde, nicht bereuen wird. In dieser Spielzeit stehen bei zwölf Pflichtspiel-Einsätzen 18 Tore zu Buche, sogar gegen den amtierenden Champions-League-Sieger FC Liverpool netzte er.
Kein Wunder, dass sich insbesondere die englische Presse derzeit mit Spekulationen um einen bevorstehenden Mega-Transfer Haalands überschlägt. Die Sun verpasste dem Juwel zuletzt ein Preisschild über 58 Millionen Euro, schrieb allerdings auch, dass Salzburg wohl nicht bereit ist, Haaland schon im Winter ziehen zu lassen.
Ein Umstand, der von RB-Sportchef Christoph Freund bestätigt wurde . Aufgrund der Tatsache, dass mit Solskjaer Landsmann und Mentor bei ManUnited das Zepter schwingt, werden die Red Devils immer wieder als potenzieller Abnehmer gehandelt.
Roy Keanes brutales Foul an Haalands Vater Alf-Inge
Und das, obwohl die Familie Haaland und den englischen Rekordmeister eine unschöne Geschichte verbindet. Erlings Vater Alf-Inge, der ebenfalls als Fußball-Profi sein Geld verdiente, auf der Insel für Nottingham Forrest, Leeds United sowie Manchester City auflief, erlangte am 21. April 2001 unfreiwillige Bekanntheit, als er im Stadtderby von United-Kapitän Roy Keane vorsätzlich, mit offener Sohle am Knie verletzt wurde.
Ein Racheakt, wie Keane später selbst in seiner Autobiografie gestand. Der Hintergrund: Im Sommer 1997 verhedderte sich der Ire im Duell mit Haaland im Rasen und zog sich einen Kreuzbandriss zu. Haaland hatte - über den sich windenden Keane gebeugt - eine Simulation des Raubeins gewittert.
"Ich hatte lange genug gewartet", schrieb Keane in besagter Biografie. "Ich habe ihm richtig einen verpasst. Das ist für dich, du Scheißkerl. Und steh nie wieder über mir und beschuldige mich, eine Verletzung vorzutäuschen." Alf-Inge Haaland sollte im Anschluss an die Revanche nie wieder ein Spiel über 90 Minuten absolvieren, nur ein Jahr nach dem Horrorfoul beendete der Mittelfeldspieler seine aktive Laufbahn im Alter von 29 Jahren.
Allzu nachtragend scheint Haaland senior gegenüber ManUnited aber nicht zu sein. Von TV2 auf einen möglichen Wechsel seines Sohnes ins Old Trafford angesprochen, erklärte er: "Es (ein Transfer zu Manchester United, Anm. d. Red.) wäre eine feine Sache. Es ist wichtig, seine Ansichten als Fan von seinem Job zu trennen. Ich bin da ganz entspannt. Ich denke, die meisten Spieler träumen von der Premier League. Es ist die Liga mit der meisten Aufmerksamkeit und es besteht kein Zweifel, dass die Liga für ihn attraktiv ist."
Haaland über Transfergerüchte: "Fucking langweilig"
Erling hingegen scheint die Diskussion um einen vorzeitigen Wechsel durchaus zu ermüden. "Es ist fucking langweilig. Ich bin mittlerweile gelangweilt. Auf einer Skala von 1 bis 10? 9,9!", wütete er bei football365.com. Dennoch ist klar, dass Salzburg lediglich als Sprungbrett für den talentierten Stürmer dient.
Dessen ist sich auch Solskjaer bewusst, der die Entwicklung seines Ex-Schützlings und den damit verbundenen Hype selbstverständlich verfolgt. "Es ist eine gute Erfahrung für ihn, im Mittelpunkt zu stehen", glaubt der einstige Bayern-Schreck. "Er verarbeitet das gut und behält einen kühlen Kopf. Er ist sehr gut darin, sich darauf zu fokussieren, was er auf dem Platz machen soll, anstatt darüber nachzudenken, wer auf der Tribüne sitzt und ihm zuschaut."
Schon am Mittwochabend werden wieder alle Augen auf Haaland gerichtet sein. Vielleicht steht er dann wieder da. Auf der Bande. Wie eine Statue, den Blick ins jubelnde Publikum. "Sehr her, hier bin ich!"