Kevin-Prince Boateng vom FC Barcelona im Interview: "Für Klopp würde ich sogar nach China wechseln"

Von Daniel Herzog
Boateng spielte bereits für Schalke und Dortmund.
© getty

Kevin-Prince Boateng ist ein Typ. Offen und ehrlich, authentisch, ungemütlich. "Typen, die laut werden oder anecken", sagt Boateng, "sind nicht mehr erwünscht. Die sind auch größtenteils ausgestorben".

Cookie-Einstellungen

Eine Stunde nimmt sich Boateng in Barcelona vor dem CL-Halbfinale gegen Liverpool (Mi., 21 Uhr LIVE auf DAZN) Zeit für ein ausführliches Interview mit SPOX und DAZN. Er ist gut drauf, lacht viel, spricht über seinen überraschenden Wechsel zu Barca und was er dabei als Erstes dachte, über den "unglaublichen" Lionel Messi, Ronaldinho oder Fallrückzieher als Libero in der F-Jugend.

Es entwickelt sich aber auch ein ernstes Gespräch. Eines über Fehler, Rassismus, das vorläufige Nationalmannschafts-Aus seines Halbbruders Jerome oder das Ziel, eine zweite Karriere als Spielerberater zu starten.

Das dreiteilige Boateng-Feature von Montag bis Mittwoch bei #DAZNbreakfast!

Kevin-Prince, Ihr Wechsel von Sassuolo zum FC Barcelona kam für die breite Masse ebenso überraschend wie plötzlich. Wie war es für Sie?

Boateng: Es ging auch für mich sehr schnell. Ich habe wohl einfach den besten Berater der Welt (lacht). Er hat mich eines Tages angerufen und gesagt: 'Du musst gegen Inter gut spielen, da schaut jemand zu.' Wer zuschaut, hat er mir erst nach dem Spiel verraten. Auch Roberto De Zerbi, mein Trainer bei Sassuolo, kam vor dem Spiel zu mir und sagte, ich müsse gut spielen, weil die Partie sehr wichtig sei. Ich hatte also Druck von allen Seiten. Aber unter Druck spiele ich am besten. Ich war der beste Mann auf dem Platz und im Anschluss kam mein Berater zu mir und sagte: 'Wir gehen nach Barcelona!'"

Was haben Sie in diesem Moment gedacht?

Boateng: Ich dachte, er meint Espanyol. Aber er hat sofort gesagt: 'Nein, die Richtigen.' Das war unglaublich. Ich habe es nicht glauben können, bis mich der Sportdirektor angerufen hat.

Kaum waren Sie in Barcelona, wurde bei Ihnen eingebrochen. Wie frustrierend ist das zum Start?

Boateng: Ich wurde im Vorfeld gewarnt, dass das hier häufiger passiert. Auch bei meinen Mitspielern wurde schon eingebrochen. Bei Gerard Pique sogar schon dreimal. Natürlich ist das nicht schön, man fühlt sich unsicher. Auch fußballerisch lief es zu Beginn noch nicht so, wie ich mir das vorgestellt habe. Da hinterfragt man sich schon, ob das der richtige Schritt war. Mittlerweile bin ich aber an einem Punkt angelangt, an dem ich alles positiv sehe. Ich mache mir nicht mehr so viele Gedanken wie am Anfang.

Sie haben schon angesprochen, dass der Beginn aus sportlicher Sicht holprig verlief. Wie geht man damit um?

Boateng: Es war von Anfang an klar, dass ich als Ersatzmann eingeplant werde. Ich soll einspringen, wenn beispielsweise Luis Suarez einmal müde ist. Zuletzt stand ich einige Male nicht im Kader, weil alle fit waren. Das verstehe ich.

kpb-messi
© getty

Boateng: "Messi ist so stark, dass man ihm folgen muss"

Geben Sie sich mit dieser Situation zufrieden?

Boateng: Natürlich nicht. Wenn ich mich damit zufriedengeben würde, könnte ich aufhören, Fußball zu spielen. Ich habe am Anfang mit der Situation gehadert und es nervt mich, wenn ich nicht dabei bin, weil ich der Meinung bin, dass ich noch voll im Saft stehe. Aber ich kann mich nicht beschweren. Barcelona ist der beste Klub der Welt, meine Mitspieler heißen Ousmane Dembele, Philippe Coutinho, Suarez oder König Lionel Messi. Soll ich vorschlagen, dass man diese Jungs stattdessen auf die Tribüne setzt? Der Klub hat sehr viel Geld in diese Spieler investiert. Ich kann nur Vollgas geben und mich anbieten.

Apropos König Messi. Wie nehmen Sie ihn wahr?

Boateng: Wenn man gegen ihn spielt, sieht man, dass er stark ist. Wenn man jeden Tag mit ihm auf dem Platz steht, sieht man, wie unglaublich er ist.

Was macht ihn so unglaublich?

Boateng: Wenn er Lust hat, macht er zwei oder drei Tore. Wenn wir mit 0:1 in Rückstand geraten, wird er sauer, macht drei Tore und wir fahren danach mit einem lockeren Sieg zurück nach Hause.

Ist er ein Anführer?

Boateng: Natürlich. Wenn man einen Spieler in der Mannschaft hat, der jedes Spiel entscheiden kann, ist er ein Anführer. Lionel redet zwar nicht viel in der Kabine, aber, wenn es drauf ankommt, äußert er sich. Er ist so stark, dass man ihm folgen muss.

Haben Sie innerhalb der Mannschaft spezielle Bezugspersonen?

Boateng: Ich wurde von allen sehr freundlich empfangen. Am ersten Tag haben mich meine neuen Mitspieler umarmt und mich willkommen geheißen. Es gibt ein paar Spieler, mit denen ich etwas enger bin. Marc-Andre ter Stegen oder Ivan Rakitic zum Beispiel. Arturo Vidal ist auch so ein Verrückter, ihn kannte ich noch aus Italien. Wir haben damals oft gegeneinander gespielt. Insgesamt verstehe ich mich aber mit allen Mitspielern seht gut.

ter-stegen
© getty

Boateng: "Ter Stegen müsste die Nummer eins sein"

Sie erleben ter Stegen jeden Tag im Training. Ist es gerechtfertigt, dass er in der Nationalmannschaft nur die Nummer zwei ist?

Boateng: Für mich müsste er die Nummer eins sein. Er glänzt in jedem Spiel mit seinen Paraden und seiner Ruhe am Ball. Das soll nicht heißen, dass ich Manuel Neuer etwas Böses will. Auch er ist ein überragender Torhüter. Aber gerade jetzt, im Zuge des Umbruchs bei der Nationalmannschaft, wäre es angebracht, dass Marc-Andre die Nummer eins ist. Das hätte er sich verdient.

Sie haben vor der WM 2014 gesagt, dass im DFB-Team die viel zitierten "Typen" fehlen.

Boateng: Das hat man mir dann auch um die Ohren gehauen, als Deutschland Weltmeister geworden ist (lacht).

Sehen Sie diese Typen denn mittlerweile?

Boateng: Ich meinte damals Spieler, die mal dazwischenhauen. Spieler vom Schlag Jens Jeremies zum Beispiel. Jetzt gibt es andere Typen, Spieler die ruhiger sind, aber mit guten Leistungen vorangehen. Hier würde ich Leroy Sane oder Serge Gnabry nennen. Typen, die laut werden oder anecken, sind nicht mehr erwünscht. Die sind auch größtenteils ausgestorben.

Finden Sie es schade, dass polarisierende Spieler kaum noch zu finden sind?

Boateng: Der Fußball hat sich einfach verändert. Um noch einmal auf Messi zurückzukommen: Er ist auch niemand, der herumbrüllt. Er zeigt mit Leistung, dass er ein Typ ist. Das ist heutzutage einfach so.

In den spanischen Medien gelten Sie und Arturo Vidal als Spieler, die das elegante Spiel Barcas zerstören. Geht Ihnen das nahe?

Boateng: Nein, überhaupt nicht. Genau aus diesem Grund wurden wir verpflichtet. Arturo und ich hauen dazwischen. Arturo wird in Barcelona geliebt. Wenn er eingewechselt oder ausgewechselt wird, steht das ganze Stadion. Er bringt eine Facette ins Spiel, die es bei Barca jahrelang nicht gab. Vielleicht wurde diese Spielweise hier früher nicht gebraucht, aber gerade jetzt, wenn man in der Champions League gegen englische, körperlich starke Mannschaften spielt, kommt man nicht immer mit Tiki-Taka weiter. In solchen Spielen helfen auch Typen wie Arturo, die dazwischenfegen.

Boateng: Training geschwänzt? "Riesiger Unsinn"

Sie sollen zwischenzeitlich das Training geschwänzt haben. Was ist dran an den Gerüchten?

Boateng: Das ist riesiger Unsinn. Normalerweise gehe ich nicht auf Zeitungsberichte ein, aber diesmal musste ich mit einem Post bei Social Media darauf reagieren. Mich hat genervt, dass irgendetwas Negatives geschrieben wurde, obwohl es nichts Negatives gab.

Für Barca ist in dieser Saison das Triple möglich.

Boateng: Das ist das Ziel, so wird es auch jeden Tag im Verein kommuniziert. Hier zählt nur, zum Spiel zu fahren, zu gewinnen und am Ende alle drei Pokale mitzubringen.

Wie realistisch ist das Triple?

Boateng: Sehr realistisch. In der Meisterschaft sind wir durch, das Finale der Copa del Rey gegen Valencia können wir auch gewinnen. Die Champions League ist ein ganz spezieller Modus, da schaltet jeder noch mal einen Gang hoch. Viele große Vereine sind schon ausgeschieden, dementsprechend haben wir auch da eine Chance auf den Titel.

Als der Wechsel bekanntgegeben wurde, gab es Wirbel um eines Ihrer Tattoos: eine Krone. Hat das Tattoo etwas mit Real Madrid zu tun?

Boateng: Nein, gar nicht. Ich habe das Tattoo, weil mein Name Prince ist, das habe ich mir mit 18 Jahren stechen lassen. Das hat nichts mit Real Madrid zu tun.

Also war Real auch nie Ihr Lieblingsverein?

Boateng: Ich habe immer gesagt, dass ich Real Madrid mag. Aber mein Lieblingsverein ist der FC Barcelona.