SPOX/Goal: Wie kann es sein, dass man in der Türkei die Nachwuchsförderung vernachlässigt, während sich der Rest der Fußballwelt in diesem Bereich stetig weiterentwickelt?
Altintop: Das kann ich nicht genau sagen, aber die Talentförderung ist seit Jahrzehnten unser Problem. Wir Türken sind fußballverrückt und haben in den vergangenen Jahren immer mal große Spieler hervorgebracht. Trotzdem haben wir es nie geschafft, konstant gute Jungs auszubilden. Andere Nationen sind uns da weit voraus. Es fällt besonders auf, dass große Talente hierzulande mental nicht gut auf das Fußballbusiness vorbereitet werden.
Altintop: "Man sollte immer mit dem Herzen entscheiden"
SPOX/Goal: Ist es ein Problem, dass sich junge und talentierte Spieler mit zweiter Staatsangehörigkeit häufig gegen eine Karriere in der türkischen Nationalmannschaft entscheiden?
Altintop: Bei diesem Thema bin ich sehr empfindlich. Man sollte immer mit dem Herzen entscheiden, für welche Nationalmannschaft man spielt und welche Hymne man singt. Im Leben muss man manchmal auch den schwierigeren Weg einschlagen, um dabei zu helfen, etwas aufzubauen. Eine solche Entscheidung nur von den Erfolgsaussichten und einem besseren Verdienst abhängig zu machen, ist fatal. Es darf nicht nur ums Business gehen. Man muss aufpassen, dass Werte wie Stolz und Leidenschaft nicht komplett verloren gehen. Die Entwicklung in den vergangenen Jahren ging leider genau in diese Richtung. Dabei machen Emotionen, Leidenschaft und Gefühle den Fußball erst aus. Wenn diese Werte irgendwann keine Rolle mehr spielen, wird es schwierig.
Altintop: "DFB war für mich nie ein Thema"
SPOX/Goal: Hat sich der DFB in Ihrer Jugend nach Ihnen erkundigt?
Altintop: Wenn man in der Jugend gute Leistungen gebracht hat, war man automatisch im Fokus des DFB und hatte auch Kontakt zu Verantwortlichen. Für mich war es aber nie ein Thema. Ich habe ja schon als 17-Jähriger für die türkischen Junioren-Nationalmannschaften gespielt.
SPOX/Goal: Die berühmtesten Beispiele für türkischstämmige Spieler, die sich gegen eine Karriere im Trikot der Türkei entschieden haben, sind Ilkay Gündogan und Mesut Özil. Wie haben Sie das mediale Theater um beide in den vergangenen Monaten wahrgenommen?
Altintop: Darüber möchte ich gar nicht sprechen, aber dieser Fall lässt sich doch auf unsere Gesellschaft übertragen. Man kann sich heutzutage alles erlauben, solange man Erfolg hat - nicht nur im Fußball. Ist man erfolgreich, darf man machen, was man will. Wenn es aber nicht läuft, ist plötzlich alles schlecht und man wird zum Teil sogar persönlich angegangen.
SPOX/Goal: Kommen wir noch einmal zu Ihnen: Wie zufrieden sind Sie rückblickend mit Ihrer Karriere?
Altintop: Ich glaube, dass das Leben mir sehr viel gegeben und ermöglicht hat. Ich bin Profifußballer geworden und habe meinen Traum gelebt. Jetzt davon zu sprechen, etwas zu bereuen, wäre undankbar und respektlos. Mein Bruder und ich haben Fußball gespielt, weil wir es geliebt haben. Bei jedem unserer Transfers haben wir darauf geachtet, dass wir uns nicht nur als Sportler, sondern auch als Typen weiterentwickeln können. Rückblickend haben wir das sehr gut gemacht und können behaupten, mit beiden Beinen auf dem Boden geblieben zu sein.
Altintop peilt Funktionärs-Karriere an
SPOX/Goal: Sie sind jetzt 35 Jahre alt und haben Ihre aktive Karriere beendet. Ist es Ihr Plan, eine Trainerlaufbahn einzuschlagen?
Altintop: Ich kann mir einiges vorstellen, aber man muss immer das Gesamtpaket im Blick haben. Was häufig unterschätzt wird, ist, dass talentierte Jugendliche einfach ins Profigeschäft hineingeworfen werden und dann auf sich allein gestellt sind. Ich könnte mir gut vorstellen, mich als Teammanager oder Sportdirektor um solche Angelegenheiten zu kümmern. Ob ich aber Trainer werde, kann ich noch nicht sagen. Aktuell mache ich meine Trainerscheine und genieße die ersten Monate meines Ruhestandes. Doch ich bin ein erfolgsorientierter Mensch und mein Plan ist es, bald in den Fußball zurückzukehren.