Pep Guardiolas Miene ist versteinert. Er lässt die Szenen über sich ergehen. Stoisch schaut er mit an, wie sich Mo Salah vor dem Gästeblock aufbaut und die Arme ausbreitet. Da steht er, wie eine Statue, mit siegessicherem Blick.
Ganz anders Guardiola. Der weiß in dieser 56. Minute: Das war es. Salah hat das Duell mit dem Treffer zum 1:1 zugunsten des FC Liverpool entschieden. Manchester City wird in der ausstehenden halben Stunde keine vier Tore mehr erzielen.
Der Anblick des katalanischen Startrainers ist ein Sinnbild des Ausscheidens der Citizens. Mit versteinerter Miene, stoisch - auf der Tribüne.
Dort musste Guardiola seit der Halbzeit Platz nehmen. Grund dafür war eine Auseinandersetzung Guardiolas mit Schiedsrichter Antonio Maheu Lahoz in der Halbzeitpause, der kurz zuvor einen regulären Treffer von Leroy Sane aufgrund einer vermeintlichen Abseitsstellung aberkannt hatte.
Nach dem Pausenpfiff rannte Guardiola auf den Rasen, um seinen spanischen Landsmann zu konfrontieren. Er meckerte lautstark, warf Lahoz finstere Blicke zu und legte den Finger immer und immer wieder theatralisch auf seine Lippen.
Pep Guardiola kritisiert Schiedsrichter Lahoz scharf
"Ich habe dem Schiedsrichter gesagt, es war ein Tor. Er hat das anders gesehen. Das war es", erklärte Guardiola seine Verbannung auf die Tribüne nach dem Spiel. "Es ist natürlich ein Riesenunterschied, ob es 1:0 zur Pause steht oder 2:0. Es ist ein Unterschied, wenn Salahs erstes Tor in Anfield Abseits ist. Es ist ein Unterschied, wenn Gabriel Jesus' Tor in Anfield zählt. In diesem Wettbewerb sind die Mannschaften alle auf einem so ähnlichen Leistungsniveau, dass Schiedsrichterentscheidungen den Ausschlag geben können."
Zwar hatte Guardiola mit seiner Einschätzung über die schwache Leistung des Schiedsrichters Recht. Allerdings unterschlug er dabei auch, dass dem frühen Führungstreffer ein Foul von Raheem Sterling gegen Virgil van Dijk vorausgegangen war. Er bewertete die Situation sehr einseitig.
Statt des wichtigen zweiten Treffers ging City durch die Entgleisung Guardiolas also mit einer erheblichen Schwächung in die zweite Halbzeit. Der 47-Jährige konnte sein Team in der wichtigsten Halbzeit der bisherigen Saison nicht mehr von der Seitenlinie coachen und nur noch über Umwege ins Spielgeschehen eingreifen.
Dass sich der perfektionistische Guardiola in diesem Moment nicht im Griff hatte, kostete Momentum und womöglich später auch das Halbfinale.
Plan für Manchester City gegen Liverpool ging auf
Bis dahin war sein Plan nämlich aufgegangen. Mit sechs nominellen Offensiven spielte City zeitweise ein Angriffspressing aus dem Bilderbuch und entwickelte vor allem über die agilen Außen Sane und Bernardo Silva immer wieder Gefahr. Liverpool kam in der ersten Halbzeit kaum über die Mittellinie hinaus.
Eine Umkehr des 0:3-Hinspielergebnisses schien absolut realistisch. City war drückend überlegen und hätte höher führen können. Ja, müssen.
Denn mit dem Ausgleichstreffer schrumpften die Chancen mit einem Mal in Richtung Nullpunkt. Fortan war jedem im Stadion klar, dass die Aufholjagd beendet war. Die Hypothek aus dem Hinspiel war spätestens jetzt zu groß. Das strahlten die Spieler auf dem Platz aus, das strahlte der eingeduckte Guardiola auf der Tribüne aus.
Dass City die Partie letztlich durch einen Treffer von Roberto Firmino nach einem bösen Fehlpass von Nicolas Otamendi sogar noch verlor, war nur eine Randnotiz. Im Mittelpunkt stand das Champions-League-Aus. Nachdem er bei seinen ersten sieben Teilnahmen als Trainer immer mindestens die Vorschlussrunde erreicht hatte, gelang ihm das auch im zweiten Amtsjahr bei City nicht.
Champions League: Das Abschneiden von Pep Guardiola als Trainer
Saison | Team | Gegner | Runde | Hinspiel | Rückspiel |
2008/2009 | FC Barcelona | Manchester United | Finale | 2:0 | - |
2009/2010 | FC Barcelona | Inter Mailand | Halbfinale | 1:3 | 1:0 |
2010/2011 | FC Barcelona | Manchester United | Finale | 3:1 | - |
2011/2012 | FC Barcelona | FC Chelsea | Halbfinale | 0:1 | 2:2 |
2013/2014 | FC Bayern München | Real Madrid | Halbfinale | 0:1 | 0:4 |
2014/2015 | FC Bayern München | FC Barcelona | Halbfinale | 0:3 | 3:2 |
2015/2016 | FC Bayern München | Atletico Madrid | Halbfinale | 0:1 | 2:1 |
2016/2017 | Manchester City | AS Monaco | Achtelfinale | 5:3 | 1:3 |
2017/2018 | Manchester City | FC Liverpool | Viertelfinale | 0:3 | 1:2 |
Champions-League-Aus in diesem Jahr besonders bitter
Das Ausscheiden in dieser Saison ist dabei besonders bitter. Denn City war in den letzten Monaten das Maß aller Dinge im europäischen Fußball. Pure Dominanz in der Premier League mit schönem, aber auch effizientem Fußball. Eine Augenweide.
Das Konstrukt, in das Abu Dhabi in den vergangenen zehn Jahren über zwei Milliarden Euro und alleine in der letzten Transferphase über 300 Millionen Euro investiert hatte, schien noch nie so nah dran am internationalen Triumph. City galt als einer der absoluten Topfavoriten auf den Champions-League-Sieg.
Doch dieser Status erwies sich als Kartenhaus, das innerhalb einer halben Stunde in Anfield in sich zusammenfiel. Liverpool war der falsche Gegner, der City zur falschen Zeit auf dem falschen Fuß erwischte.
City wird die englische Meisterschaft souverän und verdient einfahren. Die Saison hat nun dennoch einen Schönheitsfehler. Die selbst gestellten Ansprüche werden nicht vollumfänglich erfüllt.
Manchester City: Saison erinnert an Guardiola-Jahre beim FC Bayern
Für Guardiola persönlich wiederholt sich ein Muster. Alle Jahre wieder überzeugen seine Mannschaften beinahe die komplette Saison, doch auf der Zielgeraden geht ihnen der Sprit aus.
In der wichtigsten Saisonphase verloren die Citizens nun erstmals unter Guardiola drei Pflichtspiele in Folge. Zuletzt war ihm dies im Mai 2015 als Trainer des FC Bayern München passiert. Damals hatten seine Spieler nach der eingefahrenen deutschen Meisterschaft nicht mehr die nötige Spannung entwickeln können und waren infolgedessen im Halbfinale der Champions League am FC Barcelona gescheitert.
Auch das Spiel der Bayern entwickelte Guardiola seinerzeit auf höchstem Niveau - immerhin übernahm er sie nach dem Triple - noch einmal taktisch weiter. Doch das Fehlen der Champions-League-Trophäe gilt bis heute als Makel seiner Amtszeit.
Damals hatte das Ausscheiden in jedem Jahr seine eigene Geschichte. Im ersten Jahr coachte ihn Carlo Ancelotti mit Real Madrid aus, gegen den FC Barcelona waren Verletzungen wichtiger Leistungsträger verantwortlich, gegen Atletico schwache 20 Minuten im Vicente Calderon und eine ordentliche Portion Pech in einem überragenden Rückspiel. Vielleicht dem besten Spiel unter seiner Leitung. Nie waren die Einzelfälle miteinander vergleichbar.
Bei City haderte Guardiola bereits im vergangenen Jahr nach dem Ausscheiden gegen Monaco mit dem Schiedsrichter. Damals pfiff kurioserweise ebenfalls Lahoz. Das Scheitern gegen Liverpool hat ebenfalls seine eigenen, vielfältige Geschichte.
Guardiola stolpert über den Spannungserhalt
Trotzdem verstetigt sich der Trend der vergangenen Jahre, dass es Guardiola-Teams im entscheidenden Moment an Durchschlagskraft fehlt.
"Es ist unmöglich, den gleichen Rhythmus und die gleiche Intensität über eine ganze Saison aufrecht zu erhalten", rechtfertigte sich Guardiola später auf der Pressekonferenz, um dann nachdenklich zu werden: "Vielleicht werde ich es in Zukunft herausfinden, wie wir in der entscheidenden Phase besser sein können." Genau darin liegt Guardiolas große Aufgabe für die nächsten Jahre.