Iker Casillas kennt dieses Gefühl. Dieses Gefühl, nach erfolgreich verrichteter Arbeit das Feld zu verlassen und im hektischen Business für einen Moment die Atmosphäre zu genießen.
427 Mal steckte der Keeper exakt in dieser Situation.
Und doch war dieses Gefühl nach dem Champions-League-Hinspiel gegen den FC Bayern ein ganz anderes. Nach langer Durststrecke stand der Keeper wieder einmal im so geliebten Rampenlicht - und schrieb Geschichte.
Dank des Erfolges zog der 32-Jährige nach der Anzahl an Siegen im königlichen Dress mit Rekordhalter Raul gleich. Eine Rekordmarke, die den Legendenstatus des Keepers in der spanischen Hauptstadt jedoch nur grob umschreiben kann.
"Der Heilige ist zurück"
Speziell nach dem starken Hinspiel-Auftritt überschüttete ihn die Presse mit Lobeshymnen und gedachte an alte Zeiten. "Der Heilige ist zurück", schrieben die Zeitungen.
Dieser gibt sich bescheiden und verweist auf die Mannschaft. "Meine Paraden waren jetzt auch nicht so wichtig", sagte er nach dem Spiel.
Er habe nur das gemacht, was seine Aufgabe war. Dabei sind es genau diese Paraden, mit denen Casillas aktuell sein Denkmal restauriert. Zuletzt hinterließen zahlreiche Trainerentscheidung gewaltige Kratzer an der Statue des 32-Jährigen.
Mourinho löst Erdbeben aus
Denn in der Liga muss "der Heilige" bereits seit gut einem Jahr mit dem Platz auf der Bank vorlieb nehmen. Noch unter Ex-Real Coach Jose Mourinho fiel er mit einer langwierigen Handverletzung aus und fand sich im Anschluss im zweiten Glied wieder.
Diego Lopez, den man in einer Nacht-und-Nebel-Aktion von Sevillas Reservebank holte, wurde ihm vor die Nase gesetzt. Als Casillas sich nach überstandener Verletzung wieder fit meldete, sorgte Mourinho mit seiner Entscheidung, den ordentlich spielenden Lopez weiterhin aufzustellen, für ein mittelschweres mediales Erdbeben in der Hauptstadt.
Die lebende Klublegende, die seit der Jahrtausendwende stets zwischen den Pfosten stand, werde von einem überdurchschnittlichen Ligakeeper auf die Bank verdrängt. Die königliche Seele kochte, da die Gründe für die Degradierung stets im Dunkeln schlummerten.
"...musst du Casillas entfernen"
Immer wieder war die Rede davon, dass Casillas in seiner Rolle als Kapitän der Nationalmannschaft im Umfeld des Clasico zu sehr schlichten wollte. Mourinho, der die Rivalität zwischen den beiden Vereinen lebte, war das ein Dorn im Auge.
Auch Klubpräsident Florentino Perez soll inzwischen kein großer Freund des Keepers mehr sein.
Die enorme Macht, die Casillas auch von der Bank ausstrahlt, gehe dem Alphatier Perez auf den Zeiger. "Wenn du hier Erfolg haben willst, musst du Casillas entfernen", soll Mourinho beim Abschied zum Real-Präsidenten gesagt haben.
Ancelotti setzt auf Arbeitsteilung
Als Ancelotti als Nachfolger im Sommer 2013 feststand, waren sich im Vorfeld der Saison die meisten Fans sicher, dass Casillas zwischen die Pfosten zurückkehren werde und die Degradierung vielmehr auf einen internen Zwist zurückzuführen war.
Doch auch der Italiener setzte den 32-Jährigen auf die Bank und lieferte vor der Presse ebenfalls keine schlüssige Erklärung ab.
Vielmehr zündete er verbale Rauchbomben und verwies darauf, dass eine exakte Antwort den Zeitrahmen sprengen würde.
"Details haben den Ausschlag gegeben. Aber bei mir sind Beide Stammkeeper", betonte Ancelotti. Casillas werde in Zukunft sowohl im spanischen Pokal als auch in der Champions League das Tor hüten, so der Italiener: "Casillas ist ein Profi und verdient den Respekt, der einem Kapitän von Real Madrid zusteht. Deshalb habe ich mit ihm gesprochen, um ihm die Situation zu erklären. Wir brauchen in dieser Saison zwei sehr gute Torhüter und sicher wird er seine Gelegenheiten auf Einsätze bekommen."
Dass dieser kuriose Plan rein auf sportliche Gründe zurückzuführen ist, nehmen ihm in Madrid die wenigsten ab. Vielmehr scheint es, als wäre Ancelotti von Lopez' Qualität überzeugt und würde die aufgebrachte Volksseele mit den Champions-League-Auftritten ihres "San Iker" besänftigen wollen. Wie eine Art Silberbesteck, das man nur zu den feierlichen Anlässen herausholt.
Del Bosque hält zu Casillas
Auch in der Nationalmannschaft stellte sich nach Jahren der Gewissheit plötzlich wieder die T-Frage. Doch trotz der fehlenden Spielpraxis und einigen Einsätzen von Ersatzmann Victor Valdes hielt der Nationaltrainer zu Casillas."Er geht durch eine schwere Zeit und er braucht die Unterstützung derer, die Respekt und Bewunderung für ihn haben. Ich bin für Casillas, für seine Geschichte und für seine Karriere. Damit will ich nichts gegen jemanden sagen, ich spreche nur zugunsten von Casillas", sagte Vicente del Bosque und fügte hinzu: "Iker wird mich immer an seiner Seite haben."
Spätestens nach der schweren Verletzung von Valdes kann sich Casillas nun jedoch sicher sein, dass er bei der Weltmeisterschaft in Brasilien im Tor stehen wird.
Erfolg gibt Ancelotti Recht
Ob die Versetzung bei Real nun auf sportliche oder vielmehr politische Gründe zurückzuführen ist, sei dahingestellt.
Beeindruckend ist jedoch, dass der tollkühne Plan von Ancelotti aufzugehen scheint. Im Pokal kassierte Casillas trotz der fehlenden Spielpraxis erst im Finale das erste Gegentor und holte sich mit dem Team den Titel.
In der Champions League reist man auch dank der Paraden des Keepers mit einer mehr als ordentlichen Ausgangsposition zum Rückspiel nach München (20.45 Uhr im LIVE-TICKER).
"La Decima ist eine Obsession"
Der Vereinstraum von "La Decima", dem zehnten Landesmeistertitel in der Klubhistorie, ist somit lediglich zwei Spiele entfernt und greifbar wie lange nicht mehr.
"Natürlich ist La Decima eine Obsession", beschrieb Cristiano Ronaldo kürzlich die Bedeutung des Titels für den Klub: "Aber eine gute."
Seit dem letzten Titel im Jahr 2002 irren die Königlichen wie besessen der Rekordmarke hinterher und setzen sich jedes Jahr aufs Neue selbst einem irren Druck aus. Da Casillas den königlichen Weg bereits seit mehr als einem Jahrzehnt mitgeht, ist der Traum vom zehnten Titel wohl bei keinem Spieler ähnlich ausgeprägt wie bei dem Keeper.
Abschied von Real Madrid?
Ob Casillas sich eine weitere Saison auf die Bank bei den Königlichen setzen wird, bleibt dennoch fraglich. Ein Wechsel zu einem anderen europäischen Topklub scheint vielmehr ein realistischeres Szenario, betonte Casillas doch zuletzt immer wieder, dass ihn die Fragen nach seinem Reservistendasein nerven würden.
Die Liste der Topklubs, die bei den Königlichen bereits angeklopft haben, soll lang sein. Bleibt Ancelotti seiner Linie treu, bedeutet das auch, dass das Bernabeu "San Iker" im CL-Hinspiel bereits zum letzten Mal aktiv gesehen hat.
Falls jedoch alles nach dem Plan der Königlichen läuft, spielt Casillas in dieser Saison noch zwei Mal im Real-Dress: in München und wenn er sich in Lissabon seinen Traum von La Decima erfüllt.
Iker Casillas im Steckbrief