Das Abenteuer Russland begann für die Spieler von Borussia Dortmund bereits unter der Sonne Spaniens.
Im Trainingslager in La Manga mussten die Profis zum Fotoshoot ran, der BVB brauchte schließlich für jeden seiner Reisenden ein gültiges Visum und dafür biometrische Passbilder. Viele bunte Reisepässe vieler Nationalitäten lagen da auf dem Tisch.
Die logistischen Herausforderungen hat Borussia Dortmund zügig abgearbeitet, über die Anreise nach St. Petersburg sind keine Zwischenfälle bekannt. Es hat sich in den letzten 24 Stunden auch kein Spieler mehr verletzt, was in der momentanen Lage der Borussia schon einer kleinen Überraschung gleichkommt.
Klopp nimmt's mit Humor
Am Sonntagnachmittag musste Dortmunds Presseabteilung schon wieder ein Communiqué verfassen, das den Ausfall eines wichtigen Spielers erklären sollte. Sven Bender leidet unter einer Schambeinentzündung, die Folge sind ein sechswöchiges Sportverbot und eine Aufbauphase, für die vier Wochen veranschlagt sind. Zehn Wochen wird Bender dem BVB also fehlen.
Nach Ilkay Gündogan (Rückenbeschwerden) und Jakub Blaszczykowski (Kreuzbandriss) ist Bender der dritte prominente Ausfall der Dortmunder Mittelfeldreihe. Dazu kommt der ebenfalls rekonvaleszente Neven Subotic, der sich von den Folgen eines Kreuzbandrisses erholt und in dieser Saison nicht mehr auflaufen wird.
Ein ähnliches Schicksal könnte auch Bender blühen. Die Erinnerungen an Mario Götzes Leidenszeit auf Grund einer Schambeinentzündung - der ehemalige Dortmunder fiel damals über vier Monate aus - sind noch zu frisch.
"Das ist natürlich eine unglückliche Situation für uns, dass so viele Spieler verletzt sind, aber das ist wie so oft im Leben: Wenn die Waschmaschine kaputt geht, ist am nächsten Tag der Trockner auch im Arsch - und dann geht meist auch noch der Fernseher kaputt", versuchte es Jürgen Klopp auf der Pressekonferenz am Montag mit ein wenig Humor.
Noch alle Ziele erreichbar
Dabei hatte sich der Dortmunder Tross nicht eben besonders gut gelaunt auf den Weg in die zweitgrößte Stadt Russlands gemacht. Der Ausfall aller Systeme beim 0:3 gegen den Hamburger SV war in der Art nicht vorherzusehen und eine denkbar schlechte Generalprobe für den Auftakt in die entscheidenden Wochen des Jahres.
In St. Petersburg muss der BVB die erste Antwort auf die Frage liefern, was diese Saison wirklich wert ist. Trotz der vielen Verletzten und einem manches Mal stotternden Motor liegt die Borussia eigentlich noch ganz gut im Rennen. In der Liga steht Platz drei. Damit kann man leben, weil die direkte Champions-League-Qualifikation erreicht wäre. Lieber hätte man in Dortmund allerdings, wenigstens den Rest der Liga hinter den enteilten Bayern anzuführen.
Im DFB-Pokal hat Dortmund das Halbfinale erreicht. Zwar ist der Gegner VfL Wolfsburg einigermaßen unangenehm, aber immerhin steht ein Heimspiel im Spielplan, mit der Aussicht auf einen direkten Vergleich gegen die Bayern im Endspiel von Berlin.
Und in der Königsklasse nun das Achtelfinale. Das Überwintern in der Champions League war eine Mindestanforderung, trotz der happigen Gruppe mit Arsenal, Napoli und Marseille als Gegner. Wie in der Liga und im Pokal ist das bisher Erreichte ganz nett - die ausgegebenen Saisonziele sind damit aber noch lange nicht verwirklicht.
Freude auch über Platz zwei
Platz zwei in der Liga und das Erreichen des DFB-Pokalfinales sind klar definiert. In der Champions League will sich der Vorjahresfinalist so lange wie möglich treiben lassen. Ein Scheitern im Achtelfinale steht nicht im Drehbuch. Bei allem Respekt vor dem Gegner und trotz der angespannten Personallage wäre es auch eine bittere Enttäuschung.
Dass der BVB bisher eine ziemlich gute Saison spielt, fällt gerne unter den Tisch. Die Referenzgröße dürfen nicht die Bayern sein, das verbietet sich bei der Dominanz der Münchener in dieser Saison. Besser, der BVB orientiert sich an sich selbst.
In der letzten Meistersaison mit der damaligen Rekordmarke von 81 Punkten am Ende stand der BVB zum selben Zeitpunkt "nur" sieben Punkte besser als heute. Die schwächelnde oder nur mühsam aufschließende Konkurrenz im Kampf um die Königsklasse lassen Platz zwei in Reichweite.
"Wir nehmen uns das Recht raus - sollte es gelingen - uns auch über Platz zwei zu freuen", sagte Trainer Jürgen Klopp bereits in der Winterpause. Ein positiv formulierter Satz, der aber als klarer Auftrag an seine Mannschaft zu verstehen ist. Auch wenn zwischen Rang zwei und drei in der Logik der Champions-League-Teilnahme kein Unterschied gemacht wird.
Berlin als Ziel für einen Titel
Dass das Pokalfinale nach dem Sieg vor zwei Jahren und dem vergleichsweise frühen Aus im letzten Jahr gegen die Bayern schon vor der Saison ein großes Ziel war, liegt auf der Hand. "Wir wollen unbedingt nach Berlin. Da gibt es einen Titel zu holen", sagt Kapitän Sebastian Kehl.
"Ich selbst war noch nicht in Berlin", meinte Nuri Sahin, der beim Pokaltriumph 2012 für Real Madrid aktiv war. "Die Jungs prahlen immer mit dem Pokal. Jetzt will ich ihn endlich auch gewinnen." Der Pokal bietet derzeit die größte Chance auf Silberware in dieser Saison.
Dass der BVB noch einmal ins Finale der Champions League einziehen kann, ist dagegen kaum zu erwarten. Die Wiederholung der Erfolgsgeschichte erscheint unrealistisch. Die Borussia hat sich aber so viel Renommee und Ansehen erspielt, dass der Einzug ins Viertelfinale dem gesteigerten Selbstverständnis nur gerecht würde.
"Das wäre eine tolle Geschichte und eine Bestätigung des Vorjahres, wenn wir in die Runde der besten acht Mannschaften kämen", sagt BVB-Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke. Aber auch Watzke weiß, dass ein Ausscheiden gegen einen Gegner wie St. Petersburg schwer ins Kontor schlagen würde.
Gute Voraussetzungen gegen Zenit
Die Russen sind noch nicht wieder in den Spielbetrieb eingestiegen, das erste Ligaspiel steht in der Premier Liga erst in zwei Wochen an. St. Petersburg hat sich in seiner Gruppe mit der minimalen Ausbeute von nur einem Sieg, sechs Punkten und fünf erzielten Toren irgendwie ins Achtelfinale geschlichen.
"Die Mannschaft wird in Deutschland unterschätzt", sagt Kehl pflichtbewusst, "das ist ein unangenehmer Gegner mit exzellenten Individualisten." Für den BVB sollte Zenit auf dem Weg unter die acht besten Mannschaften Europas in zwei Spielen trotzdem kein Stolperstein sein.
Zwischen "sehr gut" und "ausreichend" ist in der Urteilsfindung für diese Saison noch alles drin. Borussia Dortmund hat bisher lediglich die Meisterschaft "verloren", dabei war das gar nicht das ausgegebene Ziel. Andererseits ist auch noch nichts erreicht. Die Saison in der Saison beginnt jetzt.
Alle Infos zu Borussia Dortmund