Mes que un Erlöser

Von Stefan Rommel
Johan Cruyff bei seiner Rückkehr als Trainer in Camp Nou im Sommer 1988
© imago

Ajax Amsterdam und der FC Barcelona - Johan Cruyff hat beiden Klubs zu weltweitem Ruhm verholfen und sie nachhaltig geprägt. Die Geschichte einer streitbaren Legende. Ein Text aus dem Jahr 2013.

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Als der Franquismus leise zu bröckeln begann, erlebte Barcelona seinen Sommer des Umbruchs. Johan Cruyff war nicht nur der teuerste Transfer der Fußballgeschichte bis dahin. Er war ein politisches Statement, das weit über die Grenzen Spaniens hinaus registriert wurde.

Der aufregendste Offensivspieler seiner Zeit wechselte nicht zum schillerndsten Klub. Real Madrid sei für Cruyff noch nicht mal im Ansatz eine Überlegung wert gewesen. Er wollte nicht für einen Verein auflaufen, der die Nähe Francos zumindest zuließ.

Er wollte seine eigene kleine Revolte. Bei einem Klub, der zwar einen mächtigen Namen besaß, aber keinerlei Spielkultur. Sein Ziehvater Rinus Michels war bereits da, er folgte dem Locken ohne zu zögern.

Die Liberalisierung des Transfermarkts und haufenweise Peseten machten den Wechsel perfekt. Umgerechnet rund 3,7 Millionen D-Mark soll der kreativste Kopf des europäischen Fußballs gekostet haben.

Kein Trend - eine Bewegung

Barca versprach sich davon endlich mal wieder einen Titel, davor waren die Katalanen 14 Jahre lang vergeblich angetreten. Und vielleicht auch ein paar neue Trends, frische Einflüsse, Denkanstöße. Dass daraus eine Bewegung werden würde, konnte keiner ahnen.

Barcelona, das bis dahin nicht unbedingt durch eine besonders spektakuläre Spielkultur aufgefallen war, profitierte dabei von dem Umstand, dass sich der eigenwillige Cruyff zu Hause in Amsterdam mit Trainer Georg Knobel überworfen hatte. Der hatte es tatsächlich gewagt, den Kapitän nicht zu bestimmen sondern von der Mannschaft wählen zu lassen. Der herrisch auftretende Cruyff verlor die interne Abstimmung gegen Piet Keizer haushoch.

Dabei hatte er Ajax nur wenige Wochen zuvor zum dritten Sieg im Landesmeistercup in Folge geführt. Lediglich Real Madrid war das bisher gelungen. Die kleine Niederlande stieg auf zu einer der mächtigsten Fußball-Nationen der Welt und Cruyff war ihr Anführer.

Drei Landesmeistertitel mit Ajax in Folge

Ajax hatte den kontinentalen Fußball revolutioniert mit seinem 4-3-3-System, dem aggressiven Pressing, der Idee, allen Spielern Defensiv- und Angriffsaufgaben anzuvertrauen und den ständigen Positionswechseln.

Cruyff selbst war der lebende Positionswechsel: Kein zentraler Mittelfeldspieler und kein Regisseur, kein Flügelspieler und kein klassischer Angreifer. Er war alles in einer Person, überall auf dem Platz unterwegs, Initiator und Vollstrecker unzähliger Angriffe. Trainer Michels war der Architekt der Unternehmung, Cruyff dessen Feldherr auf dem Platz.

In Barcelona waren beide nach Michels' Weggang zwei Jahre zuvor endlich wieder vereint. Es begann die Indoktrination einer ganzen Region, nicht nur des FC Barcelona. Der Voetbal total wurde schnell zur Weltanschauung, das 5:0 im Bernabeu im Frühjahr 1974 gilt bis heute als Wendepunkt in der Geschichte des Klubs. Fast selbstverständlich wurde Barca am Ende der Saison Meister. Cruyff war für die cules fortan nur noch El Salvador, der Erlöser.

El Salvador, der Erlöser

Dabei verziehen ihm die Katalanen nicht wenige Ausrutscher abseits des Platzes. Cruyffs Lebensstil passte in diese Zeit der Befreiung, er nahm sich Dinge heraus, die sich sonst keiner getraut hätte. Dass er im silbernen Maserati die Avenida Diagonal mit über 100 km/h hinunter raste, war keine große Sache.

Nach fünf turbulenten Jahren - Cruyff war wegen seines laxen Lebensstils und seiner Extravaganz besonders beim deutschen Trainer Hennes Weisweiler sehr umstritten - verließ er Barca im Herbst seiner Karriere. Hinterlassen hatte er die Meisterschaft und einen Sieg in der Copy del Rey.

Mit Cruyffs Weggang verschwand allerdings auch die Idee des schönen Fußballs wieder in der Schublade und Barcelona fristete ein kärgliches Dasein im Schatten der baskischen Klubs Real Sociedad und Athletic Bilbao und natürlich des großen Rivalen Real Madrid.

Rückkehr nach zehn Jahren

Erst zehn Jahre später kehrte Cruyff nach Barcelona zurück. Als Trainer, der seine Ideologie weiter radikalisiert hatte. Ajax führte er so zum ersten europäischen Titelgewinn nach 14 Jahren, Cruyff stellte in Amsterdam alles auf den Kopf, veränderte die Strukturen innerhalb des Vereins, die Trainingsmethodik, die Nachwuchsarbeit. Bis heute bilden seine Ideen bei Ajax die Grundlage des gesamten Handelns - genau so wie in Barcelona.

Bei Barca fand Cruyff völlig verkrustete Strukturen vor und eine Jugendarbeit, die es nicht wert war, so genannt zu werden. Zwei Jahre lang kämpfte er sich durch den Schutt, den seine Vorgänger hinterlassen hatten. Den großen Teil seiner Arbeit verschlangen administrative und organisatorische Zwecke.

Er pflanzte dem Klub eine neue DNA ein und er legte mit der Neustrukturierung der Talentschmiede La Masia den Grundstein für das, was noch heute das Markenzeichen des Klubs geblieben ist.

"Wenn du laufen willst, mach Leichtathletik"

"Wenn du laufen willst, mach Leichtathletik. Aber wenn du Fußball spielen willst, brauchst du den Ball. Seitdem ich zum FC Barcelona gekommen bin, ist es das Rezept des Klubs, immer den Ball zu haben. Das funktioniert dank technisch herausragender und stets kreativer Spieler", sagt Cruyff.

Er hat den Blick auf die Dinge verändert, in allen Bereichen. Die Idee etwa, Jugendspieler auf Grund ihrer spielerischen Fähigkeiten und nicht nach Größe, Gewicht oder Durchsetzungsvermögen zu fördern und zu fordern. Nur so konnte er diesen schmächtigen, zu klein geratenen Spieler aus der zweiten Mannschaft entdecken, der aber sauberer passen, strategischer denken und das Spiel klarer organisieren konnte wie kein anderer. Also holte er Pep Guardiola in die erste Mannschaft.

Cruyff wusste, dass der entscheidende Impuls beim Fußball nicht aus den Beinen kommt, sondern im Kopf erzeugt wird. "Bis heute sieht es bei Barca nur so aus, als ob die Spieler viel laufen würden. In Wahrheit spielt sich ganz viel innerhalb weniger Meter ab. So wird man nicht müde und hat die nötige Konzentration. Es hat also nicht mit den Beinen, sondern mit dem Gehirn zu tun."

Jeder Satz eine Überschrift

Barcelona gewann Anfang der 90er viermal in Folge die Meisterschaft und dazwischen erstmals überhaupt in der Geschichte des Klubs den Pokal der Landesmeister. Das Selbstverständnis ging dabei weit über das bloße Gewinnen hinaus. Barca schaffte es, die Grenzen zwischen Sport, Politik und besonders der Kultur zu verwischen.

Philosophen beschäftigten sich mit Cruyffs Arbeit und waren bass erstaunt, dass einer dem Sport des Proletariats etwas Intellektuelles anhaften konnte. Jeder seiner Sätze ist eine Überschrift. Das war damals so und ist es bis heute geblieben. Manch einer transportiert den Zeitgeist in ein paar wenigen Zeichen.

"Es geht nicht darum, um jeden Preis zu siegen. Nur wenige gewinnen", sagt Cruyff. "Du musst so spielen, dass dich das Publikum bewundert. Dann kannst du auch verlieren." Die Antithese eines Spiels, das sich zu 99 Prozent über Siege und Erfolge definiert.

Krach auch in Amsterdam

Acht Jahre wirkte Cruyff als Trainer in Barcelona, das Ende war unschön und kalt. Nach einer hitzigen Unterredung mit Vizepräsident Joan Gaspart wurde er mit sofortiger Wirkung suspendiert. Seitdem hat Cruyff kein offizielles Amt mehr bei Barca bekleidet und ist doch allgegenwärtig.

Seit Jahren wohnt er jetzt schon in Pedralbes, dem Nobelviertel im Nordwesten der Stadt. Barcelona ist seine Heimat, sein Sohn Jordi ist nach dem Schutzpatron der Katalanen benannt. Und als die inoffizielle Nationalmannschaft Kataloniens ihren ersten (und bis heute einzigen) Trainer suchte, konnte es nun wirklich keinen anderen geben.

Bei Ajax hat er auch noch mal versucht, in vorderster Linie mitzureden. Mit Frank de Boer, einst bei Ajax und bei Barca mit den Ideen von Cruyff sozialisiert und jetzt Trainer in Amsterdam, geriet er schnell aneinander. "Nur weil jemand die Führerscheinprüfung geschafft hat, heißt das noch lange nicht, dass er auch ein Formel-1-Auto fahren kann", stieß Cruyff De Boer vor den Kopf. Das Engagement endete in einem Eklat, Cruyff hatte sich noch mit Louis van Gaal überworfen und trat beleidigt zurück.

Er bleibt der streitbare Geist früherer Tage

Europas Fußballer des Jahrhunderts hat wie kein anderer gleich zwei große Klubs des Weltfußballs in ihren Grundfesten geformt. In Amsterdam und in Barcelona schwingt in jeder Trainingsübung, bei jedem Interview und in jedem Spiel immer auch ein wenig Cruyff mit.

Dass er auch im fortgeschrittenen Alter ein streitbarer Geist bleibt - andere würden sagen: ein Besserwisser und Dauernörgler - gehört zu Cruyff wie das wehende Haar. Dungas Brasilianer von 2010 nannte er "eine Schande für die Fans und das Turnier. Ich habe kein Geld übrig für eine Eintrittskarte, um sie spielen zu sehen." Der niederländischen Elftal, immerhin Vizeweltmeister in Südafrika, attestierte er "hässlichen, harten, groben und viel zu defensiven Anti-Fußball".

Seine Kolumnen für "El Periodico" und "De Telegraaf" sind nicht selten offen zur Schau gestellte Anklagen, und Cruyff mischt sich überall ein. Das kommt nicht bei allen gut an. Dem 66-Jährigen ist das aber egal. Dass er Barca den Verkauf von Leo Messi ans Herz legt, jetzt, da Neymar dazugestoßen ist: So ziemlich jeder andere würde für komplett verrückt erklärt werden. In Barcelona war Cruyffs These der Stoff wochenlanger Diskussionen.

"Wir sind alle für Barca!"

Ins Camp Nou hat er schon lange keinen Fuß mehr gesetzt. Auch nicht beim Hinspiel vor wenigen Wochen zwischen seinen beiden Klubs. Dafür war er am Rande des Youth-League-Spiels zwischen Barca und Ajax im Miniestadi gleich im Schatten des Camp Nou vor Ort.

Und natürlich nutzte er die Gelegenheit, um auf die Schelte von Barca-Präsident Sandro Rosell zu antworten. Der hatte Cruyff vorgeworfen, einen Keil in die Anhängerschaft der Katalanen zu treiben. "Rosell spricht von einem 'Cruyffismo'? Das ist doch absurd. Wir sind alle für Barca! Alles andere ist doch ein Hirngespinst."

Johann Cruyff im Steckbrief