Uli Hoeneß hatte etwas viel Schwung aufgenommen und war noch dazu in die "falsche" Richtung unterwegs. Just in dem Moment, als sich die Spieler des FC Bayern München nach der Ankunft im schnieken Madrider Mannschaftsquartier "Westin Palace" ihren Weg durch die Medien- und Fanmeute bahnten, um ihre Zimmer zu beziehen, kam der Präsident durch die Lobby gehuscht und prallte gegen die Schulter eines deutschen Journalisten.
"Oh, sorry", entfuhr es Hoeneß sogleich. Ein kurzes verständnisvolles Lächeln hier, ein Augenzwinkern dort und die Angelegenheit war erledigt. Kein Veilchenhieb a la Ribery, kein zartes versöhnliches Berühren der Fäustchen.
"Hölle vom Bernabeu"
Die Dienstreise nach Madrid ist für den FC Bayern München auch viel zu wichtig, um neue Nebenkriegsschauplätze zu eröffnen. Am Mittwochabend (20.30 Uhr im LIVE-TICKER) gilt es für die Bayern in der "Hölle vom Bernabeu" (Vorstandsboss Karl-Heinz Rummenigge), sich den Traum vom Champions-League-Finale im eigenen Stadion zu verwirklichen und ganz nebenbei die derzeit wohl beste Mannschaft Europas aus dem Weg zu räumen.
Die Botschaft der Gäste aus Süddeutschland ist eindeutig: Uns stoppt hier keiner, welche Mittel auch immer beim Versuch angewendet werden. "Meine Mannschaft wird sich von der Atmosphäre nicht beeindrucken lassen. Ich bin sehr zuversichtlich, dass wir das schaffen werden", sagte ein ungewohnt forsch auftretender Trainer Jupp Heynckes.
Dass die Real-Hofberichtszeitung "Marca" die Bayern in ihrer Dienstagsausgabe mit dem Titel begrüßte: "90 Minuten Bernabeu sind sehr lang" - in übrigens grammatikalisch einwandfreiem Deutsch - löste in Heynckes ein herzhaftes Lachen und eine nicht minder herzhafte Kampfansage aus: "Ich finde das sehr lustig, sehr originell. Aber es können auch sehr lange 90 Minuten für Real Madrid werden. Wir sind auch unter den schwierigsten Bedingungen in der Lage, hier sogar zu gewinnen."
Zwei extrem offensivstarke Teams
Ein Sieg tut gar nicht Not angesichts des 2:1-Hinspielerfolges. Wenn man Heynckes auf der Pressekonferenz aufmerksam zugehört hat, könnte das aber sein Ziel sein. "Man kann von einem offensiv geführten Spiel ausgehen. Es treffen zwei Mannschaften aufeinander, die ihre Stärken im Angriff haben. Wir sind jederzeit in der Lage, ein Tor zu erzielen."
Heynckes erweckte den Anschein, als habe er in seinem so langen erfolgreichen Leben als Fußballer und Trainer noch nie etwas derart Großes mitgemacht wie dieses anstehende zweite CL-Halbfinale.
"Das wird ein Leckerbissen, das wird hochklassig, da werden alle schönen Dinge des Fußballs zu sehen sein, da wird - ach was weiß ich...Sie werden es ja erleben." Ein kleiner Junge, der gerade ohne väterliche Hilfe seine erste kompakte Sandburg mit bloßen Händen geschnitzt hat, könnte nicht glücklicher sein.
Schweinsteiger-Einsatz unsicher
Der feste Glaube ans Finale und der Enthusiasmus des Trainers haben auch die Spieler erreicht. "Wir müssen am Mittwoch alles ausblenden, was war. Auch ich persönlich, was meine Verletzungen angeht. Wir müssen fighten, wir müssen die Tugenden bringen, für die der FC Bayern steht. Alles, was vorher war, ist uninteressant", sagte Bastian Schweinsteiger, der im Bernabeu als einer der wenigen nicht Gelb-vorbelasteten Spieler und in seiner Funktion als Vize-Kapitän besondere Verantwortung zu übernehmen hat.
Allerdings weiß Heynckes noch nicht, ob er Schweinsteiger überhaupt spielen lässt. "Jeder weiß, wie wichtig Bastian für unser Spiel ist. Aber ich muss erst das Abschlusstraining abwarten und anschließend ein Gespräch mit Bastian Schweinsteiger führen. Dann werde ich entscheiden, ob er von Anfang an spielen wird oder nicht."
Sollte sich Heynckes gegen Schweinsteiger in der Startelf entscheiden würde Toni Kroos auf die Doppel-Sechs rücken und Thomas Müller auf der Zehnerposition beginnen. Zu erwarten ist aber die erste Elf aus dem Hinspiel mit Schweinsteiger, ohne Müller. Mit Badstuber, Boateng, Lahm, Alaba, Gustavo und Kroos werden sechs Spieler sicher von Beginn an spielen, die bei der nächsten Gelben Karte gesperrt sind (Müller ist der 7. Kandidat).
"Spanien ist die klare Nummer eins in Europa"
"Das spielt bei den Spielern überhaupt keine Rolle. Man muss sicher klug spielen, aber jeder wird voll reingehen", prophezeit Schweinsteiger, der mit Spanien nicht die besten Erinnerungen verbindet, wenn es um Fußball geht. 2008 und 2010 war für Schweinsteiger im DFB-Trikot jeweils gegen Spanien Endstation und vor zwei Jahren verlor er das CL-Finale mit den Bayern in Madrid gegen Inter Mailand.
Schweinsteiger ist froh, dass es am Mittwoch "nur" gegen die Königlichen geht. "Spanien ist nach wie vor die klare Nummer eins in Europa. Real Madrid ist nah dran an Barcelona, aber ich denke, es ist noch schwieriger, mit der Nationalmannschaft gegen Spanien zu gewinnen als mit Bayern gegen Real."
Ein Affront - zumindest für die stolze Real-Familie. Deren Chef lässt überhaupt keinen Zweifel daran, wer am 19. Mai in München das CL-Finale spielen wird. "Wir werden uns durchsetzen, weil meine Spieler es verdient haben", sagte Jose Mourinho am Dienstagmittag im Real-Hauptquartier im Madrider Viertel Valdebebas.
Schiedsrichter-Verschwörungs-Inszenierung
Allerdings hat Mourinho in CL-Halbfinals diverse schlechte Erfahrungen gemacht. Zwei Mal scheiterte er mit dem FC Chelsea (2005 und 2007), im letzten Jahr mit Real. Selbstverständlich lieferte er gleich die passende Erklärung.
"Beim ersten Mal bin ich ausgeschieden, weil Liverpool ein Tor geschossen hat, das keines war, weil der Ball nicht hinter der Linie war. Beim zweiten Mal war es ein Elfmeterschießen, das hat viel mit Glück und Pech zu tun. Und das letzte Halbfinale habe ich auf eine Art und Weise verloren, an die sich die ganze Welt erinnert."
In der Tat: Die Schiedsrichter-Verschwörungs-Inszenierung nach dem 0:2 im Hinspiel gegen Barcelona ("Warum Stark? Warum Busacca? Warum de Bleeckere?" Warum?") war legendär.
Mourinho lenkte die Aufmerksamkeit aber diesmal bevorzugt auf seine Mannschaft. Es sei nicht richtig, vor einem CL-Halbfinale über seine Zukunft als Real-Trainer zu sprechen.
"Wichtig sind nur meine Spieler. Hier sitzt Esteban Granero neben mir auf dem Podium, weil er ein sehr wichtiger Spieler ist. Wenn er nicht wichtig wäre, würde er hier nicht sitzen, sondern vielleicht Casillas, Ronaldo oder Ramos. Granero ist ein Symbol dieser Gruppe. Ich habe nur tolle Spieler, die eine tolle Leistung in Barcelona gebracht haben und mit der gleichen Energie gegen die Bayern agieren werden", sagte Mourinho.
Die voraussichtlichen Aufstellungen:
Madrid: Casillas - Arbeloa, Pepe, Ramos, Coentrao - Khedira, Xabi Alonso - di Maria (Granero), Özil, Ronaldo - Benzema
Bayern: Neuer - Lahm, Boateng, Badstuber, Alaba - Schweinsteiger (Müller), Gustavo - Robben, Kroos, Ribery - Gomez
Der FC Bayern München im Steckbrief