Es sollte ein gesegnetes Fest werden. Im Kreise der Liebsten. Weihnachten 2010 im beschaulichen Begles, einer 25.000-Einwohner-Stadt nahe Bordeaux im Südwesten Frankreichs.
Mathieu Valbuena stieg in seinen weißen Lamborghini Murcielago und machte sich an Heiligabend auf den Weg zu seinen Eltern Mama Brigitte und Vater Carlos, einem Spanier. Weit kam der Mittelfeldspieler von Olympique Marseille allerdings nicht.
Auf einer Umgehungsstraße von Bordeaux verlor er die Kontrolle über seinen Luxusschlitten und krachte in die Leitplanke. Wo links einst ein Kotflügel war, klaffte ein riesiges Loch. Die vorderen und hinteren Stoßdämpfer wurden quasi aus der Karosserie gerissen.
Wie durch ein Wunder blieb Valbuena unversehrt. Keine Prellung, nicht mal einen Kratzer bekam er ab. "Ich weiß nicht, wie es dazu kommen konnte. Die Straße war nass vom vielen Regen, deshalb fuhr ich besonders vorsichtig. Ich kann nur sagen, dass ich großes Glück hatte und ich kann die OM-Fans beruhigen: Ich werde am 2. Januar zum Trainingsstart erscheinen", ließ Valbuena über die Homepage seines Vereins ausrichten.
Der Unfall war nur eines von mehreren schwierigen Schicksalen, die Mathieu Valbuena in seinem bisherigen Leben heimsuchten. Als er neun Jahre alt war, wurde er bei einem Badeunfall schwer verletzt. Valbuena wollte von einem Brett in ein Schwimmbad springen, rutschte dabei aus und schlitzte sich an einer am Brett befestigten Schraube das linke Bein auf. Die Wunde musste mit 50 Stichen genäht werden. An Fußballspielen war wochenlang nicht zu denken.
Sportliche Nackenschläge
Auch sportlich hat Valbuena viele Nackenschläge erdulden müssen. Als 17-Jähriger wurde er aus der U-18-Mannschaft von Girondins Bordeaux verbannt, weil er nach Meinung seines Trainers zu eigensinnig spielte.
Sein Ex-Coach Philippe Lucas erinnert sich. "Mathieu fuhr in den Ferien immer nach Barcelona, um sich Barca-Spiele und auch viele Trainingseinheiten anzuschauen. Er meinte dann bei uns, er müsse genauso spielen. Ich habe ihm aber gesagt: 'Mathieu, die Barca-Spieler geben den Ball sehr schnell wieder her. Du dagegen hältst ihn viel zu lange.' Das war sein großes Problem. Er war eigensinnig und verlor viele Bälle. Er ließ sich lieber foulen, als den Ball abzuspielen. Als wir ihn weggeschickt haben, hat seine Mutter geweint."
Als Frischling erlebte Valbuena zudem die dunkelste Zeit der französischen Nationalmannschaft hautnah mit, als sich etliche Führungsspieler während der WM 2010 in Südafrika ziemlich daneben benahmen und unter anderem einen Aufstand gegen Trainer Raymond Domenech anzettelten.
Förderer Gerets
Valbuena hat allerdings auch immer versucht, das Positive aus den negativen Einflüssen seiner Karriere herauszuziehen. "Ich war immer davon überzeugt, dass ich es als Profifußballer schaffen werde. Als ich in Bordeaux scheiterte, ging für mich die Welt nicht unter. Und das Erlebnis in Südafrika hatte ich kurz danach schon wieder verdrängt. Ich habe ein großes, empfindliches Herz, doch ich habe in meinem Leben gelernt, mit Rückschlägen umzugehen."
Der nur 1,67 Meter große Valbuena hat in den letzten Jahren eindrucksvoll bewiesen, dass man auch als Spätstarter große Erfolge im Fußball feiern kann. Über die Amateurklubs Langon-Castets und Libourne Saint-Seurin kam er 2006 zu Olympique Marseille. OMs damaliger Trainer Eric Gerets wollte ihn unbedingt.
"Er war mit großem Abstand der beste Spieler der 3. Liga. Ein explosives Kraftpaket, das sich blitzschnell von zwei, drei Gegenspielern befreien konnte, weil er so beweglich war", sagt Gerets. Aufgrund einer schweren Verletzung verpasste Valbuena den Großteil der Saison, schoss Marseille aber im letzten Saisonspiel beim 2:1 gegen Saint-Etienne mit seinem Siegtor in die Champions League.
Deschamps unter Beschuss
Als Franck Ribery Marseille 2007 Richtung München verließ, wurde Valbuena von Gerets als Nachfolger auserkoren. An der Seite von Samir Nasri blühte der beidfüßige Offensivspieler, der im Mittelfeld auf beiden Flügeln und im Zentrum spielen kann, auf, avancierte zum Publikumsliebling und bekam den Beinamen "le petit velo" (das kleine Fahrrad) in Anlehnung an seine Größe und OMs Stadionname Stade Velodrome.
Dort soll Valbuena am Mittwoch dafür sorgen, dass Olympique gegen den FC Bayern München die Tür zum Champions-League-Halbfinale aufstößt und Didier Deschamps wieder ruhiger arbeiten kann. Der Trainer steht nach sieben Niederlagen in den letzten vier Wochen mächtig unter Druck.
Die Leistungen in der Champions League stehen in dieser Saison im krassen Gegensatz zur Meisterschaft, in der OM lediglich Platz acht belegt. Hinzu kam das peinliche Pokal-Aus gegen den Drittligisten US Quevily.
Am Wochenende gab es immerhin einen Punkt gegen Nizza. "Das hilft, unsere Blutungen ein bisschen zu stoppen. Es reicht nicht, um sie vollständig anzuhalten, aber wir haben uns wenigstens eine Bandage angelegt. Sagen wir's so: Das Blut fließt nicht mehr", beschrieb Deschamps die Lage.
Für Valbuena ist das Spiel gegen die Bayern ein Wiedersehen mit seinem großen Vorbild Franck Ribery. "Auch wenn ich Vergleiche nicht mag, kann ich mir nur wünschen, dass meine weitere Karriere ähnlich wie seine verläuft", sagt Valbuena.
Immerhin stand er schon bei einigen europäischen Spitzenklubs wie Arsenal, Liverpool oder Inter Mailand auf dem Wunschzettel. Auch Felix Magath wollte Valbuena haben, als er noch Schalke-Trainer war.
Traumtor gegen Dortmund
Am sinnvollsten für einen Karrieresprung wäre gegen die Bayern ein ähnlich genialer Auftritt Valbuenas wie im letzten Spiel der Gruppenphase gegen Borussia Dortmund, als Valbuena Marseille mit seinem genialen Tor kurz vor Schluss erst in die K.o.-Phase schoss. Nach einem Einwurf von links hatte Valbuena zwei Dortmunder mit kurzen Haken stehen lassen und den Ball vom linken Strafraumeck in den rechten Winkel geschlenzt.
"Valbuena kennt sich mit deutschen Mannschaften bestens aus. Er war Matchwinner gegen Dortmund und beim Sieg der Nationalmannschaft in Deutschland dabei. Das muss doch auch gegen den FC Bayern klappen", schrieb die Sportzeitung "L'Equipe".
Im Falle eines Sieges wird Valbuena wieder eine Spritztour unternehmen. Der Spaß am Lamborghini fahren ist ihm durch den Unfall nicht vergangen. Vor ein paar Monaten schaffte er sich nämlich Ersatz für 250.000 Euro an.
Mathieu Valbuena im Steckbrief