SPOX: Herr Kirsten, in der Champions League trifft Bayer Leverkusen auf Schwergewichte wie Chelsea (20.30 Uhr im LIVE-TICKER und bei Sky) und den FC Valencia. Hat der Kader die Qualität, sich dort zu behaupten?
Ulf Kirsten: Absolut! Wir haben eine tolle Truppe, die mannschaftlich sehr gut funktioniert. Sicherlich gab es da zu Anfang durch das verlorene Pokalspiel ein wenig Unruhe. Dennoch ist die Mannschaft vollkommen intakt und auch, was die Individualisten angeht, sind wir bestens besetzt.
SPOX: In der vergangenen Saison verlieh Jupp Heynckes der Mannschaft eine lange vermisste Stabilität. Kann ein junger, international unerfahrener Trainer wie Robin Dutt diese Stabilität auf Dauer konservieren?
Kirsten: Das muss sich in dieser Saison zeigen. Ich denke, er hat genug Bundesliga-Erfahrung, wenn auch mit einem kleineren Verein, aber das macht ja nichts. Er hat die Mannschaft momentan voll im Griff und wenn Erfolg da ist, hat Bayer mit ihm alles richtig gemacht. Und Robin Dutt auch.
SPOX: Nicht nur der Trainerposten, sondern auch die Innenverteidigung ist mit Reinartz, Toprak und Schwaab äußerst jung besetzt. Mit Hyypiä fiel ein wichtiger Stabilitätsfaktor weg. Und nun heißen die Gegner Drogba, Torres und Anelka...
Kirsten: (lacht) Sicherlich wird das nicht ganz einfach, aber gerade einem Stefan Reinartz hat man in den letzten ein, zwei Jahren nicht zugetraut, so stark aufzuspielen. Er hat das bis jetzt hervorragend gemacht. Sicherlich hat er auch von Hyypiä gelernt und sich an dessen Seite weiterentwickelt.
SPOX: Bayer hat also kein Abwehrproblem?
Kirsten: Es wird immer von einer schwachen Abwehr geredet, doch wir haben in fünf Spielen nur drei Tore kassiert und dreimal zu null gespielt. Von daher kann sie nicht ganz so schwach sein.
SPOX: Im Mittelfeld hat Bayer mit Arturo Vidal eine weitere prägende Figur verloren. Wie schwer wiegt sein Weggang?
Kirsten: Wir können Arturos Abgang jederzeit auffangen. Wir haben genügend Potenzial im Mittelfeld, so dass das kein Problem sein wird.
SPOX: Sportlich betrachtet mag das richtig sein, doch fehlt neben eher ruhigen Zeitgenossen wie Bender, Rolfes und Co. nicht ein aggressiver Antreiber wie Vidal?
Kirsten: Der Simon hatte kein besonders gutes Jahr, war lange verletzt. Jetzt hat er sich wieder eingefunden, ist ein absoluter Leader und ein guter Kapitän. Dazu haben wir Michael Ballack, der auch wenn er nicht immer spielt, noch eine gute Rolle einnehmen wird. Stefan Kießling und Renato Augusto sind inzwischen ebenfalls erfahrene Profis. Von daher sind wir da gut aufgestellt.
SPOX: Sie gehen also nicht konform mit Oliver Kahns These, der einen aggressiven Leitwolf als Erfolgsfaktor eines Teams ausgemacht hat.
Kirsten: (lacht) Der Letzte, der bei uns aggressiv war, hat eine Rote Karte gekriegt (Michal Kadlec, Anm. d. Red.). Sicherlich gehört ein Schuss Aggressivität dazu, aber wenn man als Team gut zusammenspielt, ist das zweitrangig.
SPOX: Sie sprachen Michael Ballack an, den Sie aus gemeinsamen Bayer-Zeiten bestens kennen. Nach außen hin wirkt er trotz seiner Reservistenrolle beinahe gelassen - was glauben Sie geht hinter dieser Fassade in ihm vor?
Kirsten: Gegen Augsburg hat er ja jetzt wieder gespielt. Natürlich wird es davor in Micha gebrodelt haben, aber er geht damit eben sehr professionell um. Und ganz ehrlich: Wenn ihm das nicht stinken würde, wäre er sicherlich kein guter Profi. Er hat jetzt einige schwierige Situationen durchlebt, aber er wird seine Einsatzzeiten bei Bayer bekommen und dort eine sehr starke Rolle spielen.
SPOX: Braucht ein Michael Ballack nicht das volle Vertrauen des Trainers, um Bayer zu helfen?
Kirsten: Ein erfahrener Spieler wie er kann auch von der Bank aus sehr hilfreich für die Mannschaft sein.
SPOX: Sein Kapitäns-Nachfolger in der Nationalmannschaft, Philipp Lahm, machte zuletzt mit seinem viel diskutierten Buch Schlagzeilen. Haben Sie es gelesen?
Kirsten: Nein.
SPOX: Werden Sie noch?
Kirsten: Nein.
SPOX: Scheint nicht Ihr Lieblingsthema zu sein.
Kirsten: Ich denke, da ist jetzt genug darüber gesagt worden. Ich muss mich nicht auch noch dazu auslassen. Er hat seinen Fehler eingesehen und damit ist es gut.
SPOX: Ein Ulf Kirsten-Buch dürfen wir demnach wohl vorerst nicht erwarten?
Kirsten: (lacht) Nein, ich glaube nicht.
SPOX: Zuletzt waren Sie als Repräsentant bei Bayer Leverkusen tätig. Wie geht es nun für Sie weiter?
Kirsten: Momentan mache ich hauptberuflich gar nichts. Ich hospitiere in Bayers Scouting-Abteilung und schaue den Leuten dort über die Schulter. Ich weiß noch nicht, was die Zukunft bringt und werde mich weiter fortbilden, Trainingsbeobachtungen machen und vielleicht auch nochmal ins Ausland gehen. Einfach mal in der eigenen Sache unterwegs sein.
SPOX: Auch in Bayers Marketing-Abteilung schnupperten Sie schon hinein.
Kirsten: Mir ist das ermöglicht worden, dort ein wenig über den Tellerrand hinauszuschauen. Die Türen stehen dort auch weiter offen. Michael Reschke und Rudi Völler stehen voll dahinter und helfen mir dabei.
SPOX: Sie wollten vor einigen Monaten eine Kooperation zwischen ihren Ex-Klubs Dynamo Dresden und Bayer Leverkusen ins Leben rufen - was wurde daraus?
Kirsten: Die Dresdner wollen das nicht. Das ist der Stand heute, aber das kann sich natürlich alles noch ändern.
SPOX: Ihr Sohn Benjamin war als Torhüter bei Dynamo Dresden einer der Aufstiegshelden der vergangenen Saison. Nun wurden mit Dennis Eilhoff und Wolfgang Hesl gleich zwei neue Keeper verpflichtet.
Kirsten: Dass nach einer Verletzung für Ersatz gesorgt wird, ist eigentlich nachvollziehbar. Was mir mehr Sorge macht ist, dass 16 Spieler von der Aufstiegsmannschaft ausgetauscht wurden und ein komplett neues Team geholt wurde. Das stimmt mich nachdenklich, weil die andere Mannschaft eigentlich eingespielt und intakt war. Aber gut, das ist Dynamos Sache und die müssen in dieser Saison damit klarkommen.
SPOX: Sie scheinen nicht gerade überzeugt von Dynamos Transferaktivitäten zu sein...
Kirsten: Ich hoffe einfach nur, dass die Klasse gehalten wird.
Die Champions-League-Gruppe von Bayer Leverkusen