Als Didier Deschamps im Mai 2001 für den FC Valencia sein letztes Spiel als Fußballprofi bestritt, hatte er seine Hand schon an nahezu jedem Pott gehabt, den es im internationalen Fußball zu gewinnen gibt: Weltmeister, Europameister, Champions-League- und Weltpokalsieger. Dazu mehrfacher nationaler Meister und Pokalsieger mit seinen Klubs. Die ganz große Bühne überließ der Defensivspieler dabei immer anderen. Dem Künstler Zinedine Zidane, dem Torjäger David Trezeguet, oder der Kombination aus beiden Erstgenannten, Thierry Henry.
Im modernen Fußball pflegt man Spieler, wie Deschamps einer war, wahlweise als Schalterspieler oder - mit etwas mehr Phantasie - auch als Klavierträger zu bezeichnen: Sie liefern das Instrument, darauf spielen dürfen andere. Doch Deschamps war mehr als nur ein Lieferant für das Orchester, vielmehr dirigierte er es auf und auch neben dem Platz.
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Challandes: "Er dachte schon als Spieler wie ein Trainer"
"Deschamps war schon als Spieler einer der Leitwölfe und eine wichtige Figur in der Kabine. Er dachte schon als Spieler wie ein Trainer", charakterisierte einst der Schweizer Trainer Bernard Challandes den in Bayonne geborenen Basken.
Dass er mit dieser Analyse richtig lag, zeigt besonders der Dokumentarfilm "Les Yeux dans les Bleus" des Filmemachers Stephane Meunier. Der begleitete die französische Nationalmannschaft auf ihrem Weg zum WM-Titel 1998 und lieferte intime Einblicke in die Teamstruktur der von Aime Jacquet betreuten Equipe Tricolore.
Darin ist Deschamps zu sehen, wie er von Nationaltrainer Aime Jacquet ungestört in der Halbzeitpause zur Mannschaft spricht und dieser Anweisungen gibt. Für Jacquet keine Untergrabung seiner Autorität, sondern vielmehr der Höhepunkt einer von Respekt und gegenseitiger Wertschätzung geprägten Partnerschaft.
Holpriger Start ins Trainergeschäft
So verwunderte es niemanden, als Deschamps unmittelbar im Anschluss an seine aktive Karriere im Sommer 2001 als Chef-Coach den AS Monaco übernahm. Der Klub aus dem Fürstentum hatte die Saison als amtierender Meister nur auf Platz elf beendet und setzte große Erwartungen in die Verpflichtung des 32-jährigen Erfolgsgaranten. Er sollte frischen Wind an die Mittelmeerküste bringen und der Mannschaft einen Teil seiner Siegermentalität einpflanzen.
In seiner ersten Spielzeit stürzte Monaco aber sogar noch weiter ab und belegte in der Endabrechnung nur Rang 15. "Ich habe das Team überschätzt. Die Spieler müssen sich mehr reinhängen. Und ich muss ein taktisches Gleichgewicht finden", zeigte sich Deschamps selbstkritisch und ließ zweimal Platz drei und einmal Platz zwei in der Ligue 1 folgen.
Jüngster Trainer in einem Champions-League-Finale
Der größte Wurf gelang dem damals 35-Jährigen aber in der Champions-League-Saison 2003/2004, als er Außenseiter Monaco völlig überraschend ins Finale der Champions League führte und dabei Real Madrid und den FC Chelsea ausschaltete. Für seine Spieler war klar, wer den Hauptanteil an diesen Erfolgen trug.
"Man merkt, dass er erst vor kurzem den aktiven Fußball aufgegeben hat", sagte Stürmer Fernando Morientes damals über seinen Coach, "er ist so eng bei dem Team, dass man oft das Gefühl hat, er sei gar nicht der Trainer. In meiner Zeit bei Real Madrid waren Mannschaft und Coach zwei paar Stiefel. Hier ist Didier Deschamps einer von uns."
Im Finale mussten sich die Monegassen zwar dem FC Porto unter Jose Mourinho geschlagen geben, trotzdem steht der Name Deschamps bis heute als jüngster Trainer in einem Champions-League-Finale in den Geschichtsbüchern.
Rücktritte und Pausen bremsen Aufstieg
Im September 2005 trat Didier Deschamps schließlich nach Querelen mit der Vereinsführung beim AS Monaco zurück und pausierte bis Juli 2006, bevor er bei Juventus Turin auf der Bank Platz nahm. Für die Alte Dame hatte er bereits als Aktiver über 100 Mal auf dem Platz gestanden und 1996 die Champions League geholt. Nach dem Zwangsabstieg führte er Juve als Meister der Serie B zurück ins italienische Fußball-Oberhaus, ehe er nach nur einer Saison auch dort überraschend seinen Rückzug verkündete.
"Damals schien es mir der richtige und kohärente Schritt. In Wahrheit war es aber ein Fehler. Je mehr Zeit verging, desto mehr habe ich verstanden, dass die Fußball-Entscheidungsträger, die komplette Szene, die Gründe meiner Entscheidung nicht verstanden hatten", gestand er im April 2011 der Turiner Tageszeitung "La Stampa". Deschamps weiter: "Der Verein und ich hatten andere Sichtweisen und leider hat mir mein Umfeld auch nicht zur besten Entscheidung geraten und nichts getan, um die Divergenzen zu beseitigen."
Der Abgang bei Juve laste ihm bis heute als Makel an: "Ein Beispiel: Als Liverpool mich kontaktierte (Anm. d. Red.: erstmals im Sommer 2010), war die erste Frage: 'Wieso sind Sie von Juve weggegangen?'."
Erster Titel für Olympique Marseille nach 17-jähriger Durststrecke
Seit 2009 leitet er nun die Geschicke beim französischen Traditionsklub Olympique Marseille. 2010 holte er auf Anhieb Meisterschaft und Ligapokal und beendete so die 17-jährige Durststrecke der Südfranzosen - spätestens seitdem gilt er bei OM als lebende Legende.
Nach der Vizemeisterschaft in der letzten Saison, legte der neunmalige französische Meister in der aktuellen Spielzeit einen glatten Fehlstart hin: nach sechs Spieltagen war man mit nur drei Punkten Tabellenletzter, was auch seinem Denkmal erste Kratzer verlieh. "Didier Deschamps Stuhl wackelt nicht. Er hat langfristig die Schlüssel zu diesem Platz", stärkte Marseille-Präsident Vincent Labrune dem Trainer aber demonstrativ den Rücken. Mit zuletzt vier Punkten aus zwei Spielen und aktuell Tabellenplatz 13 ist ein leichter Aufwärtstrend spürbar.
Ziel mit OM: Champions-League-Achtelfinale
In der diesjährigen Saison in der Königsklasse will Deschamps mit seinem Team erneut die Gruppenphase überstehen. "Unser Ziel ist es, uns zum zweiten Mal in Folge fürs Achtelfinale zu qualifizieren, auch wenn die Gruppe F schwierig ist", sagte er im "Kicker"-Interview vor der Partie gegen Borussia Dortmund. Vor allem der deutsche Meister sei ein gefährlicher Gegner.
"Die Borussia steht für Fußball total, jung, athletisch, schnell", lobte er, betonte aber auch die eigenen Stärken, die man gegen Olympiakos Piräus bewiesen habe: "Positiv war, dass wir dort kaum Fehler gemacht haben", trotzdem sei der Sieg "eine Zangengeburt" gewesen.
Taktisch bevorzugt Deschamps seit dieser Saison ein 4-2-3-1-System, das besonders auf die schnellen Spieler Loic Remy, Mathieu Valbuena und Andre Ayew zugeschnitten ist. Mit Lucho Gonzalez verfügt er zudem über einen erfahrenen Taktgeber, der gegen Piräus das Siegtor erzielte. Der größte Schwachpunkt im Team von OM ist bisher die Defensive, die nach den Abgängen von Gabriel Heinze und Taye Taiwo an Stabilität verlor und die sich laut Deschamps zu viele "individuelle Fehler" leiste.
Wunsch-Selectionneur der Franzosen
"Wir haben starke Nerven, können hart arbeiten und sind ausdauernd", charakterisierte Deschamps vor dem WM-Finale 1998 die baskische Mentalität. Es wäre nicht verwunderlich, wenn ihm diese Eigenschaften irgendwann zum Posten des französischen Nationaltrainers verhelfen würden. Ginge es nach den Franzosen wäre er dies längst.
Überragende 43 Prozent der Teilnehmer wollten ihn laut einer Umfrage der französischen Sportzeitung "L'Equipe" bereits im Jahr 2008 als Nachfolger des umstrittenen Trainers Raymond Domenech sehen. Mit 17 Prozent abgeschlagen dahinter, der Teammanager des FC Arsenal, Arsene Wenger, sowie Laurent Blanc - Mitstreiter aus alten Tagen und aktueller Selectionneur der Les Bleus.
Vertrag bei OM läuft bis 2014
Doch Deschamps wäre nicht Deschamps, wenn er Blanc - neben ihm selbst, Desailly und Zidane einer der Leitwölfe der 98er-WM-Elf - den Erfolg nicht gönnen würde. "Ich bin davon überzeugt, dass Laurent Blanc die menschlichen und fachlichen Qualitäten mitbringt, um einen guten Job zu machen", gab er dem 45-Jährigen volle Rückendeckung.
So wird man den Mittelfeld-Dirigenten von einst vorerst weiterhin im europäischen Vereinsfußball an der Linie sehen. Im Juni verlängerte er seinen Vertrag bei Olympique bis ins Jahr 2014.
Eigentlich gute Voraussetzungen für die Weiß-Blauen, wenngleich schon der junge Deschamps klarstellte: "Ich muss das Gefühl haben, dass ich alles unter Kontrolle habe. Aber ich mache auch Fehler. Das ist kein Problem, wenn man sich vorbildlich und ausgeglichen verhält."
Sollte dies nicht der Fall sein, könnte es sein, dass die Trainer-Karriere des Didier Deschamps erneut einen Umweg nimmt - es wäre nicht das erste Mal.
Die voraussichtlichen Aufstellungen:
Marseille: Mandana - Azpilicueta, Diawara, Nkoulou, Traore - Diarra, Kabore - Valbuena, Lucho, Ayew - Remy. - Trainer: Deschamps
Dortmund: Weidenfeller - Piszczek, Subotic, Hummels, Schmelzer (Löwe) - Bender, Kehl - Götze, Kagawa, Perisic - Lewandowski. - Trainer: Klopp
Schiedsrichter: Jonas Eriksson (Schweden)
Didier Deschamps im Steckbrief