Als Nürnbergs Trainer Jens Keller nach diesem überraschenden 5:2-Sieg seiner Mannschaft gegen den FC Bayern zu seiner Meinung zum Spiel befragt wurde, sprach er die erste Halbzeit an: "Da ist Bayern mit der kompletten Kapelle angetreten und wir haben es trotzdem sehr, sehr gut gemacht."
Damit lobte er einerseits seine eigene Mannschaft und legte andererseits das große Problem der gegnerischen Mannschaft offen: Diese komplette Kapelle des FC Bayern war nämlich tatsächlich die komplette Kapelle. Arrivierte Ersatzgeiger oder -trommler hatte Kellers Gegenüber Hansi Flick nämlich keine mehr zur Verfügung.
Eine Woche vor dem Rückrundenauftakt bei Hertha BSC fehlten Lucas Hernandez, Kingsley Coman, Javi Martinez, Niklas Süle, Robert Lewandowski und Serge Gnabry verletzungsbedingt. Zumindest bei letzteren beiden besteht noch Hoffnung, dass es für Einsätze gegen die Hertha reicht. Thiago, der in Nürnberg fehlte, um bei der Geburt seiner Tochter Siena dabei zu sein, wird nächsten Samstag zwar wieder dabei sein, Joshua Kimmich jedoch gelbgesperrt fehlen. "Viele Alternativen gibt es nicht", sagte Flick und untertrieb damit maßlos. Aktuell gibt es nämlich keine Alternativen.
Alles was Rang und Namen hatte stand in Nürnberg zu Beginn auf dem Platz, auf der Bank saßen neben Keeper Sven Ulreich elf Nachwuchsspieler - von A wie Arp bis Z wie Zirkzee. Die erste Halbzeit zwischen Nürnberg und der kompletten Kapelle endete 1:1. Zur Pause wechselte Flick seine komplette Kapelle aus und die zweite Halbzeit zwischen Nürnberg und den ganzen Arps und Zirkzees endete 1:4. Zusammengerechnet machte das 2:5. Der große FC Bayern hatte tatsächlich mit 2:5 gegen Nürnberg verloren und die Mängelliste war lang.
FC Bayern: Einfache Fehler, fehlender Zugriff
"Wir hatten schon viele einfache Fehler dabei, gerade wir im Mittelfeld beim Spielaufbau", sagte Kimmich, der sich in den ersten 45 Minuten zwölf Ballverluste und somit die meisten aller Bayernspieler leistete. Nürnberg konterte nach Ballgewinn schnell und überrumpelte so ein ums andere Mal die hochstehende Viererkette des FC Bayern. Vor allem Jerome Boateng kam bei kaum einem Konter hinterher, geschweige denn ordentlich in den Zweikampf. Vor dem zwischenzeitlichen 0:1 etwa attackierte er den Torschützen Michael Frey nicht aggressiv genug. Sein Einsatz gegen die Hertha ist ob der Verletztenliste trotzdem so gut wie alternativlos.
"Wir haben immer wieder schnelle Konter zugelassen und nicht gut genug nach vorne verteidigt. Wir haben den Gegnern zu viel Platz gelassen und sie ihre Schnelligkeit ausnutzen lassen", sagte Flick, und forderte: "Wir müssen bei Ballverlusten eine bessere Ordnung, einen besseren Zugriff haben."
Nicht wirklich geklappt hat in Ermangelung eines nominellen Lewandowski-Ersatzes auch das Experiment mit Ivan Perisic als Mittelstürmer. Er verzeichnete nach Keeper Manuel Neuer die zweitwenigsten Ballaktionen aller Bayern-Spieler und gab lediglich zwei Schüsse ab.
Arp, Zirkzee und Cuisance enttäuschten
Als mögliche Alternativen zur kompletten Kapelle empfahl sich in der zweiten Halbzeit auch keiner der Nachwuchsspieler nachhaltig, nicht einmal die Bekannteren unter den Unbekannten. Jann-Fiete Arp war genau wie Joshua Zirkzee kein Faktor. Michael Cuisance gewann im Mittelfeld nicht einmal 20 Prozent seiner Zweikämpfe und verschoss darüber hinaus einen Elfmeter. Positiv in Erscheinung trat lediglich Mittelfeldspieler Malik Tillmann, der den Elfmeter herausholte und spät zum 2:5 traf.
"Im Trainingslager haben es die jungen Spieler sehr gut gemacht, heute war es aber gerade defensiv weniger gut", sagte Flick. Die Spieler seien "einen Ticken" überfordert gewesen. Das lag aber auch am Versagen der kompletten Kapelle, von der sich Flick erwartet hatte, dass sie "das eine oder andere Tor vorlegt, damit die jungen Spieler mit ein bisschen mehr Vertrauen reingehen können".
Kimmich: "Der Jugendspielertisch war relativ voll"
Mit der gezeigten Leistung und dem erzielten Ergebnis hat die Mannschaft, die ihren Trainer Flick ja ohnehin in fast jedem Belang bestätigt, diesen jedenfalls auch in seiner vielzitierten Mahnung von Doha bestärkt. Um für die Rückrunde gerüstet zu sein, brauche der FC Bayern "mindestens zwei" neue Spieler, hatte Flick der Süddeutschen Zeitung gesagt: "Auf jeden Fall einen für die Defensive und vielleicht auch einen für die offensive Außenbahn."
Kimmich pflichtete Flick in Nürnberg bei: "Wenn du bis zum Ende auf drei Hochzeiten tanzen willst, dann sind wir darauf angewiesen, dass wir mehr fitte Spieler haben als 13, 14. Fakt ist, dass wir momentan dünn besetzt sind." Süffisant merkte er noch an, dass "der Jugendspielertisch beim Trainingslager relativ voll" gewesen sei: "In meinem ersten Jahr beim FC Bayern war das noch nicht so der Fall."
Angesprochen auf seine Transfer-Mahnung erklärte Flick lediglich, dass er sich mit Sportdirektor Hasan Salihamidzic nochmal zusammensetzen werde, um "diese Dinge" zu besprechen. Und dann fand er sogar noch einen positiven Aspekt an diesem verkorksten Nachmittag von Nürnberg: "Wichtig war für mich, dass sich kein weiterer Spieler verletzt hat."