Bono, Kepa, Sánchez, Ortega, Martínez: Das sind nicht etwa die Mitglieder einer neuen Boyband am Pop-Himmel, sie alle sind Torhüter. Torhüter, die neben ihrer Leidenschaft für das Vereiteln von Torchancen spätestens seit diesem Sommer eine weitere Gemeinsamkeit haben. Jeder von ihnen war in irgendeiner Form beim FC Bayern München im Gespräch. Und das ist nur ein Bruchteil der Namen, die laut den Gazetten an der Säbener Straße diskutiert wurden.
Die Spur zu Kepa war die vermeintlich heißeste. Mit dem bis heute teuersten Keeper der Welt war man sich dem Vernehmen nach einig, ehe Real Madrid die Verhandlungen torpedierte und Bayern den Spanier wegschnappte. Yassine "Bono" Bounou vom FC Sevilla oder der vereinslose David de Gea - sein Name hat durchaus auch Boyband-Potenzial - waren zu teuer. Manchester Citys Stefan Ortega wollte angeblich eine Einsatzgarantie. Das Namedropping kannte keine Grenzen.
Umso überraschender tauchte letztlich der Name von Daniel Peretz auf. Der im Vergleich zu den anderen Kandidaten völlig unbekannte Torhüter von Maccabi Tel Aviv soll sich zunächst hinter Sven Ulreich (35) einreihen. Denn die erfolglose Suche nach einer neuen Nummer zwei, bis Manuel Neuer (37) sich vollständig von seinem Skiunfall erholt hat, endete in einem Sinneswandel.
Ulreich wird wie schon bei Neuers ersten längeren Zwangspause für seine Dienste als langjähriger Ersatzkeeper belohnt und bekam mit Peretz keine Star-Lösung vor die Nase gesetzt Der Israeli soll, so der Plan, von seinen zwei erfahrenen Kollegen lernen und womöglich zur künftigen Nummer eins reifen.
Fünf Millionen Euro überwies Bayern für Peretz nach Tel Aviv, Ende August wurde die Verpflichtung des 23-Jährigen offiziell gemacht. Und nachdem er seit seiner Ankunft bis dato stets auf der Bank saß, wird er im Erstrundenspiel im DFB-Pokal bei Drittligist Preußen Münster am Dienstagabend (20.45 Uhr) nun auch erstmals für den FCB auflaufen dürfen.
"Ich bin es aus dem Ausland gewohnt, dass der zweite Torwart, wenn er sich das auch verdient hat, die Möglichkeit bekommt, im Pokal zu spielen", betonte Trainer Thomas Tuchel im Vorfeld und führte aus: "Weil das wichtig ist. Das ist wichtig für ihn, das ist wichtig für den Notfall, falls mal was passiert. Das hat aus meiner Sicht einfach nur Vorteile. Daniel verhält sich absolut top, das ganze Torwartteam mit den Trainern ist eine homogene Einheit, die sich sehr respektvoll pushen. Sven macht es herausragend gut gerade. Daniel haben wir mit viel Potenzial und vielen Hoffnungen für die Zukunft verpflichtet. Der hat sich das verdient."
FC Bayern München: Tränenreicher Abschied von Daniel Peretz
Peretz ist der breiten Masse zwar kein Begriff. Beim großen FC Bayern ist man aber durch die Bank weg von dem 23-Jährigen überzeugt. Schon vor der Bekanntgabe des Deals war der Vorstandsvorsitzende Jan-Christian Dreesen ins Schwärmen geraten. "Wir diskutieren ja keine Namen, wenn sie nicht fix sind. Also insofern: Daniel Peretz ist ein guter Junge, ein Klasse-Torwart."
Solch offensive Aussagen aus der aktiven Bayern-Führung, Uli Hoeneß also ausgeklammert, sind durchaus ungewöhnlich, unterstreichen aber auch, wie hoch die Meinung von Peretz ist. In seinem Heimatland gehört er trotz seines Alters schon zu den besten seines Fachs.
Bereits mit sechs Jahren trat er der Jugendakademie des israelischen Topklubs Maccabi Tel Aviv, in seiner Geburtsstadt, bei. 2019 stieg er mit 19 zu den Profis auf, ehe er in die dritte Liga Israels verliehen wurde und sich in der Saison 2021/22 einen Stammplatz sicherte. Entsprechend emotional fielen seine Worte aus, als er sich in der vergangenen Woche schon von den Fans verabschiedete. Mit Tränen in den Augen verkündete Peretz angelehnt an die Vereinsfarben: "Ich werde immer Gelb bleiben."
Peretz war bereits in seinem ersten Jahr als Nummer eins durch seine guten Leistungen zum Publikumsliebling aufgestiegen, als er großen Anteil am Einzug ins Achtelfinale der Conference League hatte. Es folgte zwar eine für die Ansprüche von Maccabi Tel Aviv enttäuschende Saison mit dem frühen Aus in der Qualifikation für den noch jungen Wettbewerb und Platz drei in der Liga. Peretz hatte daran aber nicht wirklich Schuld. Besser lief es dafür auf einer anderen großen Bühne.
Daniel Peretz: Albtraum von Moukoko und Ngankam
Obwohl Peretz bereits 2021 sein Debüt für die A-Nationalmannschaft Israels feierte, nutzte er die Gunst der Stunde und nahm an der U21-Europameisterschaft teil. Nachdem er bereits in den Playoffs mit drei gehaltenen Elfmetern gegen Irland zum Helden avancierte, stellte sich Peretz im ersten Spiel der Endrunde mit einer herausragenden Leistung endgültig ins Rampenlicht.
Die Leidtragenden waren ausgerechnet die DFB-Junioren, von denen Peretz bei einem Wechsel in Zukunft einen Großteil wiedersehen würde. Insbesondere für Youssoufa Moukoko (BVB) und Jessic Ngankam (Eintracht Frankfurt) dürfte eine Begegnung schlechte Erinnerungen wecken, sie beide scheiterten beim 1:1 vom Punkt an Peretz. Während für Deutschland nach der Gruppenphase Schluss war, schaffte es Israel überraschend ins Halbfinale. Beim 0:2 gegen England fehlte Peretz aufgrund einer Gelbsperre.
Die Sternstunde gegen den DFB-Nachwuchs dürfte auch den FC Bayern auf den Plan gerufen haben, zumal der Vertrag von Peretz im nächsten Sommer ausgelaufen wäre. Letztlich konnte Maccabi nicht mehr ablehnen.
Daniel Peretz: "Israelischer Neuer" mit deutschem Pass
Ein weiterer Pluspunkt: Peretz ist der deutschen Sprache mächtig. Aufgrund seiner aschkenasischen Herkunft (Juden, die sich ursprünglich vor allem im deutschen Raum niedergelassen hatten und von denen sehr viele während des Holocausts getötet wurden) besitzt er neben dem israelischen auch den deutschen Pass. Selbst für die deutsche Nationalmannschaft dürfte er noch spielen, weil sein bislang einziger Auftritt für Israel lediglich ein Freundschaftsspiel war.
Viel wichtiger für die Bayern ist freilich aber, dass die Gala-Vorstellungen von Peretz keine Einzelfälle sind. Sie sind vielmehr die Regel. Neben seinem Gardemaß von 1,90 Meter bringt er alle Fähigkeiten des modernen Torwartspiels mit. "Daniel ist Manuel Neuer 2.0., der israelische Neuer!", sagte Landsmann und Ex-Bundesliga-Profi Almog Cohen (1. FC Nürnberg und FC Ingolstadt) gegenüber der Bild-Zeitung.
Den gewagten Vergleich begründete der heutige Sportdirektor des israelischen Klubs Maccabi Netany mit dem "guten Gesamtpaket aus Reflexen und Strafraum-Beherrschung" von Peretz. "Er ist ein richtig großes Talent. Ich verfolge ihn seit drei, vier Jahren - da hat er noch einmal eine große Entwicklung genommen", ergänzte Cohen: "Daniel hat eine echte Arbeiter-Mentalität, will sich immer weiterentwickeln - zum Beispiel im Kraftraum, obwohl er schon einen guten Körperbau hat."
FC Bayern München: Daniel Peretz die künftige Nummer eins?
Auch wenn sich seine Qualitäten im Aufbau ebenfalls sehen lassen können, müsse Peretz vor allem in Sachen Spielverständnis noch eine Schippe draufpacken. "Um Bayern wirklich helfen zu können, muss Daniel in allen Bereichen noch besser werden", betonte Cohen. Aber Peretz hätte "das Potenzial, sich auf dieses Niveau hochzuarbeiten und Bayerns Sieger-Mentalität zu lernen."
Cohens Aussagen spiegeln sich auch in der Datenbank von fbref.com zur Conference-League-Saison 2021/22 wieder. In sieben Spielen parierte Peretz 22 von 27 Schüssen auf sein Tor. Er bekam ganze drei Gegentreffer weniger als die "Expected Goals"-Werte (insgesamt 8,1) vermuten ließen. Seine Passquote ist mit 70 Prozent noch ausbaufähig, hängt aber auch mit seinen ungenauen langen Bällen zusammen, die bei Maccabi ohnehin kein seltenes Mittel sind.
In Neuer hat Peretz den wohl besten Lehrer, um sein Spielverständnis zu verbessern. Und wie das in Filmen meistens der Fall ist, löst der Lehrling seinen Meister womöglich auch irgendwann beim "FC Hollywood" ab. An dieses Szenario glaubt auch Cohen: "Wenn Peretz noch ein Jahr mit Neuer und Ulreich bei Bayern arbeiten darf, kann er irgendwann in den Zirkel der 15 besten Torhüter der Welt kommen - und durchaus auch Bayerns Nummer eins werden, wenn Neuer irgendwann aufhört."
FC Bayern München: Die Leistungsdaten von Daniel Peretz bei Maccabi Tel Aviv
Saison | Spiele (ohne Gegentor) | Gegentore |
2023/24 | 4 (3) | 1 |
2022/23 | 45 (25) | 32 |
2021/22 | 52 (16) | 49 |