Auf drei furiose Siege, nach denen die Bundesliga-Saison von manchem schon wieder für beendet erklärt wurde, folgten drei Unentschieden des FC Bayern München. Wurde Trainer Julian Nagelsmann zu Beginn der Saison noch für die neue und dynamische Spielweise seines Teams gefeiert, so steht er jetzt abermals in der Kritik. Und auch intern soll es unruhig werden.
Hasan Salihamidzic bezeichnete die aktuelle Phase des 35-Jährigen als "Lernprozess" und stellte sich im Doppelpass von Sport1 voll und ganz hinter seinen Trainer. Chancenverwertung, Durchschlagskraft, Tore - den Bayern fehlt es derzeit an Offensivpower. Vor dem Duell mit dem FC Barcelona am Dienstag in der Champions League (21 Uhr im LIVETICKER) dominiert deshalb ein Thema: Die Rückkehr von Robert Lewandowski.
Der Pole war in den vergangenen Jahren die Lebensversicherung der Münchner. Seine Tore gilt es in dieser Saison zu ersetzen. Wie gut das gelingen kann, ließ der furiose Start in den ersten Pflichtspielen vermuten. Vor allem die Unentschieden gegen Union Berlin (1:1) und den VfB Stuttgart (2:2) entfachten aber neue Kritik am nun stürmerlosen Spiel des FC Bayern. Doch wie groß ist der Unterschied zur vergangenen Saison tatsächlich? SPOX und GOAL werfen via fbref.com einen Blick in die Daten von StatsBomb.
FC Bayern: Daten zeigen Unterschiede in der Spielweise
Die Stichprobengröße ist bei erst sechs Bundesliga-Spieltagen sicher noch nicht groß genug, um ein endgültiges Urteil zu fällen. Gleichzeitig ist sie ausreichend für einen ersten Eindruck. Ein wichtiger Aspekt ist, dass sich die Spielanlage insgesamt etwas verändert hat. Bayern hat im Schnitt 67,8 Prozent Ballbesitz im Vergleich zu den 64,8 Prozent der vergangenen Spielzeit. Auch die Passquote ist mit nun 87,9 Prozent höher als zuvor (86 %).
Dass die Münchner pro 90 Minuten knapp 20 weniger Pässe unter Druck spielen (78,8 zu 99,6) unterstreicht den Eindruck, dass das Ballbesitzspiel ruhiger geworden ist. Bayern will mehr Kontrolle haben und einen offenen Schlagabtausch möglichst verhindern. Dafür scheint das Team im Ballvortrag weniger Risiko einzugehen.
Inwiefern diese Veränderung mit dem Abgang von Lewandowski zusammenhängt, ist unklar. Interessant aber ist, dass die Bayern aktuell mehr Abschlüsse haben als im Vorjahr, die einzelnen Schüsse dafür aber weniger Qualität haben. Im Durchschnitt ist die Distanz zum Tor bei den Abschlüssen nämlich um einen Meter größer geworden - und auch der Expected-Goals-Wert pro Schuss ist gesunken.
FC Bayern München: Datenvergleich zur Vorsaison in der Bundesliga
Statistik pro 90 Minuten | 2021/22 | 2022/23 |
Ballbesitz | 64,8 | 67,8 % |
Passquote | 86 % | 87,9 % |
Anteil Flachpässe | 75,3 % | 77,4 % |
Ballkontakte gegnerischer Strafraum | 41,1 | 42,2 |
Flanken | 14,6 | 12,3 |
Schüsse | 19,8 | 23,7 |
Durchschnittliche Schussdistanz | 14,5 Meter | 15,5 Meter |
Expected Goals | 2,59 | 2,65 |
Expected Goals pro Schuss | 0,13 | 0,11 |
Tore | 2,9 | 3,1 |
FC Bayern: Weniger Flanken, mehr Kombinationen
Fast schon zwangsläufig schlagen die Bayern in dieser Saison auch weniger Flanken. 12,3 sind es pro 90 Minuten im Vergleich zu 14,6 im Vorjahr. Was sich mit Zahlen nicht nachweisen lässt, aber fast schon folgerichtig erscheint, ist, dass die Münchner dabei mehr Wert darauf legen, flache Flanken zu schlagen.
Ein gutes Beispiel dafür ist der 1:0-Führungstreffer von Mathys Tel gegen Stuttgart, als Alphonso Davies auf dem linken Flügel einen überlegten Pass in den Rückraum spielte. In der Statistik taucht diese Torvorlage als Flanke auf. Bayern hat an Kopfballstärke verloren, will dafür aber spielerisch nochmal zulegen.
Immerhin ist der Anteil an Flachpässen im Spiel des Rekordmeisters um rund zwei Prozent auf 77,4 Prozent angestiegen. Unter dem Strich stehen letztendlich aber ähnliche Zahlen. Das betrifft sowohl die Tore und die Expected Goals, als auch die Ballkontakte im gegnerischen Strafraum. Denn dort haben die Bayern in dieser Saison 42,2 pro Spiel im Vergleich zu 41,1 in der letzten Saison.
FC Bayern: Sadio Mané als neuer Robert Lewandowski?
Die Frage nach einem Ersatz für Lewandowski könnte dementsprechend also so beantwortet werden, wie sie bisher auch immer beantwortet wurde: Das Team muss sich die Aufgaben nun aufteilen. Doch die Daten zeigen eine bemerkenswerte Ähnlichkeit zwischen Lewandowskis letzter Bayern-Saison und Sadio Mané.
Abschlüsse, Ballkontakte, Ziel eines Zuspiels, Kontakte im Angriffsdrittel und Strafraum, Pässe und selbst die Arbeit gegen den Ball - es gibt nach den ersten sechs Bundesliga-Partien große Gemeinsamkeiten zwischen den beiden Angreifern.
FC Bayern München: Robert Lewandowski und Sadio Mané in der Bundesliga
Statistik pro 90 Minuten | Lewandowski 2021/22 | Mané 2022/23 |
Ballkontakte (im Angriffsdrittel) | 36,7 (21,9) | 36,4 (23,6) |
Ballkontakte gegnerischer Strafraum | 8,35 | 8,22 |
Angespielt worden (erfolgreich) | 45 (28,4) | 44,7 (28,9) |
Pässe (erfolgreich) | 23,5 (18) | 22,9 (17,3) |
Pässe unter Druck | 6,45 | 4,22 |
Pässe per Kopf | 0,89 | 0,22 |
Schüsse | 4,8 | 4,22 |
Durchschnittliche Schussdistanz | 11,5 Meter | 10,6 Meter |
Expected Goals | 1 | 0,77 |
Expected Assists | 0,17 | 0,07 |
Tore | 1,07 | 0,67 |
Assists | 0,09 | 0 |
Und tatsächlich wird Mané im System von Nagelsmann derzeit ähnlich eingebunden wie Lewandowski zuvor. Mit dem Unterschied, dass der Senegalese seltener mit hohen oder halbhohen Bällen angespielt wird.
Für die Bayern könnte das ein Problem sein. Denn Mané ist zumindest bisher bei weitem nicht in der Lage, in der wichtigsten Statistik mitzuhalten. 0,67 Tore und 0,77 Expected Goals pro 90 Minuten sind im Vergleich zu Lewandowskis 1,07 Treffern bei einem erwartbaren Tor deutlich schwächer.
Fremdelt Sadio Mané mit dem System des FC Bayern?
Im 4-2-2-2 der Anfangsphase der Saison schien der Neuzugang vom FC Liverpool besser zu funktionieren, weil er sich die Räume auf der Neunerposition mit Serge Gnabry aufteilen konnte. Seit dem Spiel gegen Union Berlin setzt Nagelsmann aber wieder auf ein 4-2-3-1, in dem Mané die Anbindung etwas verloren ging.
Es ist keine große Überraschung, dass er alleine nicht dazu in der Lage ist, Lewandowski zu ersetzen. Das lässt sich an einer Zahl besonders gut ablesen und erklären: 4,22 Pässe spielt Mané derzeit pro 90 Minuten unter Druck. Bei Lewandowski waren es 6,45. Der Pole konnte vor allem mit dem Rücken zum Tor immer wieder Bälle festmachen.
Das ist eine Qualität, die den Bayern aktuell fehlt. Ihr Offensivspiel hängt von hoher Geschwindigkeit und viel Präzision im Kombinationsspiel ab. Lewandowski konnte immer angespielt werden und er verschaffte den Mitspielern mit seiner Körperlichkeit und technischen Qualität die Zeit, um entsprechend nachzurücken. Womöglich ist es genau dieser Aspekt, der dem FC Bayern am meisten fehlt.
FC Bayern ohne Lewandowski: Wie hat sich Thomas Müllers Rolle verändert?
Eine große Frage zu Saisonbeginn war auch, wie sehr sich die Rolle von Thomas Müller verändern würde. Der Angreifer bildete mit Lewandowski ein kongeniales Duo - vielleicht sogar das beste Sturmduo der vergangenen Jahre überhaupt.
Es gibt auch beim 32-Jährigen einige Daten, die auf eine Anpassung seiner Rolle schließen lassen. So hat sich sein Expected-Goals-Wert bisher im Vergleich zur letzten Saison verdoppelt. Müller kommt häufiger zum Abschluss, obwohl er rund fünf Ballkontakte pro 90 Minuten weniger hat.
FC Bayern München: Thomas Müller ohne Robert Lewandowski
Statistik pro 90 Minuten | 2021/22 | 2022/23 |
Ballkontakte (im Angriffsdrittel) | 62,9 (31,8) | 57,8 (34,7) |
Ballkontakte gegnerischer Strafraum | 6,16 | 7,11 |
Pässe (erfolgreich) | 53,2 (39,8) | 48,2 (37,8) |
Flanken | 2,71 | 1,56 |
Schüsse | 1,94 | 2,44 |
Durchschnittliche Schussdistanz | 11,5 Meter | 10,6 Meter |
Expected Goals | 0,35 | 0,67 |
Expected Assists | 0,4 | 0,5 |
Tore | 0,28 | 0,22 |
Assists | 0,63 | 0,44 |
Dafür wird der Nationalspieler nun aber in Strafraumnähe stärker eingebunden. So hat er im Schnitt immerhin einen Ballkontakt mehr im gegnerischen Strafraum und drei mehr im Angriffsdrittel. Dass Müller nun etwas mehr zum Abschlussspieler geworden ist, bedeutet aber nicht, dass er automatisch weniger als Vorlagengeber eingesetzt wird. Die Expected Assists zeigen, dass er nach wie vor gefährliche Torschussvorlagen einbringt.
Ein mindestens kleines Problem gibt es zwar: Müller vergibt zu viele Chancen. Trotz der gestiegenen Anzahl an Abschlüssen, ist er mit 0,22 Toren pro 90 Minuten sogar etwas schwächer als in der Vorsaison.
Leroy Sané beispielsweise erzielt bisher aus 0,56 Expected Goals pro 90 Minuten 0,49 Tore. Er ist ein deutlich besserer Abschlussspieler als Müller, kommt aber viel zu selten aus guten Positionen dazu, das unter Beweis zu stellen. Mit 17 Metern Entfernung zum Tor hat der 26-Jährige durchschnittlich die größte Distanz aller Offensivspieler des FC Bayern zu bewältigen.
FC Bayern: Wie gravierend sind die Unterschiede?
Insgesamt zeigen die Daten also einige Unterschiede auf. Es lässt sich anhand der Zahlen gut erkennen, wohin die Reise ohne Robert Lewandowski gehen soll. Gleichzeitig steht Julian Nagelsmann vor einigen Problemen.
Die Qualität der einzelnen Abschlüsse hat abgenommen. Aufgefangen wird das durch mehr Quantität. Gerade bei den Unentschieden in der Bundesliga zeigte sich aber, dass das problematisch sein kann. Nagelsmann muss einen Weg finden, seine stärksten Abschlussspieler in gute Positionen zu bringen. Neben Sadio Mané und Serge Gnabry betrifft das auch Leroy Sané, der zu häufig sein Glück aus der Distanz versuchen muss.
Gleichzeitig muss festgehalten werden, dass die Werte des FC Bayern darauf hindeuten, dass die Qualität stimmt. Die Unterschiede zum Vorjahr sind nicht gravierend. Dass die Spielweise sich etwas verändern würde, war absehbar. Damit das stürmerlose System von Nagelsmann funktioniert, bedarf es in den kommenden Wochen aber einiges an Feinschliff.