Carolin Musiala erfüllte sich im Sommer 2010 den großen Wunsch von einem Auslandssemester in England, aber für ihren damals siebenjährigen Sohn Jamal war es zunächst schwer im fremden Land. Weil sich in Southampton einfach kein Klub für ihn finden ließ, konnte er seiner Lieblingsbeschäftigung nicht nachgehen: dem Fußballspielen.
"Wir haben überall rumtelefoniert und sind nicht weitergekommen. Irgendwann sind wir einfach mal zum Stadion gefahren und haben dann von einem Feriencamp erfahren", erzählte Carolin Musiala später der Fuldaer Zeitung. "Dort hat Jamal dann mitgemacht, einige Tore geschossen und wurde schließlich von Scouts entdeckt."
Es waren Scouts des FC Southampton, des größten Klubs der Stadt. Sie brachten Musiala in deren Nachwuchsabteilung und lösten somit seine schon jetzt beachtliche Fußballerkarriere aus, die mit Musialas Bundesligadebüt Mitte Juni einen vorläufigen Höhepunkt fand. Im Alter von 17 Jahren und 115 Tagen wurde er beim 3:1-Sieg des FC Bayern gegen den SC Freiburg eingewechselt und löste somit Pierre-Emile Höjbjerg als jüngsten Bundesligaspieler der Klubgeschichte ab.
Für den frühreifen Musiala war das nichts Neues. Er ist es gewohnt, der Jüngste zu sein.
Musialas Weg aus Fulda zum FC Chelsea
Geboren in Stuttgart, wuchs Musiala im hessischen Fulda auf, wo er beim örtlichen TSV Lehnerz immer eine Altersklasse über seiner eigenen spielte. Eigentlich hätte das nach dem Auslandssemester seiner Mutter so weitergehen sollen, aber da hatten der FC Chelsea und der FC Arsenal etwas dagegen. Beiden Klubs war Musiala in der Southampton-Jugend aufgefallen, beide wollten ihn verpflichten.
Musiala entschied sich für Chelsea und so wurde aus einem Auslandssemester seiner Mutter ein fester Lebensmittelpunkt, die Familie übersiedelte nach London. In seinem ersten Spiel für Chelsea schoss er vier Tore, mit 13 spielte er für die englische U15-Nationalmannschaft, mit 15 in der U18 Premier League und dann absolviere er zwei Spiele für die deutsche U16- Nationalmannschaft.
Wück lobt Musiala: "Er hat außergewöhnliche Fähigkeiten"
Zu diesem Zeitpunkt war sich Musiala noch nicht so ganz sicher: England oder Deutschland? Er probierte beides und wählte England - zum Leidwesen des damaligen deutschen U16-Nationaltrainers Christian Wück. "Natürlich hätten wir einen Spieler mit seinem Potenzial gerne bei uns behalten. Aber er hat sich gemeinsam mit seiner Mutter für England entschieden, weil er die handelnden Personen und das Umfeld dort schon besser kannte", sagt Wück im Gespräch mit SPOX und Goal.
Er erinnert sich an einen "eher ruhigen und auch sehr zurückhaltenden Typen". Die zwei Spiele reichten aber auch ohne laute Hinweise aus, um Wück von Musialas Talent zu überzeugen: "Er hat außergewöhnliche Fähigkeiten, ist technisch unheimlich versiert und hat eine richtig gute Orientierung auf dem Platz. Er hat viele gute Ideen und die Fähigkeiten, sie auch umzusetzen."
Ein geborener Zehner sei Musiala und als solcher gehört es fast schon traditionell dazu, das Defensivspiel etwas zu vernachlässigen. "Da hat er noch Steigerungspotenzial", sagt Wück. "Und athletisch muss er auch noch besser werden."
Hudson-Odois Bruder brachte Musiala zum FC Bayern
Daran arbeitet Musiala mittlerweile beim FC Bayern. Nach acht Jahren in London war er im Sommer 2019 gemeinsam mit seinem gleichaltrigen und ebenfalls in Deutschland geborenen Chelsea-Kollegen Bright Akwo Arrey-Mbi nach München gewechselt. Eingefädelt hat den Transfer sein damaliger Berater Bradley Hudson-Odoi, der 31-jährige Bruder des einst vom FC Bayern umworbenen Chelsea-Profis Callum Hudson-Odoi. Mittlerweile wird Musiala von einer Münchner Anwaltskanzlei vertreten.
Für einen Wechsel zum FC Bayern sprachen damals vor allem zwei Faktoren: der nahende Brexit und die persönliche Verbindung zum aufnehmenden Klub. "Ich habe Bayern von klein auf immer geliebt", sagte Musiala mal.
Musiala beim FC Bayern: Vier Leistungsstufen in einer Saison
Die ersten Einsatzmöglichkeiten für seinen Lieblingsklub verpasste Musiala wegen einer fehlenden Spielerlaubnis noch, dann startete er durch und durchlief innerhalb einer Saison vier Leistungsstufen.
In der Hinrunde überzeugte er in der B-Jugend, ehe er in der Winterpause zur A-Jugend befördert wurde und mit dem Überzeugen einfach weitermachte. Nach der Corona-Zwangspause spielte er für die Reservemannschaft in der 3. Liga und gewann mit ihr den Meistertitel. "Der Junge ist eiskalt. Wenn man vor dem Spiel mit ihm spricht, wirkt er fokussiert, ruhig und zurückhaltend. Aber wenn er auf den Platz kommt, explodiert er förmlich", sagte Reserve-Trainer Sebastian Hoeneß, der mittlerweile in Hoffenheim arbeitet.
"Er ist technisch sehr gut und entwickelt Dynamik, wenn er im Ballbesitz ist", lobte auch Trainer Hansi Flick, der Musiala gegen Freiburg zum Profidebüt verhalf und ihn in den Kader für das letztlich gewonnene Champions-League-Finalturnier in Lissabon nominierte.
"Ich war schon nervös, aber wurde sehr herzlich aufgenommen. Ich hätte nie gedacht, dass man in so kurzer Zeit schon Freundschaften schließen kann", sagte Musiala danach, besonders gut habe er sich nach eigener Auskunft mit Alphonso Davies, Joshua Zirkzee, Joshua Kimmich und Serge Gnabry verstanden. Zum Einsatz kam er zwar nicht, den Pokal durfte er aber trotzdem stemmen und nach dem Finale ein Erinnerungsfoto mit Neymar schießen.
In der kommenden Saison soll Musiala weitere Spielpraxis in der 3. Liga sammeln - und seinen aktuell bis 2022 laufenden Vertrag vorsorglich verlängern.
Jamal Musialas Leistungsdaten in der Saison 2019/20
Mannschaft | Pflichtspiele | Tore | Assists |
B-Jugend | 12 | 6 | 2 |
A-Jugend | 8 | - | 1 |
Reserve | 8 | 2 | - |
Profis | 1 | - | - |