Sportdirektor Hasan Salihamidzic wird sich nicht gefreut haben über Thiagos Beschwerden an der Halswirbelsäule, die dessen Einsatz am Samstag beim FC Schalke 04 verhinderten. Nein, das nicht. Aber irgendwie bestätigt wird er sich doch schon gefühlt haben.
Wochenlang hatte Salihamidzic zuletzt schließlich nicht nur immer wieder auf "einiges" hingewiesen, "was wir noch tun wollen", sondern auch stets die Flexibilität der verfügbaren und neuverpflichteten Angestellten hervorgehoben. "Die Idee der Kaderplanung ist, dass wir in unserer Mannschaft flexible Spieler haben, die vielseitig und auf mehreren Positionen einsetzbar sind", erklärte er einmal.
Was das in der Realität bedeutet, wurde nach Thiagos Ausfall an diesem Samstag deutlich. Neu in die Mannschaft rückte statt eines positionsgetreuen Ersatzmannes Lucas Hernandez, der Benjamin Pavard von der Innenverteidigung nach rechts hinten verdrängte, der Joshua Kimmich von rechts hinten ins zentrale Mittelfeld verdrängte. Flexibilität, wie sie sich Salihamidzic eigentlich wünscht.
Rodri kam nicht, Roca kommt wohl nicht
Jedoch auf der einzigen Position, auf der er sich aktuell wohl einen Tick weniger erzwungene Flexibilität wünscht. Seit dem Frühsommer versucht der FC Bayern bekanntlich, einen neuen Sechser zu verpflichten. Ein Transfer von Atletico Madrids Rodri scheiterte, weil ihn die Arbeit unter Pep Guardiola bei Manchester City dem Vernehmen nach mehr reizte als die unter Niko Kovac. Ein Transfer von Espanyol Barcelonas Marc Roca wird wohl scheitern, weil die Verantwortungsträger des FC Bayern wohl doch nicht ganz so überzeugt sind von dessen Defensivqualitäten. Doch genau auf diese Qualitäten kommt es an.
Der FC Bayern sucht eigentlich einen neuen kampfstarken Sechser. Einen wie Javi Martinez, nur etwas verletzungs- sowie konterunanfälliger, schneller und kreativer. (Einen, den der FC Bayern in diesem Sommer aber wohl nicht mehr bekommen wird.)
Kovacs Möglichkeiten auf der Sechs
Der echte Javi Martinez scheint wegen seiner bekannten Mängel unterdessen nicht mehr die große Wertschätzung von Trainer Niko Kovac zu genießen. Exemplarisch, dass Kovac gegen Schalke lieber die komplette Defensivabteilung umbaute, anstatt den einzigen nominellen Sechser des Kaders aufzustellen.
Auch wenn er auf der Sechs mittlerweile erste Wahl ist, ist nämlich auch das natürliche Habitat von Thiago ein bisschen weiter vorne. Genau wie bei den anderen Mittelfeldspielern Corentin Tolisso, Philippe Coutinho, Leon Goretzka, Michael Cuisance und Philippe Coutinho. Klassischer Sechser ist davon keiner.
Und so ist derzeit eben der als Rechtsverteidiger eigentlich unersetzliche Kimmich die erste Alternative zu Thiago. Spielt Kimmich in der Mitte, fehlen dem flügellastigen Spiel seines FC Bayern aber dessen Vorstöße und vor allem dessen starke Flanken. Ersatzmann Pavard ist anders als Kimmich kein Mittelfeldspieler-Außenverteidiger, sondern ein Innenverteidiger-Außenverteidiger. Seine Kernkompetenz ist die Defensive.
Die Antwort auf die Coutinho-Frage?
Um dieses Manko zu kaschieren, ließ Kovac gegen Schalke bei eigenem Ballbesitz oft auf eine Dreierkette umstellen. Linksverteidiger Alaba rückte dann neben Kimmich ins zentrale Mittelfeld, die anderen drei Verteidiger alle etwas nach links. Pavard hatte somit weniger Druck, offensiv liefern zu müssen. Kimmich und Alaba bauten das Spiel über das Zentrum auf. Das zeigen auch die Statistiken: Alaba spielte in der gegnerischen Hälfte 21 Pässe mehr als sein vermeintliches Pendant Pavard (und erreichte trotzdem eine um über 16 Prozent bessere Passquote).
Womöglich ist dieses scheinbar aus der Not geborene 3-2-4-1-artige System aber viel mehr als ein Notfallplan und auch dann eine Alternative, wenn Thiago wieder fit ist. Womöglich ist es gar die Lösung auf die Coutinho-Frage. Es wäre ein System, in dem der berühmte Neuzugang anders als im bisher praktizierten 4-3-3 direkt hinter Stürmer Robert Lewandowski bestens untergebracht wäre.
Die Doppelsechs könnten dann zum Beispiel Thiago und Kimmich bilden, was vor allem Kimmich freuen dürfte. Er nennt das defensive Mittelfeld bekanntlich seit jeher seine Lieblingsposition. Bereits seit einigen Monaten lässt ihn Bundestrainer Joachim Löw auf diesem Sehnsuchtsort spielen.
Kovac: Kimmich auf der Sechs "überragend gut"
Gegen Schalke machte Kimmich auf der Sechs zwar nicht wie von Trainer Niko Kovac attestiert ein "überragend gutes" Spiel, aber auf jeden Fall ein ordentliches. "Er sucht jeden Ball, war präsent, orientiert sich früh, erkennt die Situation und weiß, wo er hinspielen muss", lobte Kovac.
Womöglich wird Kimmichs Wunsch nach einem permanenten Dasein auf der Sechs nun also deshalb erfüllt, weil der FC Bayern statt eines Sechsers einen Zehner holte und Kovac für dessen optimale Entfaltung eigentlich das System umstellen muss.
Hinfällig ist diese Option aber natürlich, sobald Aushilfs-Rechtsverteidiger Pavard verletzt oder gesperrt fehlen sollte. Dann gibt es rechts hinten nämlich keine realistische Alternative mehr zu Kimmich - außer der ehemalige rechte Außenbahnspieler Salihamidzic beweist ebenfalls Flexibilität und hilft auf dem Platz aus.