SPOX: Herr Ulreich, Sie sind jetzt ein Jahr in München. Wie viel Mia san Mia steckt denn schon in Ihren schwäbischen Genen?
Sven Ulreich: Ich fühle mich auf jeden Fall wohl hier und wurde sehr gut aufgenommen. Es ist schön in München. Zudem ist meine Tochter hier geboren, sodass mich immer etwas mit der Stadt verbinden wird. Ich wohne gern hier und bin auch schon ganz gut mit der bayrischen Mentalität vertraut.
SPOX: Sie haben auf Ihrem Instagram-Profil ein Bild hochgeladen, auf dem Sie Pep Guardiola herzlich umarmt. Das Foto ist bei seiner Rückkehr mit Manchester City nach München entstanden. Ist es sinnbildlich für Ihr Verhältnis zum alten Trainer?
Ulreich: Ja, durchaus. Ich hatte mit Pep von Anfang an ein gutes Verhältnis. Er hat mir viel geholfen und neuen Input gegeben. Die gemeinsame Zeit bleibt bei mir sehr positiv in Erinnerung. Ich hoffe, er kann das Gleiche über mich sagen. (lacht) Ich glaube aber, dass er meine Arbeit auch sehr geschätzt hat.
SPOX: Er ist eine sehr emotionale und prägende Persönlichkeit. Vermissen Sie und die Mannschaft ihn ein bisschen?
Ulreich: Natürlich ist es immer eine Umstellung, wenn ein neuer Trainer kommt. Wir haben unter Pep viel gelernt - die Spieler, die drei Jahre unter ihm gearbeitet haben, noch mehr als ich. Er hat uns in seiner Zeit hier stark geprägt und jedem Einzelnen viel mit auf den Weg gegeben. Wenn man zum Trainer so eine gute Beziehung aufgebaut hat, die auch noch erfolgreich war, ist es natürlich schade, wenn er geht. Doch auch Carlo Ancelotti hat seine Vorstellung von Fußball und damit wird er Peps Weg hier weitergehen und weiterentwickeln. Wir werden wieder neue Dinge lernen, das bringt uns voran.
SPOX: Wie hat sich die Ansprache an das Team unter Carlo Ancelotti denn verändert?
Ulreich: Seine Worte wirken auf die Mannschaft ein Stück weit gelassener. Er bringt viel Ruhe mit und lässt die Mannschaft in einigen Situationen auch einfach mal machen. Er greift nicht so häufig ein, um Dinge in eine bestimmte Richtung zu lenken. Das zeichnet sich in seiner Marschroute immer wieder ab. Trotzdem übernimmt er in mehreren Bereichen das, was Pep bereits angefangen hat. Vieles davon hält auch er für sehr gut.
SPOX: Dieses "einfach mal machen lassen" wurde vom einen oder anderen Spieler bereits als "Freiraum" bezeichnet. Auf welche Bereiche bezieht sich das vor allem?
Ulreich: Generell kann man vom einen Trainer nicht auf den anderen schließen. Nur, weil Ancelotti in manchen Angelegenheiten etwas anders agiert als Pep, heißt das nicht, dass es vorher komplett anders oder nicht vorhanden war. Es gibt da kein Für und Wider. Was unser Spiel betrifft, fällt aber auf, dass Ancelotti sehr viel Wert auf defensive Kompaktheit legt und offensiv unsere hohe Qualität freier walten lässt. Das ist der größte Unterschied. Pep wollte doch immer wieder sehr klare Angriffsschemen nach vorne haben.
SPOX: Inwiefern ergeben sich durch den neuen Trainer auch Änderungen für das Torwartspiel? Werden andere Schwerpunkte gesetzt?
Ulreich: Es hat sich nicht großartig geändert. Die Unterschiede betreffen vor allem eine Ansage: Ancelotti sieht auch gern mal einen langen Ball, wenn es hinten brenzlig wird. Pep wollte, dass man hinten flach herausspielt und eher den riskanteren Ball versucht. Der lange Ball war unter ihm zwar nicht verboten, aber auch nicht explizit erwünscht.
SPOX: Beim Wechsel nach München im letzten Jahr haben Sie gesagt, dass Sie diese Chance einfach nutzen mussten. Inwiefern begreifen Sie den Wechsel heute immer noch als Chance?
Ulreich: Ich habe das damals gemacht, weil ich einfach etwas Anderes, etwas Neues wollte. Einen Break für mich nach all den Jahren in Stuttgart, wo die Situation auch schwierig für mich war. Die Möglichkeit, mit dieser Bayern-Mannschaft und dem Trainerteam zu arbeiten, konnte und kann mich nur nach vorne bringen. Ich habe im ersten Jahr viel gelernt und hoffe, auch aus der zweiten Saison viel mitzunehmen.
SPOX: Sie haben beim VfB zum Ende hin ein bisschen den fairen Konkurrenzkampf vermisst. Inwiefern gibt es denn in München überhaupt einen auf der Torwart-Position?
Ulreich: Dass Manu Neuer die unangefochtene Nummer eins ist, ist klar. Da brauchen wir nicht zu diskutieren. Dennoch geben wir im Torwart-Team immer Gas. Tom Starke und ich versuchen, auch für uns selbst weiterzukommen. Ich glaube, es ist für die Mannschaft, aber auch für Manu wichtig, das zu sehen und zu spüren. Das treibt ihn auch weiter an. Sonst könnte er sich ja auf die faule Haut legen und sagen: 'Ich mach jetzt mal gar nichts, ich spiele ja sowieso.' (lacht) Aber das käme für Manu nie in Frage.
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SPOX: Im Gegenteil, Neuer will immer spielen. Woher nimmt man als zweiter Bayern-Keeper hinter dem Welttorhüter seine Motivation?
Ulreich: Ich kann Manu da verstehen. Ich war zu meiner Stuttgarter Zeit auch so. Da wollte ich auch jedes Spiel bestreiten, eigentlich auch alle Freundschaftsspiele, weil ich es geliebt habe, zu spielen. Ich freue mich natürlich über jeden Einsatz hier bei den Bayern. Im letzten Jahr haben Trainingsspiele für mich eine ganz andere Bedeutung gewonnen. Das sind die Situationen, in denen ich mich reinhängen und voll da sein kann. Ein gutes Trainingsspiel gegen all die Weltklasse-Spieler hier ist auch eine Genugtuung. Es macht also trotzdem Spaß.