Es ist die 23. Minute im Testspiel zwischen Inter Mailand und dem FC Bayern München. Vom rechten Strafraumeck legt Milos Pantovic den Ball zurück auf Franck Ribery. Der Bayern-Aushilfskapitän dieses Abends nimmt das Leder an, spitzelt es weg - und wird dann von Felipe Melos langem Bein übel getroffen.
So ein Foul in einem Testspiel? Das lässt sich ein Franck Ribery nicht gefallen. Wie von der Tarantel gestochen steht er auf und geht auf den Brasilianer zu. Teamkollege Pantovic zieht den Franzosen am Hals zurück und mahnt ihn zur Ruhe. Klar, das war ein zu hartes Foul für ein Testspiel. Aber zu körperlichem Vollkontakt muss man sich in einem solchen ja auch nicht hinreißen lassen.
Wirklich beruhigt hat sich Ribery jedoch nicht. Nur wenige Sekunden später, der Freistoß wird gerade ausgeführt, sucht er wieder die Nähe zu Melo - und tritt gegen den zentralen Mittelfeldspieler nach.
Schiedsrichter Mark Kadlecik steht direkt daneben, hat die Aktion genau im Blick und entscheidet sich trotzdem dagegen, die Rote Karte zu zücken. Einerseits, weil Melo schon sehr theatralisch zu Boden geht. Andererseits denkt er sich wohl, solch einen Kick nicht durch einen Platzverweis beeinflussen zu wollen.
Kein Einzelfall
Einzig daran liegt es aber wohl nicht. Auch in einigen wichtigen Spielen ist der Heißsporn schon ohne einen möglichen Platzverweis davongekommen.
In zwei wichtigen Finals gegen Borussia Dortmund hätte er seiner Mannschaft beinahe einen Bärendienst erwiesen: Im Champions-League-Finale 2013 schlug er Robert Lewandowski nach einer knappen halben Stunde ins Gesicht. Nach dieser Aktion hätte er sich ebenfalls nicht über einen Platzverweis beschweren dürfen - und das Spiel wäre womöglich anders gelaufen.
Beim DFB-Pokalfinale gegen den BVB im Mai dieses Jahres war es schließlich Gonzalo Castro, der die Hand des Franzosen im Gesicht hatte. Ebenfalls kein Rot.
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Zuschauer beim Champions-League-Finale 2010
In dieser Hinsicht ist Ribery offenbar unverbesserlich. Dabei hat er selbst schon schmerzlich am eigenen Leib erfahren, dass er sich und seiner Mannschaft mit solchen Aktionen am meisten schadet: Nach einem Tritt im Halbfinal-Hinspiel der Champions-League-Saison 2009/2010 gegen Olympique Lyon wurde er für zwei Spiele gesperrt.
Im Finale musste er schließlich dabei zusehen, wie seine Qualitäten schmerzlich vermisst wurden und seine Mannschaft letztlich chancenlos war. Gegner damals: Inter Mailand.
Ob die damalige Sperre in dieser Höhe berechtigt war, steht auf einem anderen Blatt, zumal Inters Thiago Motta nach einer Tätlichkeit im Halbfinal-Hinspiel für das Finale wieder spielberechtigt war. Das ändert jedoch nichts an der zweifellosen Härte des Trittes.
Riberys neuer Trainer Carlo Ancelotti jedenfalls fand deutliche Worte für den neuerlichen Aussetzer des Linksaußen: "Ich habe ihm gesagt, dass ich so etwas nicht gutheiße. Ich möchte, dass sich meine Spieler auf dem Platz fair verhalten", sagte der Italiener nach dem Spiel im Pressekonferenzraum des Bank of America Stadium in Charlotte. Um dann auf die verantwortungsvolle Position des mittlerweile 33-Jährigen zu verweisen: "Mir ist es auch egal, ob es eine Provokation gegeben hat. Er war der Kapitän. So etwas muss aufhören!"
Zweimal Nachtreten, zweimal Vorgesetzten-Schelte
Für Ribery war es die zweite Schelte eines Vorgesetzten wegen Nachtretens innerhalb weniger Stunden. Bei der ersten handelte es sich jedoch nicht um physisches, sondern um verbales Nachtreten.
Ribery hatte seinen ehemaligen Trainer Pep Guardiola im Nachhinein kritisiert und gesagt, er brauche keinen Trainer, der ihm Vorschriften mache, was er auf dem Platz zu tun habe. Außerdem habe Guardiola nicht die Erfahrung, die der "komplett andere" Ancelotti mitbringe. Dafür gab es einen Rüffel von ganz oben: "Ich glaube, es gibt keinen Grund, (bei) Pep Guardiola nachzutreten. Wir haben viel mit ihm gewonnen. Wir haben sehr auch von ihm profitiert. Nachtreten bringt nichts", sagte der Vorstandsvorsitzende Karl-Heinz Rummenigge im BR unmissverständlich.
Es sind die Störgeräusche, die im Laufe seiner Karriere verhinderten, dass der Franzose Everybody's Darling wurde. Nach der verpassten Wahl zum Weltfußballer 2013 haderte er damit, dass solche Awards nichts mit Fußball zu tun hätten, sondern nur Politik seien. Womöglich sind es solche Undiszipliniertheiten, welche ihn nicht unumstritten dastehen lassen. Immerhin war er auch Teil der Revolte in der französischen Nationalmannschaft bei der WM 2010.
Doch all das ist kalter Kaffee. Eigentlich zählt in den USA momentan das Hier und Jetzt. Aufgrund der sportlichen Auftritte hätte Ribery Aktionen wie das Nachtreten gegen Guardiola oder jenes gegen Melo nicht nötig.
Sportlich auf dem Weg zur Topform
Denn der 33-Jährige geht dieser Tage mit Leistung voran. Er sprüht im Training vor Leidenschaft, haut sich in jede Übung rein und ist auf dem Platz immer agil, immer anspielbar, immer gefährlich.
In der schwachen ersten halben Stunde in Chicago gegen den AC Milan war Ribery das einzig gefährliche Element im Angriff der Münchner. Er wurde immer gedoppelt oder sogar von drei Verteidigern in die Mangel genommen. Kaum verloren die Rossoneri ihn einmal aus den Augen, machte es Klatsch und der Ball war im Netz. Als es in der Schlussminute dann einen Elfmeter für die Bayern gab, nahm sich Ribery die Kugel wie selbstverständlich und machte sie rein.
Und auch gegen Inter ging er mit Leistung voran. Natürlich droht seine Performance im Schatten des Dreierpacks von Julian Green zu verblassen, doch der Franzose erzielte einen Treffer, bereitete einen weiteren und zahlreiche Torchancen vor. Gefühlt befindet sich Ribery schon früh in der Vorbereitung auf dem Weg zur Topform.
Eigentlich das perfekte Vorbild
Nachdem er es aufgrund zahlreicher Verletzungen zuletzt in zwei Saisons zusammen nicht einmal auf 30 Bundesliga-Spiele gebracht hat, ist Ribery jetzt motiviert, allen nochmal zu zeigen, dass er eben noch nicht zum alten Eisen gehört und im fitten Zustand nach wie vor einer der Besten auf seiner Position ist.
Die Trainingsleistung stimmt, die Anerkennung im Mannschaftskreis stimmt, die Performance in den Testspielen stimmt - eigentlich hält der Routinier als perfektes Vorbild für die vielen mitgereisten Youngsters her. Wäre da nur nicht dieses unverbesserliche Ich, das Ribery in seiner Karriere wohl nicht mehr abstellen können wird.
Oder etwa doch? Immerhin hat er zuletzt seine absolute Hochachtung vor seinem neuen Trainer Carlo Ancelotti ausgedrückt. Und wenn der sagt, "das muss aufhören", dann ...
Franck Ribery im Steckbrief