Der "Kaiser" ist tot: Der Fußball weint um Franz Beckenbauer

SID
Franz Beckenbauer, WM, Weltmeisterschaft, 1974, München
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Franz Beckenbauer war der "Kaiser", er war die Lichtgestalt des deutschen Fußballs - allerdings auch mit Schattenseiten. Nun ist die Legende des FC Bayern im Alter von 78 Jahren gestorben.

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Reaktionen zum Tod von Franz Beckenbauer: "Ich bin unendlich traurig"

Franz Beckenbauer ist gerade einmal zwölf Jahre alt, als das Leben Schicksal spielt. Mit seinem SC 1906 tritt der Bub aus Giesing gegen 1860 München an - der Wechsel zu den Löwen ist längst ausgemacht. Doch eine deftige Watschn seines Gegenspielers Gerhard König verändert im Jahr 1958 alles.

"Zu dem Verein", sagt der kleine Franz stur, "wechsele ich nicht". Vielmehr schließt er sich aus verletztem Stolz dem Rivalen FC Bayern an - und startet dort eine Weltkarriere, die seinesgleichen sucht. Am Sonntag ist der "Kaiser" des Fußballs im Alter von 78 Jahren gestorben.

Beckenbauer war zur Lichtgestalt geworden, auch wenn auf diese durch die nie ganz aufgeklärte "Sommermärchen-Affäre" ein Schatten fiel. Er war Weltmeister als Spieler und Trainer, Organisator der Heim-WM 2006, dazwischen Bayern-Präsident und Werbe-Ikone. In einer ARD-Doku, die just am Montagabend ausgestrahlt wird, deutete sein älterer Bruder Walter bereits an, dass es gar nicht gut um Beckenbauer steht.

Der Tod, sagte Franz Beckenbauer einmal, "der kommt irgendwann, und keiner kann sich verstecken. Du musst den Tod als Freund begreifen, der dich in ein anderes Leben begleitet." Nun begleitet er Beckenbauer selbst.

Der "Kaiser" hinterlässt eine große Lücke, auch wenn er sich zuletzt aus der Öffentlichkeit weitgehend zurückgezogen hatte. Der viel zu frühe Tod seines Sohnes Stefan mit 46 Jahren, gesundheitliche Probleme inklusive Herzoperationen, aber auch der mutmaßliche Bestechungsskandal um die WM 2006 hatten Beckenbauer in seinen letzten Jahren "schon sehr mitgenommen", wie er verriet.

FC Bayern München, Franz Beckenbauer
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Franz Beckenbauer: "Alle Sonntage der Welt sind in mir vereint"

Und bis dahin? Da sei er "ein vom Glück verwöhntes Sonntagskind" gewesen, das "aus dem Nichts" gekommen war: "Alle Sonntage der Welt sind in mir vereint", behauptete Beckenbauer, der zweite Sohn eines Postobersekretärs.

Doch wenn er, der in der Zugspitzstraße 6 im Arbeiterviertel Giesing in bescheidenen Verhältnissen aufwuchs, über Glück sprach, dann meinte er in der Regel, dass er zur richtigen Zeit am richtigen Ort die richtigen Entscheidungen getroffen hatte.

Beckenbauer war aber keiner, der einfach sagte: "Schau'n mer mal." Erfolg, betonte er, sei "auch vom Glück abhängig", aber: "Vor allem steckt harte, konsequente Arbeit dahinter. Glück muss man sich erarbeiten." Und das tat er. Sein Leben sei "perfekt" gelaufen, und wenn er wiedergeboren werden sollte - "dann als Beckenbauer".

Was häufig jedoch unterging: Dieses Leben war auch von zahlreichen Brüchen gekennzeichnet, von zahlreichen Widersprüchen. Er brachte zwei gescheiterte Ehen hinter sich und ein paar Beziehungen. Mit seiner dritten Frau Heidi hat er als Mittfünfziger noch zwei Kinder bekommen.

Dass er für seine Fehltritte nicht groß verurteilt wurde, hatte auch mit seiner Art zu tun. Ein Spruch von Beckenbauer, Schmunzeln oder Gelächter, und alles erschien plötzlich nur noch halb so wild. "Der Liebe Gott freut sich über jedes Kind", sagte er etwa über die außereheliche Zeugung seines Sohnes Nummer vier.

Außerdem stammt von ihm noch dieser Satz: "Ich hab mal einen Stammbaum machen lassen - die Wurzeln der Beckenbauers liegen in Franken. Das waren lustige Familien, alles uneheliche Kinder. Wir sind dabei geblieben."

Franz Beckenbauer, Rom, WM, World Cup, Germany, Deutschland, Weltmeister
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"Der Franz ist ein Geschenk vom lieben Herrgott"

Der charmante Beckenbauer konnte aber auch aufbrausend, cholerisch und verletzend werden. Da kann man bei seinen ehemaligen Weggefährten nachfragen. Auch einige seiner Entscheidungen oder Ansichten waren fragwürdig.

Als Mitglied des FIFA-Exekutivkomitees votierte er für Russland als Ausrichter der WM 2018. Und unterschrieb danach einen Vertrag mit den russischen Gasproduzenten. Zu Katar als WM-Gastgeber 2022 sagte er: "Ich habe noch nicht einen einzigen Sklaven in Katar gesehen. Die laufen da frei rum."

Doch Beckenbauer wurden solch unbedachte Sprüche meist verziehen. Er war eben der "Kaiser". "Der Franz", sagte Berti Vogts, "ist ein Geschenk vom lieben Herrgott". Deutschland habe "durch ihn so viel an Renommee, an Image gewonnen", betonte Uli Hoeneß: "Ich denke, der deutsche Fußball hat ihm so viel zu verdanken wie wohl keinem Zweiten."

Beckenbauer habe "mit seiner aufrechten Haltung und Eleganz eine ganz neue Leichtigkeit des Seins" entwickelt, würdigte auch Bayern-Präsident Herbert Hainer den WM-Kapitän von 1974. Er sei "wie ein Gentleman über den Platz spaziert". So auch ganz alleine nach dem WM-Triumph 1990 in Rom.

Und was war nun Glück für Beckenbauer? "Glück", sagte er, "ist kein Dauerzustand. Aber es gibt glückliche Momente im Leben. Wenn man sie lange festhalten und sie wiederholen kann: Das ist großes Glück."

Franz Beckenbauer, FC Bayern München, TSV 1860
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Franz Beckenbauer: Verhängnisvolle "Watschn eines Sechzigers"

11. September 1945: Franz Anton Beckenbauer wird um 22.25 Uhr in der Haas-Klinik München-Giesing als Sohn des Postbeamten Franz Beckenbauer Sr. und dessen Frau Antonie geboren. Er wächst in der Zugspitzstraße auf. Der Vater rief ihn "Stumpen".

Frühjahr 1958: Bei einem Turnier in Neubiberg bei München wird Beckenbauer im Spiel seines SC München 1906 gegen den TSV 1860 München von seinem Gegenspieler Gerhard König geohrfeigt. Er wechselt daraufhin im Sommer zum FC Bayern und nicht, wie geplant, zu den Löwen. Beckenbauer sagt dazu später: "Es war nicht die Hand Gottes, sondern die Watschn eines Sechzigers."

6. Juni 1964: Am 1. Spieltag der Aufstiegsrunde zur Bundesliga debütiert Beckenbauer in der 1. Mannschaft des FC Bayern und erzielt beim 4:0 einen Treffer. Der Aufstieg wird verpasst, in der Regionalliga-Saison 1964/65 ist Beckenbauer ab dem 8. Spieltag Stammspieler - als Linksaußen oder im Mittelfeld.

Franz Beckenbauer, Bundespräsident Walter Scheel, 1974, München, WM, Weltmeister, Deutschland
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Franz Beckenbauer: Vom Bundesliga-Youngster zum "Kaiser"

26. September 1965: Nach nur sechs Bundesligaspielen bestreitet Beckenbauer in Stockholm gegen Schweden sein erstes Länderspiel (2:1). In seinem fünften Länderspiel am 23. März 1966 gegen die Niederlande (4:2) erzielt er seine ersten beiden Treffer.

1. Juni 1968: Deutschland gewinnt in Hannover erstmals ein Länderspiel gegen England (1:0) - durch einen Treffer (82.) von Beckenbauer.

16. August 1971: Der kicker veröffentlicht ein zwei Wochen zuvor vom österreichischen Fotografen Herbert Sündhofer aufgenommenes Foto, das Beckenbauer in Wien neben der Büste von Kaiser Franz Joseph I. zeigt. Danach verfestigt sich die bereits im Juni 1969 von mehreren Medien erstmals verwendete Bezeichnung "Kaiser".

24. November 1973: Gegen Spanien in Stuttgart (2:1) bestreitet Beckenbauer sein 73. Länderspiel und löst damit Uwe Seeler als Rekordnationalspieler ab.

23. Februar 1977: 103. und letztes Länderspiel (0:1 gegen Frankreich). Wegen seines Wechsels zu Cosmos New York wird Beckenbauer anschließend nicht mehr nominiert. Für den FC Bayern bestritt er 396 Bundesliga-Spiele (44 Tore). "New York in den 70ern", sagt er, "es gab keine schönere Zeit."

Franz Beckenbauer, Rom, Deutschland, Weltmeister
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Franz Beckenbauer: Über New York und Hamburg nach Rom

15. November 1980: Erstes Bundesligaspiel für den Hamburger SV (gegen den VfB Stuttgart) nach der Rückkehr aus New York.

12. September 1983: Beckenbauer bestreitet sein letztes Pflichtspiel - im Viertelfinale der nordamerikanischen Profiliga NASL unterliegt er mit Cosmos New York gegen Le Manic de Montreal (0:1).

12. September 1984: Erstes Länderspiel als Teamchef der deutschen Nationalmannschaft (1:3 gegen Argentinien in Düsseldorf). Sein Assistent ist zunächst Horst Köppel, später Holger Osieck.

8. Juli 1990: Als Zweiter nach dem Brasilianer Mario Zagallo (1958/1962 sowie 1970) wird Beckenbauer Weltmeister als Spieler (1974) und als Trainer. Nach der Siegerehrung wandert er alleine über den Rasen des Olympiastadions in Rom: "Ich wollte halt einfach alleine sein und habe die Gelegenheit genutzt. Das Feld war frei. Und bin halt dann so in mich gedankenversunken vor mich hin gegangen, habe über alles Mögliche nachgedacht."

7. Mai 1994: Von einem Weißbierglas aus trifft Beckenbauer beim Schießen auf die Torwand im Aktuellen Sportstudio des ZDF in das Loch rechts unten. Sein Rekord steht bei vier Treffern. Mit 57 Besuchen ist Beckenbauer außerdem Rekord-Gast der Sendung.

Franz Beckenbauer, WM, 2006
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Franz Beckenbauer: WM 2006 und ein später Abschied

6. Juli 2000: "And the winner is ... Deutschland." Mit Franz Beckenbauer als Chef des Bewerbungskomitees erhält der Deutsche Fußball-Bund (DFB) in Zürich den Zuschlag für die WM 2006. Mit 12:11 Stimmen gegen Südafrika.

9. Juni 2006: Eröffnungsspiel der WM 2006. Es herrscht, nach Regen und sogar Schnee in den vorangegangenen Tagen, wie auf Bestellung Kaiserwetter - bis zum Ende der WM. Beckenbauer ist, dank eines Helikopters, bei 46 von 64 Spielen live vor Ort, von den 18 verpassten Spielen fehlt er bei vier wegen seiner Hochzeit. Die Süddeutsche Zeitung stellt während der WM fest: Beckenbauer schwitzt nicht.

13. August 2010: 33 Jahren nach seinem Abschied zu Cosmos New York erhält Beckenbauer ein Abschiedsspiel vom FC Bayern. "Es war überfällig, das damals Verpasste nachzuholen. Franz ist die größte Persönlichkeit, die der FC Bayern je hatte", sagt Klub-Chef Karl-Heinz Rummenigge. Der FC Bayern unterliegt Real Madrid 2:4 im Elfmeterschießen.

13. Juni 2014: Wegen eines "mutmaßlichen Verstoßes gegen die Ethikregeln" wird Beckenbauer vom Fußball-Weltverband für 90 Tage gesperrt. Er soll Aussagen zur umstrittenen WM-Vergabe an Katar verweigert haben. Beckenbauer spricht von einem "Aprilscherz". Die Sperre wird später aufgehoben.

21. April 2020: Der Schweizer Justiz stellt ihre Ermittlungen gegen Beckenbauer im Zusammenhang mit der Ausrichtung der Fußball-WM 2006 ein. Ihm war Betrug vorgeworfen worden. Die Vorwürfe sind verjährt, weil 15 Jahre nach der vermeintlichen Straftat (27. April 2005) kein erstinstanzliches Urteil ergangen ist.