Die möglicherweise bevorstehende Rückkehr von Jadon Sancho oder das angekündigte Ende der Ära Hans-Joachim Watzke gehen gewiss als dicke Schlagzeilen durch, die in diesen Tagen rund um Borussia Dortmund zu lesen sind. Für den Moment monumentaler ist jedoch, was der BVB schon vor diesen Meldungen verkündete.
Nuri Sahin und Sven Bender verstärken seit Jahresbeginn das Trainerteam von Chefcoach Edin Terzic, der zugleich mit dem erfahrenen Armin Reutershahn einen Mitstreiter auf dessen Wunsch hin verlor. Die Transfers der beiden ehemaligen Spieler kamen überraschend und zu einer Zeit, in der die Zukunft von Terzic nach dem bislang schwachen Abschneiden in der Bundesliga unklar war.
Dass Terzic im Amt bleiben durfte, verwunderte aber nicht sonderlich. Schließlich hatte Geschäftsführer Watzke bereits im Sommer recht unnötig dem Cheftrainer eine Jobgarantie für "die nächsten Jahre" ausgestellt, so dass eine Entlassung nur wenige Monate später ziemlich blöd ausgesehen hätte. Nun entwickelte sich seitdem jedoch vieles beim BVB in die falsche Richtung. Mit der neuen Konstellation im Trainerteam versuchen die Westfalen, diesen Trend zu korrigieren und erhöhten zudem den Druck auf die viel zu oft enttäuschende Mannschaft.
Doch es fällt ziemlich schwer, in der Maßnahme mit Sahin und Bender eine langfristig Perspektive auszumachen. Erst recht dann, wenn sie wie nun geschehen sehr kurzfristig mitten während einer schwachen Spielzeit verkündet wird. Dass Terzic zusammen mit Sahin und Bender über längere Zeit erfolgreich zusammenarbeitet, ist derzeit aus dem Stand heraus alles andere als leicht vorstellbar.
BVB: Nuri Sahins Traum ist es, Borussia Dortmund zu trainieren
Dafür spricht vor allem die Personalie Sahin. Der 35-Jährige war zuletzt über zwei Jahre lang als Cheftrainer bei Antalyaspor angestellt und verantwortete als Head of Football auch Transferentscheidungen sowie die strategische Ausrichtung des Klubs. Sahin hatte beim türkischen Erstligisten viel Macht und durfte sich auf seiner ersten Station als Coach ausleben.
Sein Ehrgeiz, sich im neuen Metier zu etablieren und Karriere zu machen, ist genauso enorm ausgeprägt wie die Überzeugung, dies auch zu schaffen. Schon als Spieler äußerte er den Wunsch, eines Tages den BVB als Trainer zu übernehmen. Mit 29 antwortete Sahin auf die Frage der Deutschen Welle, wo er sich in zehn Jahren sehe, so: "An der Seitenlinie in unserem Stadion, als Trainer dieses Vereins." Diesen Traum verkündete er seitdem mehrfach, zuletzt im vergangenen Jahr bei Tivibu Spor: "Ich habe den großen Traum, eines Tages Borussia Dortmund zu trainieren. Das möchte ich unbedingt."
Bereits während seiner Zeit als Spieler machte sich Sahin regelmäßig Notizen zu Trainingsinhalten der Übungsleiter, unter denen er kickte. Allen voran Jürgen Klopp öffnete ihm die Augen, aber auch Thomas Tuchel und José Mourinho waren große Einflüsse. Tuchel war laut Sahins eigener Aussage sogar der Auslöser für seinen Wunsch, sich später einmal als Trainer zu versuchen.
BVB: Wie Thomas Tuchel Nuri Sahin zum Trainer machte
"Thomas war unzufrieden, weil manche von uns dachten, es sei ja nicht so schlimm, weil es nur die Vorbereitung sei", sagte Sahin dem kicker im Mai 2022. Der BVB hatte zuvor ein Testspiel im Trainingslager verloren, Tuchel setzte anschließend eine Mannschaftsbesprechung an. "Dann zeigte er uns Szenen von John Terry und Carles Puyol. Nicht aus Pflichtspielen, sondern aus vermeintlich unbedeutenden Tests, damit wir sehen, mit welcher Intensität sie auch in solchen Partien verteidigt haben." Tuchel hielt dazu eine Ansprache, die Sahin schwer beeindruckte und ihm den entscheidenden Impuls gab: "Ich will Trainer werden."
Sahin dürfte sich also langfristig nicht mit der Perspektive zufrieden geben, als Co-Trainer zu arbeiten, wo er jetzt doch schon so kurz vor dem Erreichen seines vielfach kommunizierten Ziels ist. In den ersten Einheiten im Trainingslager von Marbella war er es auch, der viele Trainingsinhalte teils lautstark anleitete und auf Anhieb eine dominante Rolle einnahm.
Terzic dagegen mimte eher den Beobachter am Seitenrand und ließ Sahin und Bender machen. Nach dem Testspiel gegen Alkmaar erklärte der Chefcoach dann die Rollenverteilung, die in taktischer Hinsicht vereinfacht so aussieht: Sahin ist für die offensiven, der ehemalige Sechser Bender für die defensiven Abläufe zuständig.
BVB: Freiwilligkeit von Edin Terzics Wunsch ist zumindest fragwürdig
Und Terzic freilich weiterhin für die finalen Entscheidungen, die seinen Worten nach im modernen Fußball immer komplexer geworden sind, da sie im Drei-Tages-Rhythmus zu fällen wären. Er wiederholte den bereits bei der Verpflichtung des Duos geäußerten Satz, dass es sein ausdrücklicher Wunsch gewesen sei, Sahin und Bender mit an Bord zu holen.
Ob dies der Wahrheit entspricht, lässt sich nicht aufklären. Fakt ist, dass Terzic durch den Abgang von Reutershahn nun "lediglich" einen Co-Trainer mehr zur Verfügung hat und gerade Bender noch sehr wenige Erfahrungen in seiner zweiten Karriere sammelte. Der 34-Jährige war zuvor in 30 Pflichtspielen Co-Trainer des deutschen U16- und später des U17-Nationalteams. Tägliches Training und regelmäßiger Umgang mit einer Profi-Mannschaft als Mitglied des Trainerstabs anstatt sporadischer DFB-Lehrgänge sind also auch für Bender Neuland.
Zumindest fragwürdig an der vermeintlichen Freiwilligkeit von Terzics Wunsch ist, dass er ihn zu einem Zeitpunkt umsetzt, an dem ordentlich Druck auf dem Kessel herrscht und er mit seiner Arbeit reichlich in die Kritik geraten war. Schon jetzt wird Sahin medial als "Schattentrainer" bezeichnet, der Terzic bei ausbleibenden Ergebnissen beerben könnte. Mit jedem weiteren nicht überzeugenden Spiel wird diese Thematik an Zündstoff gewinnen, dafür muss man kein Prophet sein.
BVB: Borussia Dortmund beginnt im Training beinahe bei Null
Auch die Frage nach der Deutungshoheit stellt sich: Sollte der Borussia die Trendwende gelingen, würde sie dann damit verbunden, dass Terzics Maßnahme die richtige war oder fußte sie stattdessen auf das Wirken von Sahin und Bender, ohne die Terzic nicht ausreichend erfolgreich war?
Derzeit sind die Antworten darauf weit weg. Der BVB hat in den Trainingseinheiten in Spanien beinahe bei Null begonnen und an den klassischen Basics gearbeitet, unter denen das Spiel im ersten Halbjahr gehörig litt. Allen voran der Spielaufbau und die Spielfortsetzung standen im Fokus, Sahins inbrünstige Kommandos waren für jedermann gut zu hören.
Gefruchtet haben sie gegen Alkmaar noch nicht. Beim über 120 Minuten und mit zwei verschiedenen Formationen ausgetragenen 2:2 verfiel Dortmund, wohlgemerkt mit einer Elf, die auch zum Jahresauftakt in Darmstadt auflaufen könnte, in der ersten Stunde in alte Muster und lieferte eine furchtbare Vorstellung ab. Der BVB war chancenlos und offenbarte ein ganzes Bündel bekannter Probleme. Kleine Randnotiz: Zeitlich parallel dazu spielte der Vorjahres-Relegationsteilnehmer VfB Stuttgart gegen Greuther Fürth wie aus einem Guss und rief die gefestigte Struktur sowie die vertrauten Abläufe in seinem Spiel auch nach der Pause wie automatisiert ab.
BVB: Kaum englische Wochen als Vorteil des neuen Trainerteams?
Dass die zweitteuerste Mannschaft der Bundesliga solchen Schemata hinterher hechelt, ist gerade im Vergleich mit einem Team wie Stuttgart nichts anderes als ein Armutszeugnis und fällt in Terzics Verantwortung. Der 41-Jährige kann von Glück reden, dass ihn die vergangenen Monate nicht das Amt gekostet haben. Dass nun die neu angestellten Co-Trainer bei den Einheiten vorangehen, ist sicherlich nichts Außergewöhnliches und war gerade auch in der Amtszeit von Jürgen Klopp mit dessen Co-Trainer Zeljko Buvac so.
Ein Vorteil für Dortmunds neues Trainerteam könnte sein, dass man im kommenden Halbjahr viel Zeit für intensive Trainingstage hat. Schließlich stehen nur Mitte Februar und Mitte März mit dem Champions-League-Achtelfinale gegen die PSV Eindhoven englische Wochen an. Auch sie werden darüber entscheiden, wie langfristig Terzics gewünschte Konstellation überhaupt sein kann.
BVB: Die drei Bundesligaspiele von Borussia Dortmund im Januar 2024
Datum | Wettbewerb | Gegner |
13. Januar, 18.30 Uhr | Bundesliga | SV Darmstadt 98 (A) |
20. Januar, 15.30 Uhr | Bundesliga | 1. FC Köln (A) |
27. Januar, 17.30 Uhr | Bundesliga | VfL Bochum (H) |