Im Fußball vergisst man bei der Bewertung des großen Ganzen zuweilen, dass es manchmal nur um Kleinigkeiten geht. Und hier und da ganz simpel auch um Glück. Ob man den Ball bei einem Torabschluss vielleicht einen Zentimeter weiter links oder rechts trifft und er deshalb nicht rein geht, man das Spiel deshalb doch noch nicht entscheidet. "Ich sag's dir ehrlich: Wenn wir eine von den zwei, drei Großchancen reinmachen, dann stehen wir hier nicht und müssen solche Fragen wahrscheinlich gar nicht beantworten", sagte Borussia Dortmunds Julian Brandt nach dem enttäuschenden 2:2 gegen Heidenheim bei DAZN.
Abgesehen davon, dass der BVB zum Ligastart gegen Köln vor allem deshalb gewann, weil eben jene Kleinigkeiten (Davie Selkes Schuss landet an der Latte und nicht im Tor, Donyell Malen schießt sich bei seinem Siegtreffer selbst an) damals zugunsten des Vizemeisters ausfielen, hat Dortmund in der Frühphase der Saison 2023/24 aber auch tiefgreifendere Probleme. Das betonte auch Brandt: "Wir machen wieder wilde Fehler, speziell im Aufbauspiel. Und am Ende muss man dann sogar froh sein, dass es 2:2 ausgeht."
Weder gegen Köln noch in Bochum und gegen Heidenheim konnte Dortmund konstant spielerisch überzeugen, den Großteil der Zeit enttäuschte der BVB. Und am Ende werden die Ansprüche eines Klubs wie Borussia Dortmund eben anhand von Ergebnissen reflektiert - und dabei steht man mit fünf Punkten aus drei Partien, aus denen man als Titelkandidat eigentlich neun Zähler holen muss, schlecht dar.
Der BVB und die verspielten Führungen: "Und jetzt passiert uns das wieder"
Insbesondere, dass man gegen Heidenheim eine 2:0-Führung sehr nachlässig aus der Hand gab, sorgt für Unmut. "Wir haben uns vor der Saison vorgenommen, dass wir nicht so viele Punkte liegen lassen wollen wie in der Hinrunde der vergangenen Spielzeit. Und jetzt passiert uns das wieder", konstatierte Trainer Edin Terzic nach der jüngsten Partie bei DAZN. Auf der Pressekonferenz sagte er dann: "Einer Mannschaft mit hohen Ambitionen, einem Top-Team darf es einfach nicht passieren, solch ein Spiel nochmal offen und wild werden zu lassen."
Besonders bitter macht den Start natürlich, dass Patzer in Spielen, die vermeintlich Pflichtsiege einbringen sollten, vergangene Saison der letztlich entscheidende Nachteil im dramatischen Meisterschaftsfinale waren. Das 2:3 zuhause gegen Bremen, das 2:2 auf Schalke, das 2:3 in Köln, das 3:3 in Stuttgart. In all diesen Partien musste der BVB trotz Führung(en) Punktverluste hinnehmen - und das auf teilweise haarsträubende Art und Weise.
Auch, weil dieses Muster nun schon wieder Einzug zu halten scheint, steht Terzic schon jetzt in der Kritik. "Ich bezweifle, dass die Spieler es reinkriegen, weil der Trainer Woche für Woche mehr oder weniger dasselbe sagt. Da muss man hingehen und sagen: 'Du bist eigentlich verantwortlich dafür, dass die Spieler es abstellen'", sagte TV-Experte Stefan Effenberg am Sonntag im Doppelpass bei Sport1.
Was das Verhältnis zwischen Trainer und Spielern angeht, gab es zuletzt ungute Zeichen. So soll es zum Beispiel nach dem 1:0 gegen Köln zum Auftakt ein heftiges Wortgefecht zwischen Terzic und Nico Schlotterbeck gegeben haben. Laut Sport Bild hatte sich der Innenverteidiger darüber beschwert, dass er gegen den FC nicht in der Startelf stand. Eine wütende Reaktion von Terzic sei die Folge gewesen, er und Schlotterbeck schrien sich wohl massiv an.
Zwar gab es kurz darauf offenbar eine Aussprache, dennoch ist ein solcher Streit zwischen dem Trainer und einem Spieler sicherlich nicht förderlich für das Teamklima. Zumal es wohl auch weitere potenzielle Störfeuer gibt, laut Sport1 soll beispielsweise die Verpflichtung von Niclas Füllkrug bei Sturmtalent Youssoufa Moukoko nicht gut angekommen sein. Er beklagte wohl fehlendes Vertrauen in seine Person.
Von den Fans, die Terzic nach dem letzten Spieltag der vergangenen Saison trotz dramatisch verpasster Meisterschaft noch rührend gefeiert hatten, gab es nach dem Spiel gegen Heidenheim indes ein Pfeifkonzert. Und mitunter steht Terzic in der öffentlichen Diskussion nicht nur in der Kritik, sondern auch zur Debatte.
BVB: Schattenmann Julian Nagelsmann?
Durch die Medien geistert dabei der Name Julian Nagelsmann. Die Bild spekuliert bereits, dass der Ex-Bayern-Coach als Schattenmann bereitstehen könnte, sollte sich die Situation in Dortmund nach der Länderspielpause nicht verbessern. Und TV-Experte Dietmar Hamann bringt Nagelsmann, den Dortmund in der Vergangenheit wohl schon mehrfach auf dem Zettel hatte, ganz offensiv ins Gespräch: "Du weißt nicht, wie lange Nagelsmann auf dem Markt ist. Aus dem Ausland hat er ein bis zwei Sachen abgesagt, umso länger er aus dem Job ist, umso schwerer wird es für ihn", sagte Hamann bei Sky und führte aus: "In der Bundesliga kann ich mir bis auf Dortmund nichts vorstellen. Ich kann mir vorstellen, dass das relativ schnell heiß wird!"
BVB-Boss Hans-Joachim Watzke kündigte nach der Enttäuschung gegen Heidenheim zwar eine Analyse an und nahm Sportdirektor Sebastian Kehl und Terzic dabei explizit in die Pflicht. Dass Watzke über eine Entlassung Terzics nachdenkt, ist derzeit aber sehr unwahrscheinlich.
Der Geschäftsführer schätzt den 40-jährigen Coach auch wegen dessen emotionaler Verbindung zum Verein. Terzic war von klein auf BVB-Fan, stand früher in der Kurve. Er weiß ganz genau, worum es in Dortmund geht - und aus emotionaler Perspektive ist Terzic wahrscheinlich das Beste, was dem BVB auf der Trainerposition passieren kann.
Der BVB und seine Trainer: Klopps ewiger Schatten
Seit Jürgen Klopp 2015 ging, waberte der Name Jürgen Klopp lange so dominant über jedem seiner Nachfolger, dass es extrem schwer wurde, Trainer in Dortmund zu sein. Coaches mit herausragenden fachlichen Qualitäten wie Thomas Tuchel, Lucien Favre oder Marco Rose kamen bekanntlich auch deshalb nie so ganz richtig beim BVB an, weil sie dem Erbe Klopps auf emotionaler und vereinsromantischer Ebene gar nicht gerecht werden konnten.
Dass es Terzic als erstem Klopp-Nachfolger gelungen ist, dessen Allgegenwärtigkeit rund um den Signal-Iduna-Park zumindest etwas verblassen zu lassen, ist nicht nur in Watzkes Augen eine riesige Leistung. Und auch ganz nüchtern-sportlich betrachtet war Terzic am nächsten dran, den ersten Meistertitel seit 2012 zu holen und die Bayern-Dominanz zu durchbrechen.
Dennoch deutet sich aktuell schon an, was bei anhaltend schwachen Ergebnissen natürlich umso vehementer gespielt wird: Der Vorwurf der Fans, dass die Führungsebene um Watzke nur wegen eben jener Emotionalität zwischen Terzic und dem Klub zu lange an dem Trainer festhalten könnte und dabei die fußballerische Entwicklung vernachlässigt.
BVB und Edin Terzic: Nach der Länderspielpause brauchen sie Ergebnisse
Zumal auch Dortmunds Handeln auf dem Transfermarkt im abgelaufenen Wechselfenster Kritik an Terzic aufkommen lässt. So soll sein Veto entscheidend dafür gewesen sein, dass Edson Álvarez nicht verpflichtet wurde. Terzic sprach sich demnach gegen den Mexikaner aus, wollte stattdessen Emre Cans Position stärken und beförderte den Nationalspieler bekanntlich zum Kapitän. Allerdings muss sich Can in der neuen Rolle offenbar erst noch zurechtfinden, auch seine Leistungen in den ersten Saisonwochen ließen zu wünschen übrig.
Zudem dürfte Sportdirektor Kehl, der sich mit Álvarez bereits einig gewesen sein soll und ihn zum Königstransfer machen wollte, nicht sonderlich glücklich über Terzics Veto gewesen sein, was dem Verhältnis zwischen zwei der wichtigsten Entscheidungsträger im Verein schaden könnte.
Klar ist: Nach der Länderspielpause warten auf den BVB mit dem Auswärtsspiel in Freiburg und dem Champions-League-Auftakt bei Paris Saint-Germain schwierige Aufgaben. Sollte Dortmund - was sicherlich nicht ganz unwahrscheinlich ist - beide Spiele verlieren, dürfte je nach Zustandekommen der Niederlagen der Name Nagelsmann zumindest nicht leiser gehandelt werden ...