Harry Kane zum FC Bayern München - "Silenzio, Bastardo!": Wenn englische Fußballer ins Ausland wechseln

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Englische Fußballprofis wechseln traditionell eher ungern ins Ausland - und wenn doch, wird es auch mal wild. Ein Blick in die Vergangenheit anlässlich Harry Kanes 100-Millionen-Euro-Transfers zum FC Bayern München.

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"Servus", sagte Harry Kane bei seiner Vorstellung am Sonntagmittag freudig, beziehungsweise versuchte es zumindest. Die bayerische Begrüßung hörte sich bei ihm eher wie "Service" an, aber das trübte die festliche Stimmung kein bisschen. Für 100 Millionen Euro und reichlich Hysterie hatte der FC Bayern München den 30-jährigen Stürmer von Tottenham Hotspur losgeeist, der Vorstandsvorsitzende Jan-Christian Dreesen sprach von einem "Ausnahmetransfer".

Dass ausgerechnet der Kapitän der englischen Nationalmannschaft dem FC Bayern das "Servus" beziehungsweise seinen "Service" anbietet, ist tatsächlich ziemlich sensationell. Nicht nur wegen seiner Weltklasse, sondern vor allem auch wegen seiner Herkunft. Normalerweise scheuen englische Fußballprofis Auslandswechsel fast so sehr wie Schwalben oder Elfmeter.

Im Vergleich zu den anderen europäischen Fußball-Großmächten exportiert England traditionell sehr wenige Fußballer. Und zwar nicht erst seit dem Brexit, der diese regnerische Insel noch ein bisschen weiter vom Festland weggeschwemmt hat. England ist das Mutterland des Fußballs, verfügt außerdem über die reichste und spannendste Liga Europas und über volle Stadien: Warum sollte man bitteschön woanders hingehen?

"Ich wollte meine Karriere niemals beenden, ohne dass ich ein anderes Land und eine andere Liga kennengelernt habe", begründete Kane seinen Wechsel. Der Kapitän der englischen Nationalmannschaft sei "nicht nur wegen des Fußballs gewechselt, sondern auch wegen des Lebens". Die deutsche Kultur wolle er erleben und auch Sprachunterricht nehmen, um sie in vollen Zügen genießen zu können. Bisher beginnt und endet sein Vokabular nämlich bei Servus/Service, wie er später zugab.

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Jimmy Greaves und Paul Gascoigne: Heimweh und Alkohol

Kultur, Leben, Sprache: Für Jimmy Greaves haben all diese Aspekte im Sommer 1961 keine Rolle gespielt. "Rein finanzielle Gründe" hätten damals den Ausschlag für seinen Transfer vom FC Chelsea zur AC Milan gegeben. Greaves war der erste berühmte englische Fußballprofi, der in der Blüte seiner Schaffenskraft den Sprung nach Kontinentaleuropa wagte. Italienische Lira statt englische Gehaltsobergrenze!

Greaves bereute seine Entscheidung aber noch vor der Ankunft in Mailand. Tatsächlich versuchte der Nationalstürmer sogar vergeblich, den Transfer im letzten Moment zu revidieren. Nach nur zehn Einsätzen und reichlich Streit mit Milans Erfolgstrainer Nereo Rocco kehrte Greaves schon im Winter auf die Insel zurück. Der amtierende Double-Sieger Tottenham schlug zu, wo Greaves später zum Rekordtorschützen avancierte. Erst vor wenigen Monaten entriss ihm diesen Status ein gewisser Harry Kane.

Rund 30 Jahre nach Greaves zog es mit Paul Gascoigne einen ähnlich talentierten Engländer nach Italien. Gazza blieb drei Jahre bei Lazio Rom, sorgte dabei aber für mehr Skandale und Alkoholexzesse als Tore. Immerhin lernte er eine italienische Phrase: Nervenden Teamkollegen soll Gascoigne stets "Silenzio, Bastardo!" zugerufen haben. Obwohl er im Bier-Mekka München gelandet ist, muss man sich bei Kane übrigens keine Sorgen um übermäßigen Alkoholkonsum machen. Er ist Antialkoholiker, oder wie man in England so schön sagt: Teetotal.

Der Waliser Ian Rush hielt es nach zwei Landesmeistercup-Triumphen mit dem FC Liverpool Ende der 1980er-Jahre exakt eine traurige Saison bei Juventus aus. "Es war, als hätte ich in einem fremden Land gelebt", soll er nach seiner Liverpool-Rückkehr treffend analysiert haben. Wobei ihm diese Aussage womöglich auch ein schelmischer Teamkollege in den Mund gelegt hat, so genau weiß man das nicht mehr.

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Engländer im Ausland: Manche hatten auch Erfolg

Aber nicht jeder England-Export wurde wegen fehlender Auslandstauglichkeit enttäuscht auf die Insel retourniert, es gibt auch positive Beispiele: Kevin Keegan schoss den Hamburger SV 1979 zum Meistertitel. Sie riefen ihn "Mighty Mouse", er sang "Head Over Heels In Love". Hach, süß! Gary Lineker traf Ende der 1980er-Jahre zuverlässig für den FC Barcelona. Chris Waddle erreichte 1991 mit Olympique Marseille das Landesmeistercup-Finale und Steve McManaman gewann mit Real Madrid sogar zweimal den Henkelpott.

Kurz darauf kam Real-Präsident Florentino Pérez bei seiner weltweiten Suche nach Galácticos natürlich auch nicht an David Beckham vorbei, also holte er ihn 2003 für 37,5 Millionen Euro von Manchester United nach Madrid. "Ich kann mich gut daran erinnern, wie groß das damals in den Medien war", sagte Kane bei seiner Vorstellung. Sportlich verliefen Beckhams vier Jahre in Madrid mit lediglich einem Meistertitel durchwachsen, den Merchandise-Verkauf kurbelte er aber immerhin energisch an.

Zwischenzeitlich spielte Beckham bei Real sogar mit zwei Landsleuten zusammen. Das einstige Wunderkind Michael Owen eroberte sich wegen der riesigen Konkurrenz keinen Stammplatz - während bei Jonathan Woodgate eher dessen eigenen Leistungen das Problem waren.

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Englands Nationalmannschaft: Jahrelang ohne Legionäre

Beckham wohnte nach seinem Real-Abschied in den glitzernden Star-Metropolen Los Angeles, Mailand und Paris, wo er bei Galaxy, Milan und PSG nebenbei auch ein bisschen Fußball spielte. Für die Nationalmannschaft kam er aber nicht mehr infrage. Bei den Turnieren 2010, 2012, 2014, 2016 und 2018 trat England jeweils ohne auch nur einen einzigen Legionär an.

Als die Three Lions bei der EM 2021 im Wembley Stadium das Finale gegen Italien verloren, waren immerhin drei Legionäre dabei. Neben Kieran Trippier von Atlético Madrid die damaligen Dortmunder Jadon Sancho und Jude Bellingham. Sie hatten ihr Heimatland jeweils nicht als gestandene Profis verlassen, sondern als Zukunftsversprechen. Sancho kehrte mittlerweile zu Manchester United heim, Bellingham zog für 103 Millionen Euro zu Real Madrid weiter.

Aktuell ist Bellingham einer von nur zwei Engländern in Spaniens Primera Division. In der deutschen Bundesliga, der französischen Ligue 1 und der italienischen Serie A kicken je fünf. Erstaunlich geringe Zahlen in unserer globalisierten Fußballwelt, vor allem auch mit Blick auf die größten Gastarbeiter-Blöcken der jeweiligen Ligen. In Deutschland und Italien sind das die Franzosen mit 30 bzw. 28 Legionären, in Frankreich die Senegalesen (21) und in Spanien die Argentinier (22).

Weltklasse-Engländer sucht man im Ausland, abgesehen von Bellingham und nun Kane, vergeblich. Zumindest etwas Prominenz bietet lediglich die Italien-Fraktion: Fikayo Tomori und Ruben Loftus-Cheek bei Milan, Tammy Abraham und Chris Smalling bei der AS Roma. "Ich finde es schade, dass sich nicht mehr Leute hinauswagen", sagte Smalling mal im Interview mit Forbes.

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Der FC Bayern München und seine Briten

Kane hat es nun gewagt, womit er zum dritten Engländer in der Geschichte des FC Bayern avancierte. Nach dem gebürtigen Kanadier Owen Hargreaves mit Doppelstaatsbürgerschaft, der beim Champions-League-Sieg 2001 dabei war. Und Omar Richards, einem Linksverteidiger, bei dem bis heute gerätselt wird, was Sportvorstand Hasan Salihamidzic 2021 eigentlich in ihm gesehen hat. Immerhin verkaufte ihn Salihamidzic nach nur einer Saison mit 8,5 Millionen Euro Gewinn an Nottingham Forest.

Weitet man den Kreis der angelsächsischen Bayern auf ganz Großbritannien aus, kommen aus dem vergangenen Jahrhundert noch der Schotte Alan McInally und der Waliser Mark Hughes dazu.

Hughes durchlebte in München übrigens einen ähnlich stressigen Start wie Kane, der weniger als 24 Stunden nach seiner Unterschrift beim Supercup gegen RB Leipzig debütierte. Im November 1987 wechselte Hughes per Leihe von Barcelona zum FC Bayern. Vier Tage nach seinem Bundesliga-Debüt bestritt er als womöglich einziger Fußballprofi der Geschichte zwei Pflichtspiele an einem Tag.

Ab 13 Uhr stürmte er zunächst in Prag für die walisischen Nationalmannschaft gegen Tschechien. Unmittelbar nach Abpfiff stieg er noch in Sportkleidung gemeinsam mit Uli Hoeneß ins Auto, raste zum Flughafen und jettete 50 Minuten nach München, wo um 19 Uhr ein DFB-Pokal-Spiel gegen Borussia Mönchengladbach anstand. Anfang der zweiten Halbzeit wurde Hughes zum allseitigen Erstaunen eingewechselt - am Ende feierte er mit seinen neuen Kollegen einen 3:2-Sieg nach Verlängerung.