Es gab gute Gründe für die Abberufung von Oliver Kahn und Hasan Salihamidzic von ihren Posten. Es ist sogar gut, dass der am Ende unerwartete und späte Triumph im Titelrennen in der Entscheidung des Aufsichtsrats keine Rolle gespielt hat.
Dass am Tag eines der dramatischsten und emotionalsten Titelgewinne des FC Bayern aber praktisch niemand über den Triumph von Thomas Müller und Co. redet und dass das Schauerspiel der Räte alles überstrahlt, müssen sich die Aufsichtsräte zuzuschreiben.
2022/23 wird trotz des überraschenden späten Triumphs als eine ziemlich missratene Saison des FC Bayern München in die Geschichte eingehen, wofür zu großen Teilen Oliver Kahn und Hasan Salihamidzic verantwortlich sind. Das hat der Aufsichtsrat in seiner Analyse durchaus richtig analysiert. Doch diese unwürdige Art der Abberufung am Tag vor dem entscheidenden Spiel haben die beiden nicht verdient.
Wenn Oliver Kahn in den sozialen Netzwerken nicht vollkommenen Unsinn geschrieben hat, dann wäre allein der Umgang mit ihm ein himmelschreiender Skandal. Ihm zu verbieten, nach Köln zu reisen und dem langjährigen Mannschaftskapitän, vielfachen Titelträger und zugegeben glücklosen CEO den Zugang zur Meisterfeier zu verwehren, wäre einfach nur schäbig.
Zumal nicht zu verstehen ist, was die plötzliche Eile sollte. Welche Notwendigkeit gab es für eine außerordentliche Aufsichtsratssitzung am Tag vor dem Bundesligafinale, wenn man sich vier Tage später ohnehin zur ordentlichen Sitzung treffen wollte? War der ursprüngliche Termin der Sitzung nicht erst mit der Begründung des noch nicht entschiedenen Titelkampfes um eine Woche auf den 30. Mai verschoben worden?
FC Bayern: Umgang mit Kahn ein himmelschreiender Skandal
Aber auch unabhängig davon: Wieso nahmen die Räte durch ihre Entscheidung am Freitagabend Kahn und Salihamidzic die Chance, mit der Mannschaft noch einigermaßen unbeschwert den Titel zu feiern - egal wie hypothetisch dieser Titelgewinn am Freitag noch war? Und wieso störten sie Thomas Tuchel in der Vorbereitung auf das wichtigste Spiel seiner bisherigen Amtszeit, indem sie ihn von der Entscheidung in Kenntnis setzten?
Hatten die Aufsichtsräte vielleicht kein Zutrauen in sich und ihre Courage? Hatten sie Angst, dass sie es nach einem möglichen Titelgewinn in Köln vielleicht doch nicht mehr über das Herz bringen würden, die beiden abzuberufen?
Oder konnten die Räte sich gar nicht mehr vorstellen, dass es doch noch was werden könnte mit dem elften Titel in Serie? Wollten sie in den Urlaub und die "alles andere als leichte" (Präsident Herbert Hainer über die Abberufung Kahns) und die "schwergefallene" (Hainer über Salihamidzics Entlassung) Entscheidung hinter sich bringen?
Schwer zu sagen, was davon noch weniger bayern-like wäre. Unwürdig und in der Darstellung grauenhaft war das Vorgehen auf jeden Fall.
In ihrer Kaltherzigkeit war die Abberufung der zwei bisherigen Gesichter des FC Bayern noch schlimmer als die Entlassung von Julian Nagelsmann, der im Ski-Urlaub von einem Reporter erfahren musste, dass seine Dienste nicht mehr gefragt waren.
FC Bayern: Es ist viel kaputt gegangen in München
In aller Deutlichkeit: Die Abberufung von Kahn und Salihamidzic Ende Mai 2023 war weniger überraschend und auch viel nachvollziehbarer als Nagelsmanns Entlassung im März 2023. Am Ende ist den beiden Ex-Vorständen neben einiger missratener Transferperioden auch die Entlassung des Trainers auf die Füße gefallen: Der elfte Meistertitel in Serie wurde zwar nicht trotz Thomas Tuchel gewonnen, aber ganz sicher auch nicht aufgrund des Trainerwechsels. Haftete der Mannschaft unter Nagelsmann noch etwas Bipolares an - auf famose Leistungen folgten immer wieder nicht erklärbare Formeinbrüche -, rumpelten und taumelten die Bayern unter Tuchel nur noch durch die Spiele und kollabierten regelmäßig in den zweiten Halbzeiten.
Es fehlte nicht viel, und die Bayern hätten sich auch in Köln trotz der gütigen Hilfe aus Dortmund in der zweiten Halbzeit beinahe selbst um den Lohn gebracht; Jamal Musialas Treffer in der 89. Minute hatte dann freilich wieder sehr viel vom alten FC Bayern. Wahrscheinlich schüttelt man - zum Glück der Bayern und ihrer Fans und zum Leidwesen der Bundesliga - alte Verhaltensweisen am Ende doch nicht so leicht ab.
Doch der elfte Titel in Serie kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass in dieser Saison viel kaputt gegangen ist in München.
Schon nach Nagelsmanns Entlassung diagnostizierten Lothar Matthäus und andere dem Klub nahestehende nicht ganz zu Unrecht, den Bayern sei das Mia san Mia verloren gegangen.
Nun scheint dem FC Bayern aber der FC Bayern als Ganzes verloren gegangen zu sein. Der Umgang mit Kahn und Salihamidzic war nicht Hollywood, sondern bestenfalls RTL 2.
FC Bayern ist nicht wiederzuerkennen
Der deutsche Rekordmeister ist nicht wiederzuerkennen. Und das, obwohl (oder vielleicht sogar weil?) Uli Hoeneß und Karl-Heinz Rummenigge dem Vernehmen nach weiter beziehungsweise wieder mitmischen.
Hoeneß war nie weg aus dem Aufsichtsrat, Rummenigge soll nun nach Informationen der Bild hinzukommen und bei Transferfragen helfen. Im Vorstand des größten und ruhmreichen deutschen Fußballklub verfügt nun aber zum ersten Mal seit Menschengedenken niemand mehr über FCB- oder wenigstens Fußball-Stallgeruch.
Dass beim FC Bayern gewiefte Machtmenschen, die zuvor gute Kicker beim Verein gewesen waren, über Wohl und Wehe ihres Lieblingsklubs entscheiden, haben die Bayern ja über Jahrzehnte auch international erfolgreich als ihr Alleinstellungsmerkmal verkauft.
Und jetzt?
- Jan-Christian Dreesen, bis auf Weiteres der neue Vorstandsvorsitzender, war zuletzt zehn Jahre Finanzvorstand des FC Bayern und zuvor Banker im Vorstand des langjährigen Bayern-Sponsors HypoVereinsbank.
- Michael Diederich, der neue Finanzvorstand, war zuvor ebenfalls Banker und zeitweise sogar Vorstandschef der Unicredit.
- Andreas Jung, der langjährige Marketing-Vorstand, war in seinem ersten Leben Funktionär beim Bund Deutscher Radfahrer.
- Präsident und Aufsichtsratschef Herbert Hainer war vor 2019 CEO von FC-Bayern-Anteilseigner Adidas.
Das allein ist an sich kein Problem. Wer Banken und Sportartikelgiganten führen konnte, sollte in der Theorie auch in der Lage sein, ein Fußballunternehmen zu führen. Doch wenn das der neue Stil beim FC Bayern sein soll, dann gute Nacht!
Zumal diese Menschen mit ihren Methoden nun den anstehenden erneuten Neuaufbau des FC Bayern München vorantreiben dürfen. Dreesen gilt eher als Übergangs-CEO.