Munas Dabbur von der TSG 1899 Hoffenheim im Interview: "Das hätte mich als Mensch wirklich zerstören können"

In Hoffenheim konnte sich Munas Dabbur noch nicht als Stammspieler etablieren.
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Wurde es besser?

Dabbur: Später schon. Ich muss auch dazu sagen, dass das die beste zweite Mannschaft Israels war. Sechs Spieler waren Teil der U19-Nationalelf, andere waren schon länger im Verein. Daher wollte ich nach den ersten sechs Monaten einfach nur wieder gehen. Ich bekam auch ein sensationell gut dotiertes Angebot vom Viertligisten Hapoel Umm al-Fahm. Der dortige Trainer war ein sehr guter Freund meines Onkels. Das wollte ich annehmen.

Lassen Sie mich raten: Ihr Opa hatte etwas dagegen?

Dabbur: Richtig, er hat es verboten. (lacht) Danach habe ich geweint und einen Monat lang kein Wort mit ihm gesprochen. Doch er hatte wie immer Recht. Plötzlich hat es wie aus dem Nichts Klick bei mir gemacht. Ich habe mich in jeglicher Hinsicht besser zurechtgefunden und durfte endlich spielen. Am Saisonende wurde ich mit 19 Treffern sogar noch Torschützenkönig. Wir gewannen auch das Double aus Meisterschaft und Pokal.

Anschließend lief dann ja Ihr Vertrag aus.

Dabbur: Genau. Ich erhielt erneut ein Angebot von Maccabi Haifa, aber auch Tel Aviv wollte mich für die erste Mannschaft behalten.

Was hat der Opa also entschieden?

Dabbur: (lacht) Dass ich ein weiteres Jahr in Tel Aviv bleiben soll, weil man mich dort bereits kannte und ich auch schon mit den Profis trainiert hatte. Das war auch eine leichte Entscheidung. Mein Opa half mir, dass in meinem Vertrag eine Ausstiegsklausel verankert wurde. Die hat es mir später ermöglicht, dass ich nach Europa wechseln konnte.

In den folgenden Jahren konnten Sie sich in Tel Aviv etablieren und gewannen 2013 mit dem Klub die israelische Meisterschaft, wozu Sie zehn Tore in 26 Spielen beisteuerten. Welche Rolle spielte Ihr Vater in dieser Zeit weiterhin für Sie, obwohl er nicht mehr bei Ihnen war?

Dabbur: Anfangs war es extrem speziell, denn meine gesamte Familie war nun bei all meinen Spielen dabei. Sie haben das getan, um meinen Vater für mich beim Fußball so gut es geht zu ersetzen und weil er natürlich selbst unheimlich gerne zugeschaut hätte. Das hat mich angespornt, denn ich wollte sie und ihn auf keinen Fall enttäuschen. Ich wusste, dass es sie alle stolz macht, mich dort spielen zu sehen. Diese Gefühle trage ich bis heute in mir. Ich bete vor jedem Spiel für ihn und widme meinem Vater jedes meiner Tore.

Im Februar 2014 wechselten Sie schließlich mit 21 Jahren zu Grashoppers Zürich in die Schweiz. Ist es richtig, dass Sie erst zwei Tage vor Ihrem Flug nach Zürich überhaupt davon erfuhren?

Dabbur: Ja. Das ist eine längere, verrückte Geschichte.

Nur zu!

Dabbur: Wir saßen auf dem Weg zu einem Auswärtsspiel im Maccabi-Bus, als mich mein Berater anrief und sagte, dass er für mich ein Angebot aus der Schweiz erhalten habe. Ich befand mich aber bereits in Gesprächen über eine Vertragsverlängerung bei Maccabi und war dazu auch bereit. Zudem war das Transferfenster in Europa bereits geschlossen. Da ich nicht wusste, dass es in der Schweiz aber noch geöffnet war, antwortete ich ihm nur: Hör' auf mich zu verarschen!

Wie reagierte er?

Dabbur: Er erklärte es mir und fragte: 'Bist du bereit, nach Europa zu gehen, willst du den Schritt machen?' Ich war sofort überzeugt. Als er mir sagte, dass man mir einen Dreijahresvertrag mit Option auf ein weiteres Jahr bot und das Gehalt nannte, war mir klar: Das mache ich auf jeden Fall! Du hast mich noch nicht einmal gefragt, um welchen Klub es sich überhaupt handelt, meinte er dann. (lacht) Das war mir in dem Moment aber noch völlig egal. Ich wollte einfach meinen Traum von Europa leben.

Nach dem bisherigen Gesprächsverlauf würde ich einwerfen wollen: Das haben Sie doch aber nicht alleine entschieden, ohne mit Ihrem Opa und der Familie darüber zu sprechen!?

Dabbur: Das riet mir mein Berater auch. Ich war aber so entschieden, mein Entschluss stand fest. Vor dem Spiel verstrickte ich mich dann noch in einen kleinen Disput mit unserem Sportdirektor Jordi Cruyff. Ich solle wegen der Vertragsverlängerung keine Spielchen mit ihnen spielen, meinte er - natürlich ohne zu wissen, dass ich erst vor zwei Stunden von diesem Angebot aus der Schweiz erfahren hatte. Davon habe ich ihm in dem Moment auch nicht erzählt und beschwichtigte. Als ich danach erfuhr, dass ich in dem Spiel nur auf der Bank sitzen werde, war ich wütend. Ich rief meinen Berater an und sagte: Mach' es bitte möglich, dass ich nach Europa gehen kann!

Es gab dann jedoch offenbar ein paar Komplikationen und der Transfer hing am seidenen Faden.

Dabbur: Ja. Zwei Tage nach diesem ersten Telefonat mit ihm saß ich zu Hause mit meiner Familie beim Essen. Es war ein ganz normaler Abend. Um 22 Uhr rief mich mein Berater an und fragte, was ich gerade tue. Ich sagte es ihm, da meinte er nur: 'Es haut jetzt doch alles hin, aber wir haben keine weitere Zeit mehr - wir müssen morgen um 7 Uhr nach Zürich fliegen!'

Wie weit ist Ihr zu Hause denn vom Flughafen entfernt?

Dabbur: Gute zwei Stunden. Dann musste ich noch zwei Stunden vor Abflug dort sein, meine Sachen packen und ein bisschen schlafen. Es blieben also höchstens ein, zwei Stunden übrig, um mit meiner Familie darüber zu sprechen. Danach war ich erst einmal für fünf Monate weg. Für meine Mutter war das ein großer Schock. Einer meiner Brüder arbeitet als Arzt in Frankreich und ist bereits aus dem Haus und nun, keine fünf Jahre nach dem Tod meines Vaters, sollte ich folgen.

Wie haben Cryuff und Maccabi reagiert?

Dabbur: Das kam noch dazu, ich hatte von ihnen noch gar nicht die Freigabe erhalten. Meine Ausstiegsklausel für Europa galt erst ab dem Sommer. Sie wollten mich am liebsten behalten und hätten eine utopische Ablöse fordern können. Ich rief daher Jordi an, den Besitzer von Maccabi, den Geschäftsführer, um sie alle davon zu überzeugen, mir meinen Traum zu ermöglichen. Auch mein Opa und Onkel versuchten alles. Es entstand in kurzer Zeit ein wirklich immenser Druck für mich.

Munas Dabbur während seiner Zeit bei Grashoppers Zürich.
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Munas Dabbur während seiner Zeit bei Grashoppers Zürich.

Gab es zuvor schon einmal Angebote aus Europa für Sie?

Dabbur: Ja. Ich spielte mal mit der israelischen U21 gegen Russland im neuen Stadion von Rubin Kasan. Kasans Trainer schaute zu. Er hatte damals Bibras Natcho im Kader, den heutigen Kapitän des Nationalteams. Bibras rief mich kurz darauf an und sagte, dass man mich holen möchte. Mein Gehalt wäre für mich unvorstellbar hoch gewesen. Mit diesen Summen umzugehen, war für mich als Familienmensch, für den schon der Schritt von Nazareth nach Tel Aviv gewaltig war, nicht einfach. Das aber musste ich schlicht machen. Ich sprach mit meinem Opa, der dagegen war und sich Sorgen machte, ob es mir dort nicht zu kalt sein könnte. (lacht) Am Ende konnten sich die Vereine aber nicht auf eine Ablösesumme einigen.

Wie groß war der Kulturschock, als Sie in der Schweiz ankamen?

Dabbur: Alles war komplett anders, wirklich alles. Diese minutiöse Pünktlichkeit war sehr ungewohnt für mich. Dazu war es erbärmlich kalt. Ich sah dort das erste Mal in meinem Leben Schnee. Ich weiß noch, wie ich mit einer kleinen Gruppe von Spielern zwischen meinen ersten beiden Trainingseinheiten in eine Art Kantine zum Mittagessen ging. Ich nahm als Vierter mein Essen in Empfang und ging zum Tisch, an dem die anderen saßen. Da sagte einer: 'Munas, was tust du? Du musst noch zahlen!' Ich aber dachte, dass das schon jemand für unsere Gruppe gemacht hat. So kannte ich das aus Israel. Am nächsten Tag habe ich alle eingeladen und es ihnen erklärt. Danach wurde nie mehr getrennt bezahlt.