Außerdem spricht Anton über seine ganz persönlichen Lehren aus der Corona-Pandemie, den für ihn besten Verteidiger der Welt und wieso ihn Neid und Missgunst eher anspornen.
Herr Anton, wenn man auf Ihre Instagram-Seite schaut, fällt folgender Spruch in der Bio auf: "Mitleid bekommst du geschenkt, Neid musst du dir erkämpfen!" Welche Bedeutung hat der Spruch für Sie?
Waldemar Anton: Ich habe diesen Spruch schon ganz früh in meinem Leben einmal gehört und er ist mir bis heute fest verankert im Kopf geblieben. Ich finde, da steckt sehr viel Wahrheit drin. Wenn es einem nicht so gutgeht, haben viele Mitleid mit dir, dafür musst du nichts tun. Aber Neid musst du dir erarbeiten, indem du etwas erreichst. Wissen Sie, dass ich erst vor ein paar Tagen intensiv darüber nachgedacht habe?
Erzählen Sie.
Anton: Ich weiß gar nicht, wie es genau dazu kam. Ich hatte eine ruhige Minute für mich und da ist mir dieses Thema irgendwie durch den Kopf geschossen. Natürlich ist auch für mich die Familie extrem wichtig. Die Familie steht immer hinter einem. Sie gibt einem Halt und Kraft - und sie spornt einen an. Dann habe ich auch eine sehr hohe Eigenmotivation, ohne die geht es nicht. Aber ich muss sagen, dass mich auch Missgunst ein klein wenig anspornt. Ich kann mich daran hochziehen und pushen. Das ist mir wieder klar geworden, als ich so darüber nachgedacht habe.
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Wir leben ja aktuell auch wegen Corona in einer Zeit, in der viele Menschen besonders viel nachdenken. Viele Menschen haben aktuell große Sorgen und Probleme. Wie sind Sie bis jetzt mit der Corona-Situation klargekommen?
Anton: Es ist wirklich eine sehr herausfordernde Zeit. Zum Glück sind in meiner Familie bislang alle gesund geblieben. Man macht sich schon Sorgen. Angst ist ein schlechter Ratgeber, aber der Respekt vor Corona ist bei mir sehr groß. Wir haben in der Familie von Anfang an sehr gut auf uns aufgepasst und Kontakte so gut es geht vermieden. Ich habe in meinem Umfeld auch Freunde und Familie, die als Selbstständige oder Unternehmer zum Beispiel sehr hart von Corona betroffen sind. Die ihren Job nicht mehr ausüben können. Das macht mich sehr traurig. Bei uns im Fußball ist es ja fast ganz normal weitergelaufen, wir sollten das nie vergessen und als Privileg betrachten, dass wir auch aktuell weiterspielen können. Den Fußball hat es von allen am wenigsten erwischt. Vielen geht es nicht so gut. Ich bin sehr dankbar, dass meine liebsten Menschen alle gesund sind. Mir hat auch mein Glaube geholfen, ganz gut durch diese Zeit zu kommen.
Was haben Sie in dieser Zeit über sich selbst gelernt?
Anton: Das ist eine gute Frage. Mir ist vor allem klargeworden, dass wir nichts als selbstverständlich erachten sollten. Dass wir generell als Gesellschaft aufeinander aufpassen müssen. Ich weiß jetzt noch viel mehr zu schätzen, dass ich wirklich ein tolles Leben führen darf. Ich habe eine Leidenschaft, die mir großen Spaß macht. Den Fußball. Und privat ist auch alles in Ordnung. Was will ich mehr? Es sind ganz viele kleine Dinge, die hoffentlich ganz viele Menschen in dieser Zeit verstanden haben. Einmal mehr bei der Familie anzurufen, solche Dinge. Wenn vielen Menschen klargeworden ist, worauf es wirklich ankommt im Leben und sie achtsamer geworden sind, hätte die Pandemie wenigstens eine positive Seite.
Anton: "Russland bedeutet für mich ein Stück Heimat"
Und auf den Fußball bezogen?
Anton: Da kann ich nur an die fehlenden Fans denken. Ich bin seit dieser Saison in Stuttgart und habe noch kein Heimspiel mit einer vollen Fankurve erlebt, das tut weh. Das Schlimme ist, dass man sich auf komische Art und Weise mit der Zeit daran gewöhnt, in ein leeres Stadion einzulaufen, aber niemand will sich daran gewöhnen. Die Fans machen den Fußball zu dem, was er ist. Sie machen ihn erst besonders mit ihren Emotionen. Wir müssen noch abwarten und uns gedulden, aber eines Tages werden die Stadien wieder voll sein. Das wird für uns alle einer der schönsten Tage der Karriere.
Sie sind in Usbekistan geboren und mit zwei Jahren mit Ihren Eltern nach Deutschland gekommen. Sie sprechen auch Russisch. Was bedeutet Russland für Sie?
Anton: Russland bedeutet für mich ein Stück Heimat. Ein Großteil meiner Familie lebt dort. Leider ich konnte jetzt schon länger nicht mehr in Russland zu Besuch sein, ich hoffe sehr, dass sich das sobald wie möglich wieder ändert. Die Geschichte meiner Eltern hat mich sehr geprägt.
Inwiefern?
Anton: Was man wissen muss: Meine Eltern sind mit nichts nach Deutschland gekommen. Mit gar nichts. Sie mussten sich alles neu aufbauen und erarbeiten. Wie sie das gemacht haben, davor habe ich den höchsten Respekt. Deshalb war es für mich auch immer ein großer Antrieb, ihnen eines Tages etwas zurückgeben zu können. Sie haben sich immer ein eigenes Haus gewünscht, das war ihr Traum. Als ich helfen konnte, ihnen diesen zu erfüllen, hat mich das sehr glücklich gemacht. Diesen Tag werde ich nie vergessen.
Anton: "Wir sind der VfB und ziehen unser Ding durch"
Sie sind mit Deutschland U21-Europameister geworden und spielen in dieser Saison so stark, dass VfB-Sportdirektor Sven Mislintat Sie bei Joachim Löw für die Nationalmannschaft ins Gespräch gebracht hat. Sie könnten aber auch für Russland spielen. Haben Sie schon eine Entscheidung getroffen, für welches Land Sie gerne auflaufen würden?
Anton: Mich freut es natürlich, wenn unser Sportdirektor positiv über mich spricht, aber ich muss zugeben: Ich habe mir diese Frage noch gar nicht gestellt. Ich hatte einmal ein Gespräch mit dem russischen Nationaltrainer Stanislaw Tschertschessow, aber da ging es nur darum, dass er sich erkundigt hat, wie es mir geht, weil ich zu der Zeit verletzt war. Grundsätzlich fühle ich mich in Deutschland und Russland gleichermaßen wohl und zuhause. Aber das Thema ist aktuell so weit weg, dass ich wirklich ganz ruhig und geduldig bin. Ich versuche, beim VfB gute Leistungen zu bringen und dann schauen wir, was irgendwann vielleicht kommt. Wenn ich einen Anruf von einer unterdrückten Nummer bekomme, gehe ich in der Regel schon hin. Das wäre nicht das Problem. (lacht)
Sie sind erst 24 Jahre alt, haben aber schon extrem viel erlebt für Ihre noch junge Karriere. In Hannover gab es Höhen, aber auch einige Tiefen. Was war die härteste Zeit?
Anton: Die ganze Hannover-Zeit hat mich sehr geprägt und zu dem Spieler und Menschen gemacht, der ich heute bin. Beide Abstiege waren brutal. Du kannst dir den Druck im Abstiegskampf erst vorstellen, wenn du ihn selbst erlebt hast. Das war schon heftig. Interessanterweise war aber auch der Druck in der Aufstiegssaison heftig, nur völlig umgekehrt. Da war es dann plötzlich so, dass wir jedes Spiel gewinnen mussten am Ende, um den Aufstieg zu schaffen. Das war auch eine krasse Erfahrung. Auch aus der Zeit als Kapitän habe ich viel gelernt. Wenn ich die ganze Zeit auf einen Punkt herunterbrechen müsste, würde ich sagen, dass ich extrem gelernt habe, nicht zu weit nach vorne zu schauen und von Tag zu Tag zu denken. Von Spiel zu Spiel. Von Training zu Training. Du musst jedem Training die gleiche Wichtigkeit geben. Das klingt jetzt langweilig, aber ich habe diese Denkweise extrem verinnerlicht. Ich habe Phasen erlebt, als wir schlecht dastanden, aber es hieß: Es sind ja noch 20 Spiele, es sind noch so viele Punkte zu holen. So eine Denkweise ist tödlich. Deshalb lege ich meinen Fokus jetzt total darauf, jedes Spiel für sich anzunehmen und gewinnen zu wollen.
In Stuttgart arbeiten Sie jetzt mit Pellegrino Matarazzo als Coach zusammen. Wie würden Sie ihn beschreiben?
Anton: Er ist ein super Typ. Vor allem ein super ehrlicher Typ, der dir in allen Situationen sagt, was Sache ist. Das finde ich top. Dazu kommt sein immenser Fußballsachverstand. Was mir besonders gefällt: Er sagt uns nicht, dass wir gegen diesen Gegner so spielen, gegen den nächsten anders und wieder gegen den nächsten stellen wir wieder alles um. Er verfolgt einen ganz klaren Plan. Wir sind der VfB Stuttgart und ziehen unser Ding durch. Wir spielen einen bestimmten Fußball - völlig egal, gegen wen. Das hat auch zur Folge, dass er im Training sehr darauf achtet, dass jeder Ablauf, den wir einstudieren, mit 100 Prozent gemacht wird. Nicht mit 90 Prozent und schon gar nicht mit 80 - er verlangt immer 100 Prozent. Das gilt auch für Details. Wenn wir einen Angriff starten und den Pass in den Rücken oder auf den falschen Fuß spielen, dann geht das nicht, weil uns das im Spiel wichtige Zeit kostet. Darauf legt er großen Wert.
Sie sagen, der VfB will einen bestimmten Fußball durchziehen. Wie würden Sie diesen Fußball charakterisieren?
Anton: Wenn ich unsere Spielidee mit einem Wort beschreiben müsste, würde ich sagen: unberechenbar. Wir haben eine Grundidee, aber innerhalb dieser wollen wir viele Variationen drin haben, um den Gegner permanent vor neue Aufgaben zu stellen, die er idealerweise dann nicht lösen kann, weil er uns nicht zu packen kriegt. Wir spielen nicht nur kurz, wir schlagen den Ball auch mal lang, wir haben lange Ballbesitzphasen, können aber auch Umschaltfußball praktizieren, vieles ist variabel. Die Unberechenbarkeit zeichnet uns aus.