Wenn wir fernab von Corona über die Internationalisierung sprechen: Welcher Markt ist heutzutage der wichtigste für Borussia Dortmund?
Cramer: Immer der Heimatmarkt, das wird sich auch nie ändern.
Und fernab des Heimatmarkts?
Cramer: Zunächst einmal möchte ich betonen, dass am Satz von Uli Hoeneß etwas dran ist. Er hat einst gesagt, für drei Chinesen müsse er einen Fan in Bayern opfern. Wir sind nur dann im Ausland interessant, wenn wir im Heimatmarkt funktionieren. Ich war gerade erst mit der Familie von Jude Bellingham unterwegs und habe dabei nochmal ganz bewusst wahrgenommen, wovon man im Ausland schwärmt, wenn man über Dortmund redet, nämlich in allererster Linie von unserem Stadion, unseren Fans und dem Fußball, den wir spielen. Wenn Christian Pulisic im Interview erzählt, dass er immer noch nicht glauben kann, wie viele Menschen den Aufkleber mit dem BVB-Logo auf ihrem Auto haben, sind das die Geschichten, die die Faszination Borussia Dortmund ausmachen. Wenn das Lagerfeuer nicht mehr von innen glüht, gibt es auf Dauer keine Funken. Deshalb ist der Heimatmarkt für mich immer der allerwichtigste. Erst dadurch wird ein Abstrahleffekt ins Ausland überhaupt möglich. Wenn wir dann über das Ausland sprechen, kommt Europa an erster Stelle. In den anliegenden europäischen Staaten sind wir eine immer größer werdende Nummer. Fernab von Europa zählen die USA und Asien zu den weiteren Zielmärkten.
Cramer: Pulisic? "Schade, dass er uns verlassen hat"
Welcher Markt könnte mittelfristig als neuer hinzukommen?
Cramer: Corona hat dazu beigetragen, dass die Internationalisierung etwas entschleunigt wurde. Wir haben unsere Büros in Südostasien und China, sind mit SPORTFIVE auch in den USA vertreten. Zudem haben wir mit dem FC Hyderabat in Indien eine Vereinskooperation abgeschlossen. Wir bleiben dabei, dass uns die Internationalisierung Chancen und Potenziale bietet. Sie hat sich aber durch die aktuelle Weltwirtschaftskrise etwas relativiert.
Sie haben Christian Pulisic 2017 im Interview als "kommenden Superstar" und "gigantisches Zugpferd" bezeichnet. Welche Auswirkungen hatte sein Verkauf konkret auf die internationale Vermarktung, speziell in den USA?
Cramer: Der Vorteil ist, dass es immer einen Depoteffekt gibt. Bei uns steht der Vereinsname nicht umsonst oben auf dem Trikot. Spieler sind aus Marketing-Sicht enorme Verstärker, aber Borussia Dortmund ist so groß und stark, dass der Klub und die Absatzzahlen nicht einbrechen, weil und wenn uns ein Spieler verlässt. Alles, was wir machen, hat eine nachhaltige Wirkung. Es ist zweifelsohne schade, dass Christian uns verlassen hat. Aber da er im absoluten Einvernehmen gegangen ist und weiterhin positiv über den BVB spricht, entsteht kein Schaden - ganz im Gegenteil. Wir haben zu allen Spielern, die uns verlassen haben, weiterhin einen guten Draht. Es ist wahrscheinlich kein Zufall, dass immer wieder Spieler wie Mario Götze, Nuri Sahin, Shinji Kagawa oder Mats Hummels gerne zu uns zurückkehren.
Pulisic trägt beim FC Chelsea seit dieser Saison die Rückennummer 10, die auch aus Marketingsicht hochinteressant sein dürfte. Gleichzeitig kamen mit Kai Havertz und Hakim Ziyech Spieler, die die Nummer sicherlich auch hätten tragen können. Kann so eine Entscheidung auch auf eine Marketingstrategie mit Blick auf die USA zurückzuführen sein?
Cramer: Marketing ist immer eine Begleiterscheinung. Wir flankieren, verstärken, überspitzen, stehen aber niemals im Zentrum. Lassen Sie mich kurz überlegen: Nein, beim BVB haben wir noch nie eine Rückennummer aus Vermarktungsgründen vergeben. Genau da muss man meines Erachtens aufpassen, dass man nicht überdreht. Jetzt muss ich aber wiederum aufpassen, dass ich nicht zu viel verspreche und mich in zwei Jahren von irgendjemandem überführen lassen muss.
Cramer: Dieses BVB-Trikot wurde am häufigsten verkauft
In Giovanni Reyna haben Sie aus sportlicher und marketingtechnischer Sicht den perfekten Spieler in Ihren Reihen, um in Pulisics Fußstapfen zu treten. Wie groß ist sein Potenzial?
Cramer: Sein Potenzial ist riesig. Er ist genau wie Christian nicht nur ein überragender Fußballer, sondern auch ein richtig guter Typ. Für uns ist er in sportlicher Hinsicht und in puncto Vermarktung ein Sechser im Lotto. Letztere Komponente war aber nicht entscheidend dafür, dass wir den Jungen geholt haben. Wir verpflichten nicht nach Nationalitäten oder Marketingwert, sondern nach sportlichen Kriterien. Es ist aber ein schöner Zufall, den es für jemanden aus dem Marketing sinnvoll zu nutzen gilt.
Welcher ehemalige oder aktuelle BVB-Spieler war oder ist für Sie am besten zu vermarkten?
Cramer: Das möchte ich ungern beantworten, weil ich den anderen damit keinen Gefallen tue.
Anders gefragt: Wessen BVB-Trikot wurde während Ihrer Zeit beim BVB innerhalb von einer Saison am häufigsten verkauft?
Cramer: Das von Marco Reus.