Jupp Heynckes: Welttrainer statt Auslaufmodell - die Kolumne zum 75. Geburtstag

Nicht immer einer Meinung: Jupp Heynckes (r.) und Uli Hoeneß.
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Jupp Heynckes wird zu seinem 75. Geburtstag zu Recht mit Lobeshymnen überhäuft. Fast vergessen, dass der spätere Erfolgstrainer in den ersten drei Jahrzehnten auf der Bank mehrfach an sich selbst, seiner Menschenführung und seiner Jähzornigkeit scheiterte. Die Fußball-Kolumne blickt zurück.

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Es ist gerade mal acht Jahre her, als Jupp Heynckes den Tiefpunkt seiner Karriere erlebte. Im "Finale dahoam" musste der Trainer des FC Bayern hilflos mitansehen, wie es seine Mannschaft trotz Heimvorteils nicht schaffte, ein überaltertes und ultradefensives Team des FC Chelsea trotz drückender Überlegenheit in 120 Minuten zu besiegen und seinen Spielern danach im Elfmeterschießen die Nerven versagten. "Weil sich zwei sichere Schützen wegduckten", wie Heynckes später erzählte, vermutlich mit Verweis auf Toni Kroos und Arjen Robben. Doch auch der Chefcoach selbst stand danach massiv in der Kritik, unter anderem wegen seiner Auswechslung von Torschütze Thomas Müller beim Stand von 1:0 und der Weigerung vor dem Spiel, Elfmeter zu trainieren.

Viel fehlte nicht und der Rekordmeister hätte Heynckes zum zweiten Mal nach 1991 entlassen, womit dessen Trainerlaufbahn wohl mit damals 67 Jahren beendet gewesen wäre. In dem Fall wären die Jubelarien zu seinem 75. Geburtstag an diesem Samstag deutlich leiser ausgefallen. Denn Heynckes hatte seinerzeit eine erfolgreiche Zeit als Trainer hinter sich, aber keine überragende. Im Gegenteil: Mehrfach war er gescheitert, nicht zuletzt an sich selbst. Und mit zwei Meistertiteln (mit Bayern 1989 und 1990) stand er damals in der Bundesliga-Bestenliste noch hinter Felix Magath (drei Meisterschaften) und Jürgen Klopp, der ihn in dieser Saison 2011/12 mit Borussia Dortmund in der Liga weit hinter sich gelassen und im DFB-Pokalfinale mit 5:2 deklassiert hatte.

Heynckes einer der besten deutschen Stürmer aller Zeiten

Gerade in dieser Spielzeit hätten die Bayern in den entscheidenden Spielen jene Torgefahr gut gebrauchen können, die Heynckes in seiner eigenen Profikarriere ausgezeichnet hatte. Der gebürtige Mönchengladbacher, mit gerade mal fünf Pfund Gewicht am Tag nach der deutschen Kapitulation im zweiten Weltkrieg, dem 9. Mai 1945, als neuntes von zehn Kindern eines Schmieds zur Welt gekommen, war - was viele nicht mehr wissen - in den 1970er-Jahren einer der besten deutschen Stürmer aller Zeiten. Viermal gewann er mit seinem Heimatverein Borussia Mönchengladbach die Meisterschaft sowie einmal den UEFA-Cup und den Pokal, wurde zweimal Torschützenkönig sowie mit der DFB-Auswahl 1972 Europa- und 1974 Weltmeister und steht bis heute mit 220 Treffern auf Platz vier der ewigen Bundesliga-Torjägerliste.

Nach dem Ende der aktiven Zeit rutschte er nahtlos in den Trainerstab der Fohlen und gewann als Assistent von Udo Lattek 1979 den UEFA-Pokal - es sollte allerdings für 16 Jahre der letzte Titel für Gladbach sein. In den kommenden acht Jahren unter dem Cheftrainer Heynckes spielten die Borussen zwar regelmäßig oben mit, scheiterten aber mehrfach auf den letzter Metern. Zweimal wurde als Dritter knapp die Meisterschaft verpasst, 1984 nach dem Fehlschuss von Lothar Matthäus gegen Bayern München das Pokalfinale verloren und international verloren die Gladbacher im ersten Jahr das UEFA-Cup-Endspiel und schieden 1985 nach einer 5:1-Gala gegen Real Madrid durch eine 0:4-Pleite im Rückspiel im Bernabeu doch noch aus.

Heynckes und Hoeneß' größte Fehlentscheidung

Dennoch verpflichtete Uli Hoeneß seinen einstigen Mitspieler aus der Nationalmannschaft 1987 als neuen Trainer des FC Bayern. Doch beim "FC Hollywood" tat sich der bodenständige Heynckes lange schwer mit der medialen Aufmerksamkeit in der Großstadt München und ist bis heute der einzige Coach, von dem sich der Verein trotz verpassten Meistertitels in der ersten Saison nicht trennte. Danach sicherten sich die Roten zwar zweimal die Schale, bei Fans und Teilen des Klubs wurde aber nach bald zwei Jahrzehnten der Gewinn des Henkelpotts erwartet.

"Ich verspreche euch, nächstes Jahr holen wir den Europapokal", rief der euphorisierte Heynckes 1990 bei der Meisterfeier den Anhängern auf dem Marienplatz zu. Sein Team scheiterte aber nach einer dramatischen Partie im Halbfinale an Roter Stern Belgrad und musste in der Liga dem Underdog aus Kaiserslautern den Vortritt lassen. Heynckes' Kredit war aufgebraucht und nach einer 1:4-Heimpleite gegen Aufsteiger Stuttgarter Kickers und dem Abrutschen in den Tabellenkeller wurde der Coach im Oktober 1991 entlassen - auch wenn Hoeneß dies Jahre später als seine größte Fehlentscheidung bezeichnete.

Nicht immer einer Meinung: Jupp Heynckes (r.) und Uli Hoeneß.
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Nicht immer einer Meinung: Jupp Heynckes (r.) und Uli Hoeneß.

"Osram" Heynckes: Erfolgreich in der spanischen Provinz

Sein Glück fand der Vertriebene im Ausland und erneut in der Provinz, wo er Athletic Bilbao und später CD Teneriffa trotz bescheidener Mittel in den UEFA-Cup führte. Nur bei Großklubs funktionierte es nicht, weil Heynckes damals weit von seiner heutigen Souveränität entfernt war. Dass er sich in diesen Jahren schnell aufregte, hatte schon Wolfram Wuttke in Mönchengladbach erkannt, der Heynckes wegen dessen rot anlaufender Gesichtsfarbe den Namen "Osram" gab.

Vor allem in dem einen Jahr bei Real Madrid stand "Don Jupp" massiv unter Beschuss der Medien, da sich die Königlichen im Pokal gegen einen Zweitligisten blamierten und in der Primera Division nur Vierter wurden. Beinahe täglich gab es Berichte über seine bevorstehende Ablösung, weil er die mit Superstars gespickte Mannschaft nicht im Griff habe. Auch der Sieg im Champions-League-Finale 1998 gegen Juventus Turin, dem ersten Gewinn des Henkelpotts nach 32 Jahren, änderte nichts mehr an seinem Aus. Bei der anschließenden Pressekonferenz lautet die erste Frage: "Werden Sie in der nächsten Saison noch Trainer sein?" Bis heute ist Heynckes der einzige Coach, der direkt nach einem Triumph in der Königsklasse entlassen wurde.

Heynckes scheitert in Frankfurt und Schalke: "Groteskes Missverständnis"

In der Heimat blieb bis ins erste Jahrzehnt des neuen Jahrtausends ebenfalls das Bild vom exzellenten, aber leicht erregbaren Fachmanns, der mit den Medien, hohen Ansprüchen von Vereinsbossen und Umfeld sowie aufmüpfigen Jungprofis nicht klarkam. Bei Eintracht Frankfurt schmiss er die Stars Yeboah, Okocha und Gaudino raus, wurde aber nach dem Abrutschen auf Platz 13 nach neun Monaten im April 1995 zum Rücktritt gedrängt. Als "groteskes Missverständnis" bezeichnete die Frankfurter Neue Presse die kurze Tätigkeit des "schnell reizbaren Feldwebels im Anzug" am Main.

Nach einem ebenfalls enttäuschenden Jahr bei Benfica Lissabon mit einem 0:7-Debakel im Europacup bei Celta Vigo und einem weiteren Rücktritt in der Krise sowie einer erfolgreichen Rückkehr nach Bilbao ließ sich Heynckes 2003 von Rudi Assauer zu einem Engagement bei Schalke 04 überreden - scheiterte aber erneut nicht zuletzt an seiner Art. Nach einer enttäuschenden ersten Saison und dem schwächsten Saisonstart seit Jahren mit dem Sturz auf Platz 16 erfolgte schon im September 2004 die Trennung. Assauer begründete den Schritt auch hier mit dem zerrütteten Verhältnis zur Mannschaft und warf dem damals 59-Jährigen vor, ein Mann von gestern zu sein: "Der Jupp ist ein Trainer der alten Schule, aber wir haben 2004."

Heynckes' Etappe bei Schalke 04 war alles andere als von Erfolg gekrönt.
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Heynckes' Etappe bei Schalke 04 war alles andere als von Erfolg gekrönt.

Morddrohungen und vergiftetes Klima in Mönchengladbach

Noch desaströser verlief Heynckes' nächste Station: Die mit hohen Erwartungen verbundene Rückkehr nach Mönchengladbach endete nach nur 215 Tagen im Januar 2007 auf einem Abstiegsplatz. "Herr Heynckes, wann treten Sie zurück", hatte ein Journalist kurz zuvor auf einer Pressekonferenz den fassungslosen Trainer gefragt. Die Stimmung in seiner Heimatstadt war komplett vergiftet, der einstige Publikumsliebling erhielt sogar ernstzunehmende Morddrohungen. Diese hätten "eine Dimension erhalten, die ich meiner Frau nicht länger zumuten kann", begründete Heynckes seinen Rücktritt. Gleichwohl bezeichnete ihn Borussia-Präsident Rolf Königs beim Abschied als "großartigen Menschen" und "absoluten Ehrenmann" - und erwähnte explizit, dass der Geschasste seinen Dienstwagen "gewaschen und vollgetankt" zurückgebracht habe.

Laut eigener Aussage war die Trainerkarriere für den damals auch körperlich angeschlagenen Heynckes, der im Jahr darauf ein künstliches Kniegelenk erhielt, beendet. Vielleicht half diese Phase auch, vom Getriebenen der ersten drei Jahrzehnte auf der Bank zur souveränen Respektsperson zu werden. Das Comeback auf großer Bühne entstand dennoch mehr aus einem Zufall. Da Heynckes seinen Freund Hoeneß im April 2009 am Tegernsee besuchte, sah er auch das letzte Spiel von Jürgen Klinsmann (0:1 gegen Schalke 04) in der Allianz Arena und saß teilweise dabei, als über den Interimscoach für die fünf Spiele bis Saisonende beraten wurde. Die Zeit bezeichnete den 63-Jährigen zwar als "Trainerrentner", andere Medien als "Auslaufmodell", doch Hoeneß war von seiner Idee total überzeugt: "Jetzt ist so ein Mann der Richtige. Er ist ein Fußball-Lehrer - und das ist im Moment das, was wir brauchen!"

Rentner Heynckes erfindet sich nochmal neu

Konzentriert und konsequent sicherte der Platzhalter für Louis van Gaal mit Platz zwei das Mindestziel, den Einzug in die Champions League, und hatte Blut geleckt. "Da ist plötzlich mein Motor wieder auf Temperatur gekommen. Ich habe wieder Gefallen am Trainerjob gefunden", erklärte Heynckes, warum er das folgende Angebot von Bayer Leverkusen über einen Zweijahresvertrag bis 2011 annahm. "In einem Alter, in dem die meisten anderen längst die Rente herbeisehnen, erfand er sich noch einmal neu", schrieb der Spiegel.

Die ersehnten Titel blieben allerdings bis zum historischen Triple 2013 aus, nach dem er sich in den Ruhestand verabschiedete. Im Herbst 2018 kehrte er dann mit 72 Jahren doch nochmal zurück, als Nachfolger des gefeuerten Carlo Ancelotti und als "Freundschaftsdienst" für Hoeneß, und führte die strauchelnden Bayern mit beeindruckendem Auftreten und hochprofessionell zu seinem insgesamt vierten Meistertitel.

Hätten die FCB-Bosse nach der desaströsen Saison 2012 und dem Drama dahoam gegen Chelsea allerdings anders entschieden und sich statt von Manager Christian Nerlinger von Heynckes getrennt - vielleicht auch, weil Wunschkandidat Pep Guardiola erst ein Jahr später zur Verfügung stand - wäre vermutlich nicht nur die Freundschaft zu Hoeneß zerbrochen. Heynckes hätte sich dann früher als geplant auf seinen Bauernhof in Schwalmtal zurückgezogen, wäre nicht im Jahr darauf als weltbester Trainer ausgezeichnet worden und würde jetzt nicht ganz so groß gefeiert werden. Die Geschichte hat Hoeneß und Heynckes Recht gegeben. Deshalb auch von dieser Stelle: Herzlichen Glückwunsch, Josef Heynckes!