Unabhängig davon, wie konkret das Interesse der Königlichen an Haaland wirklich ist und ob der Spieler den BVB für eine Ausstiegsklausel in Höhe von 75 Millionen Euro vor seinem Vertragsende 2024 verlassen darf: Ein Transfer nach der derzeit unterbrochenen Spielzeit dürfte wohl kaum zustande kommen. Eine Analyse.
Haalands bewusste Entscheidung pro Dortmund
Haaland hätte bereits im Januar problemlos bei einem europäischen Elite-Klub unterschreiben können, die Interessentenliste war lang. Trotzdem entschied er sich nach mehreren Gesprächen mit seinem Vater Alf-Inge und seinem Berater Mino Raiola für die vermeintlich kleinere Variante namens Borussia Dortmund und beispielsweise gegen das stark interessierte Manchester United. Der Gedankengang dahinter: Er wollte nicht zu früh einen zu großen Schritt in seiner Entwicklung machen, sondern zu einem Verein, der ihm in einem etwas ruhigeren Umfeld ohne mediales Tamtam die Möglichkeit auf regelmäßige Spielpraxis bietet.
Dass sich nach elf Pflichtspielen mit zwölf Toren für seinen neuen Arbeitgeber daran etwas geändert hat? Ebenso unwahrscheinlich wie die Annahme der Marca, die Dortmunder Verantwortlichen um Sportdirektor Michael Zorc und Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke wären in den Verhandlungen mit Raiola tatsächlich bereit gewesen, eine vergleichsweise geringe Ausstiegsklausel in Höhe von 75 Millionen Euro in Haalands Vertrag einzubauen, die bereits nach einem halben Jahr aktiviert werden kann.
"Ich glaube, er wird Dortmund in diesem Sommer nicht verlassen", sagte Raiola vor zwei Wochen nicht ohne Grund. Der italienische Spielervermittler betonte, dass sein Klient noch "weiter wachsen" müsse. Und Haaland selbst bezeichnete das Interesse namhafter Klubs wie Real in einem kürzlich veröffentlichen Interview mit dem Magazin FourFourTwo zwar als "nett", merkte aber auch an, dass sein Wechsel zum BVB "die beste Option" gewesen sei und er sich bereits "wie zu Hause" bei den Schwarz-Gelben fühle.
Benzemas langer Schatten
Anders als in Dortmund wäre das Top-Talent in Madrid keineswegs auf Anhieb gesetzt. Karim Benzema ist mit seinen 32 Jahren nicht mehr der Jüngste, aber ein größerer Führungsspieler denn je, dessen Wort in der Umkleidekabine mehr Gewicht hat denn je. Abgesehen davon gilt er als Liebling von Trainer Zinedine Zidane und Präsident Florentino Perez.
Wie schwierig es ist, an dem Franzosen vorbeizukommen, spürt aktuell Luka Jovic (22). Der vor der Saison für 60 Millionen Euro von Eintracht Frankfurt verpflichtete Angreifer stand unter Zidane gerade einmal 770 Einsatzminuten auf dem Rasen. Auch Mariano Diaz (26), der dritte und kaum minder talentierte Stoßstürmer im Real-Kader, sieht gegen Benzema kein Land (65 Einsatzminuten). Ebenso wie einige prominente Stürmer zuvor. Beispielsweise Alvaro Morata (heute Atletico Madrid) oder Gonzalo Higuain (Juventus Turin).
Reals Überangebot an Spielern und Verträgen
Bevor die Madrilenen im Sommer überhaupt einkaufen können, müssen sie erst einmal verkaufen. Durch die Rückkehr einiger Leihakteure, darunter auch die des Dortmunders Achraf Hakimi, wird die Spieleranzahl im Kader von Zidane auf fast 40 ansteigen.
Leihspieler | Alter | Abgebender Verein | Vertrag bei Real bis |
Achraf Hakimi | 21 | Borussia Dortmund | 2022 |
Martin Ödegaard | 21 | Real Sociedad | 2023 |
Dani Ceballos | 23 | FC Arsenal | 2023 |
Sergio Reguilon | 23 | FC Sevilla | 2023 |
Alvaro Odriozola | 24 | FC Bayern | 2024 |
Takefusa Kubo | 18 | RCD Mallorca | 2024 |
Oscar Rodriguez | 21 | CD Leganes | 2023 |
Borja Mayoral | 23 | UD Levante | 2023 |
Andriy Lunin | 21 | Real Oviedo | 2024 |
Alberto Soro | 21 | Real Saragossa | 2024 |
Nach der auch aus wirtschaftlicher Sicht verheerenden Corona-Krise dürfte es umso schwieriger werden, alle auf dem Abstellgleis stehende Spieler für angemessene Ablösesummen loszuwerden. Das beste Beispiel: Gareth Bale (30), den Zidane im vergangenen Sommer "lieber heute als morgen" losgeworden wäre, am Ende aber blieb, weil zum einen kein Verein bereit war, Reals Ablöseforderungen zu erfüllen. Zum anderen weigerte sich auch der Spieler selbst, seinen hoch dotierten Vertrag in Madrid aufzugeben. Ähnlich war es auch mit dem Ex-Bayer James Rodriguez (28) oder Diaz.
Für die Blancos Segen und Fluch zugleich: Außer dem FC Barcelona und der Premier-League-Elite kann in puncto Jahresgehältern kein anderer Verein mehr bieten als sie. Mal eben Platz für Haaland zu schaffen, wäre alles andere als einfach. Zumal der Name des Norwegers nur einer von vielen ist, die derzeit rund um das Estadio Santiago Bernabeu als potenzielle Neuzugänge gehandelt werden. Da wären beispielsweise noch Dayot Upamecano (21, RB Leipzig), Eduardo Camavinga (17, Stade Rennes), N'Golo Kante (29, FC Chelsea), Paul Pogba (27, Manchester United) und nicht zuletzt der von Perez schon lange begehrte und als "Galactico der Zukunft" auserkorene Kylian Mbappe (21, Paris Saint-Germain).
Alle werden allein wegen des Financial Fair Plays nicht kommen können. Außerdem hat Perez, der 2021 frühestens als Präsident aussteigen könnte, schon oft betont, den Klub in einem wirtschaftlich soliden Zustand hinterlassen zu wollen. In diesem Zusammenhang sei erwähnt, dass der bereits begonnene Umbau des Bernabeu-Stadions mit Zinsen bis zu 800 Millionen Euro kosten könnte. Nach Vereinsangaben hat man zwar einen Kredit aufgenommen, der bis 2049 abbezahlt werden kann, Transferoffensiven von galaktischem Ausmaß sind unter Perez' Regie aber wohl nicht mehr zu erwarten. Abgesehen davon hatte der 73-Jährige schon im vergangenen Sommer an die 300 Millionen Euro für neue Stars - darunter 100-Millionen-Mann Eden Hazard - ausgegeben. Anders als Klubs wie PSG, Chelsea oder Manchester City hat der Klub keinen Investoren.
Jovics ungeklärte Situation
Für Haaland wäre theoretisch also nur Platz, wenn der spanische Rekordmeister seine Offensive ausmistet und vor allem das sich bislang weniger verheißungsvoll als gedacht herausgestellte Projekt mit Jovic beendet. Die großen Sportzeitungen in Spanien widersprechen sich aber hinsichtlich der Zukunft des Serben. Die jüngsten Berichte der Marca, wonach Jovic bereits abgeschrieben sei und schleunigst verkauft werden solle, werden durch Tomas Roncero, den Chefredakteur des Konkurrenzblattes AS, konterkariert.
Der in Real-Kreisen gut vernetzte Journalist vermeldete am Ostersonntag, dass die Klubdirektive Jovic bereits zugesichert habe, ihm wie dem einst ebenfalls mit Startschwierigkeiten kämpfenden Benzema eine zweite Chance zu gewähren. Roncero zitierte in seinem Artikel sogar einen namentlich nicht genannten Klubsprecher mit den Worten: "Es gibt eine lange Liste von Spielern, die im Alter von 21 oder 22 Jahren stagnierten und mit 25 zu den zehn besten der Welt gehörten."
Fazit: Real und Haaland - das wird schwierig. Zumindest in der kommenden Transferperiode.