An Zuversicht mangelt es nicht. Man sei davon überzeugt, die Trendwende zu schaffen, betonte man bei Borussia Dortmund zuletzt mehrfach. Versehen sind diese Sätze mit dem Zusatz "in dieser Konstellation", sie schließen also Lucien Favre mit ein.
Um den Verbleib des Trainers schwelt seit Wochen eine Diskussion, doch es schwelt auch eine Diskussion um den BVB selbst. Das käme überraschend, würde man lediglich bedenken, dass man doch im Vorjahr nur hauchdünn die Meisterschaft verpasste und sich im Sommer prominent zu verstärken meinte.
Es ist daher jetzt schon festzuhalten: So hatte man sich das mit dieser Spielzeit in Dortmund nicht vorgestellt - weder sportlich, noch was die Außenwirkung betrifft. Seit geraumer Zeit nun umgibt den Klub eine lähmende Unruhe, die die Protagonisten schwer in den Griff zu bekommen scheinen. Der BVB der Gegenwart wandelt zwischen Wankelmut und Lethargie und kommt wie ein toxisches, unsouveränes Gebilde daher. Aussicht auf kurzfristige Besserung? Reichlich ungewiss.
BVB: Mannschaft und Verein strahlen keine Stabilität aus
Die Verantwortlichen des Vereins versuchen seitdem nachvollziehbarerweise, die Deutungshoheit nicht zu verlieren und die angespannte Situation besonnen zu moderieren. Sie ist ja auch skurril, fast schon so verwunderlich wie das aktuelle Tabellenbild der Bundesliga. Schließlich sind für Dortmund noch alle Saisonziele in Reichweite. Doch während beim größten Konkurrenten aus München seit dem Trainerwechsel zu Hansi Flick eitel Sonnenschein herrscht, kriselt es beim nur einen Zähler hinter dem FC Bayern rangierenden BVB seit Wochen.
Die die Borussia stets begleitende Kritik hat damit zu tun, dass Mannschaft und Verein keine Stabilität ausstrahlen, weil sportlich wie politisch zu viel im Argen liegt. Dieser Eindruck lässt sich auf den regelmäßig stattfindenden Pressekonferenzen auch nicht von zwei recht wortkargen Vereinsvertretern wegwischen.
Die sportliche Dimension umfasst unter anderem, dass es seit der Rückrunde des Vorjahres schwerfällt, der Mannschaft eine Weiterentwicklung zu attestieren. Gerade in der Defensive begeht der BVB seit langer Zeit strukturelle und sich wiederholende Fehler, die Favre bislang nicht effektiv eindämmen konnte. Daraus resultieren ärgerliche Ergebnisse gegen schwächer besetzte Teams. Unter anderem konnte der BVB im Jahr 2019 nicht gegen Nürnberg, Augsburg, Union oder Paderborn gewinnen und verspielte in diesem Zeitraum in der Bundesliga sieben Führungen.
Favres Philosophie prägt die BVB-Mannschaft nicht
Auch stößt der auf Sicherheit und kontrollierte Offensive ausgelegte Favre-Fußball deutlich an seine Grenzen, wenn trotz der hohen individuellen Qualität im Kader gleich mehrere Spieler wie aktuell ihrer Top-Form hinterherlaufen. Hinzu kommen kritische Anmerkungen von Wortführern wie Kapitän Marco Reus oder Mats Hummels zur taktischen Ausrichtung.
Zwar betonen die Spieler die gute Zusammenarbeit mit dem Schweizer Coach, die Vielzahl der Wundertüten-Auftritte lässt jedoch keinerlei Kontinuität zu. Selbst drei Siege in Serie verhalfen nicht zu einem Umschwung, im Gegenteil: danach folgten mit München, Paderborn und Barcelona die drei ernüchternsten Partien der bisherigen Saison.
So ist Dortmund von einem Fußball, der den propagierten Kampf um die Meisterschaft mit Leben und Überzeugung füllt, weit entfernt. Die Frage, ob Favre die Mannschaft mit seiner Philosophie prägen würde, muss nach seiner bisherigen Amtszeit verneint werden - das gerne hergenommene Argument, dem 62-Jährigen fehle es dafür ohnehin an der nötigen Persönlichkeit, kann man dafür sogar außen vor lassen.
Ob ein Favre-Aus Besserung bringt, muss bezweifelt werden
Die Folge der blassen Darbietungen ist, dass seit Wochen eine Entlassung von Favre im Raum steht und dem Vernehmen nach einzig aufgrund der fehlenden Alternativlösung noch nicht vollzogen wurde. Dass aus dieser verworrenen Gemengelage keine leistungsfördernde Atmosphäre entstehen und die allgemeine Verunsicherung weichen kann, ist selbstredend. Deshalb bleibt es auch ungeachtet des Unterzahl-Siegs in Berlin oder derzeitiger Platzierungen schwer vorstellbar, dass aus dem Kapitel Favre noch eine Erfolgsgeschichte wird.
Doch ob einzig ein Favre-Aus schon Besserung für den BVB bringen würde, ist zweifelhaft. Nicht umsonst verschärfte man in letzter Zeit den Ton gegenüber der Mannschaft, die früh in der Saison erneut von der Anfang des Jahres erstmals aufgekeimten Mentalitätsdebatte heimgesucht wurde. Die Kluft zwischen einsichtigen Worten der Spieler und darauffolgenden Taten fällt bisweilen gewaltig aus.
Es sind vielmehr weitere Baustellen, die nahelegen, dass Dortmunds Inkonstanz und die permanent den Klub umgebende Aufgeregtheit nicht nur an der Trainerposition festzumachen sind. Das beginnt bei der Zusammenstellung des Kaders: Neben dem von Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke bereits eingeräumten Fehler, keinen zweiten Stürmer neben dem dauerverletzten Paco Alcacer verpflichtet zu haben, stünde der Borussia ein gestalterischer, strukturgebender und offensiver Achter im Stil eines Ilkay Gündogan gut zu Gesicht.
Fehlende Leadertypen und erneute Undiszipliniertheiten
Auch vermisst man Typen, die die Mannschaft anführen und ihr in schwierigen Situationen Halt geben. Zu oft war stattdessen zu beobachten, wie sich der BVB kollektiv in sein Schicksal ergab. In diesem Zusammenhang sind auch Hummels' alarmierende Worte nach dem Debakel beim FC Bayern zu verstehen, man müsse härter zu sich selbst sein, um körperlich dagegenhalten zu können.
Hinzu kommen wiederkehrende Undiszipliniertheiten wie die häufigen Verspätungen von Jadon Sancho. Erst recht im Kontext der Erfahrungen mit Ousmane Dembele und Pierre-Emerick Aubameyang, deren vereinsschädigendes Verhalten sich negativ auf die Chemie des Teams und dessen Disziplin ausgewirkt hat, muss man sich fragen, weshalb die Verantwortlichen nicht in der Lage sind, solche Auswüchse einzudämmen.
Dass die Dortmunder Führung schon einmal ein glücklicheres Händchen bewiesen hat, belegt nicht nur die Unwucht im Kader. Nichts anderes als eine Ohrfeige für Favre war es, als Watzke auf der Vorstellung seiner Biografie zur Unzeit davon schwadronierte, dass er Jürgen Klopp zum BVB zurückholen wollte, während dem stattdessen verpflichteten Trainer der Wind von allen Seiten ins Gesicht blies.
BVB steht vor vielfältigen und schwierigen Herausforderungen
All diese Bausteine haben im bald abgelaufenen Jahr eine Distanz zwischen den für einen Verein entscheidenden Säulen entstehen lassen: zwischen Mannschaft, Trainer, Verantwortlichen und Fans. Dass Zuschauer die Gegentore gegen Paderborn höhnisch beklatschen, ist nicht das erste Anzeichen eines sich ausbreitenden und für den Klub schädlichen Defätismus.
Es sind somit vielfältige und schwierige Herausforderungen, die Borussia Dortmund in naher wie ferner Zukunft zu bewältigen hat. Sowohl der sportlichen Stagnation, als auch der immer mehr verblassenden Vereinsidentität entgegen zu wirken, dürften die beiden dringlichsten sein.
Ansonsten könnte es mit Watzkes im Mai formuliertem Postulat, noch ambitionierter aufzutreten, um "den nächsten Evolutionsschritt" zu gehen, problematisch werden.
BVB: Der Spielplan von Borussia Dortmund bis zur Winterpause
Datum | Uhrzeit | Wettbewerb | Gegner |
7. Dezember | 15.30 Uhr | Bundesliga | Fortuna Düsseldorf (H) |
11. Dezember | 21 Uhr | Champions League | Slavia Prag (H) |
14. Dezember | 15.30 Uhr | Bundesliga | FSV Mainz 05 (A) |
17. Dezember | 20.30 Uhr | Bundesliga | RB Leipzig (H) |
20. Dezember | 20.30 Uhr | Bundesliga | TSG Hoffenheim (A) |