Lucien Favre versank in seinem Plastikstuhl wie ein Schulbub beim Tadel, der Ruck-Rede von Hans-Joachim Watzke lauschte der Trainer von Borussia Dortmund mit einem gequälten Lächeln. Die Ansage des Klubchefs während der Mitgliederversammlung in den Westfalenhallen war zwar eher motivierend als streng, aber eindeutig - Favre steht vor einer Schicksalswoche. Sein Job ist in höchster Gefahr.
Die Mitgliederversammlung zum Nachlesen im Ticker
"Lieber Lucien, du hast weiter unser Vertrauen", sagte Watzke nach 40 turbulenten Stunden, in denen als Folge des blamablen 3:3 (0:3) gegen den SC Paderborn eine Krisensitzung die andere gejagt hatte. Sofort kam das große Aber: "Am Ende ist Fußball immer über Ergebnisse definiert. Wir wünschen uns alle, dass es dir und der Mannschaft gelingt, eine Wende herbeizuführen."
Übersetzt: Gelingt dies beim FC Barcelona in der Champions League (Mittwoch, 21.00 Uhr) und bei Hertha BSC (Samstag, 15.30 Uhr/beide Sky) in der Liga nicht, war es das für den Schweizer nach eineinhalb Jahren. Doch besonders die Spieler, die am Sonntag bei ihrem Auftritt mit Pfiffen und "Schämt euch!"-Rufen bedacht wurden, stehen in der Pflicht.
"Reißt euch zusammen, strafft euch und tretet so auf, wie das von Borussen erwartet wird", forderte Watzke unter großem Beifall der nur 767 anwesenden Mitglieder: "Ihr müsst als Mannschaft wissen, dass es mit Worten nicht getan ist. Wir sind Borussia Dortmund - das muss man sehen!" Kapitän Marco Reus stimmte zu. Er forderte endlich wieder die Bereitschaft ein, "von Beginn an zu leiden".
BVB-Transfers: "Wir hätten eine zweite Nummer neun verpflichten müssen"
Watzke hatte entgegen der Erwartungen nicht das grobe Besteck gewählt. "Eine Abrechnung ist nicht unser Stil", sagte er zur Einleitung. Stattdessen beschwor der Geschäftsführer mit sanfter Strenge die Einheit des Vereins, er warb um Solidarität und ließ es dennoch nie an Klarheit fehlen. Gut an kam auch seine Selbstkritik vor der obligatorischen Erbsensuppe: "Wir hätten eine zweite Nummer neun verpflichten müssen. Das haben wir nicht getan. Das war falsch."
Die Mannschaft beteuert, dass die Botschaften angekommen sind. "Wir schieben die Verantwortung nicht weiter. Wir auf dem Platz müssen in der Lage sein, so ein Spiel zu gewinnen", sagte Reus. Die grausame erste Halbzeit, in der sich der BVB wie eine Schülermannschaft hatte auskontern lassen, sei "absolute Scheiße" gewesen: "So dürfen wir nie, nie wieder auftreten."
Das Wochenende hatte turbulent begonnen. Watzke versammelte seine Getreuen unmittelbar nach dem Abpfiff zu einer Krisensitzung, die erst nach Mitternacht endete. Favre versuchte seinerseits, mit einer Sofort-Analyse an der Seite seiner Führungsspieler das Ruder herumzureißen. Am Samstag dann verkündete Sportdirektor Michael Zorc: Favre bleibt. Zumindest für eine Woche.
"Unsere Situation ist mehr als unbefriedigend", sagte Zorc über die "katastrophale Leistung" (BVB-Präsident Reinhard Rauball, der am Sonntag wiedergewählt wurde). "Aber wir gehen mit Lucien Favre in das Spiel in Barcelona und erwarten, dass wir eine deutliche Leistungssteigerung sehen." Das gilt ebenso für das Spiel in Berlin - einen Hansi Flick hat der BVB eben nicht.
Weitere Unruhe gab es am Sonntag um den formschwachen Jungstar Jadon Sancho. Laut eines Berichts des Online-Sportportals The Athletic fühlt sich der 19-Jährige "gedemütigt und zum Sündebock gestempelt". Sancho war im Spiel bei Bayern München vor der Länderspielpause (0:4) nach 36 Minuten ausgewechselt worden.