"Ich hatte nicht das Gefühl, dass man sich über diese Niederlage aufgeregt hat", sagte ein erzürnter Roman Weidenfeller. Der ehemalige Torhüter von Borussia Dortmund war live im Stadion, als sich der BVB am vergangenen Wochenende beim FC Bayern die nächste Klatsche in München abholte.
Zumindest nach dem Spiel war die Wut auf die 0:4-Pleite dann aber bei allen Dortmundern, die sich in der Mixed Zone der Presse stellten, deutlich greifbar. Mats Hummels, Michael Zorc, Lucien Favre - sie alle echauffierten sich über den abermals erschreckend schwachen Auftritt beim FCB.
Nico Schulz hat anschließend nichts zu seinem erstmaligen Mitwirken bei einem Dortmund-gegen-Bayern-Duell in der Bundesliga gesagt. Dem Neuzugang stand die tiefe Enttäuschung aber ins Gesicht geschrieben. Mit seiner Tasche in der Hand und leeren Augen trottete Schulz Richtung Mannschaftsbus.
Nico Schulz beim BVB: Verletzung kostet ihn sechs Pflichtspiele
Am Donnerstag äußerte sich der Linksverteidiger dann beim DFB-Team: "Wir haben alle schlecht gespielt. In dem Spiel haben wir alle versagt", sagte Schulz. "Da kann man dann gern sagen, dass das nicht wie echter Männerfußball war. Ich bin ein Mann, ich bin ein erwachsener Mann. Wenn ich auf dem Platz bin, versuche ich auch, wie einer zu spielen. Mal klappt es gut, mal weniger gut."
Mal weniger gut - das bilanziert die bisherige Zeit des 26-Jährigen beim BVB recht treffend. 25,5 Millionen Euro zahlte Dortmund an Hoffenheim im Sommer und machte Schulz damit zum fünftteuersten Neuzugang der Vereinsgeschichte. In seinen neun Pflichtspielen, in denen er für die Westfalen auflief, hat er allerdings noch kein wirklich überzeugendes Spiel hingelegt.
Dass es für ihn nur zur Hälfte aller möglichen Einsätze reichte - und deshalb muss auch jetzt noch Geduld und Nachsicht angesagt sein -, lag am Teilriss eines Bandes in der linken Fußwurzel, den er sich Anfang September beim verlorenen Länderspiel gegen die Niederlande zuzog. Fünf Wochen fiel Schulz aus, sechs BVB-Pflichtspiele verpasste er dabei.
BVB-Trainer Favre baut auf wiedergenesenen Schulz
"Es war eine schwere Zeit, wenn man neu zu einem Verein kommt und gleich verletzt ist", sagte Schulz. Seitdem kämpft der Nationalspieler um den Anschluss, aber vor allem um Form und Rhythmus. An Gelegenheiten mangelt es ihm dabei nicht, Trainer Lucien Favre setzte Schulz seit dessen Genesung in vier von sechs Partien ein.
Dass er zu knabbern hat, wurde nicht nur beim Tor von Inter zum 0:1 im Hinspiel offensichtlich, als Schulz in der Viererkette deutlich zu tief stand und Dortmunds Abseitsfalle deshalb nicht zuschnappte. Auch beim berauschenden Rückspiel gegen die Nerazzurri, aufgrund seines italienischstämmigen Vaters übrigens eine von Schulz' Lieblingsmannschaften, war der Abwehrspieler der biederste Dortmunder. Beim Sieg in Köln am 2. Spieltag nahm ihn Favre nach 62 schwachen Minuten vom Feld.
Ohnehin die Viererkette: Schulz muss sich daran noch weiter gewöhnen. In seinen zwei Jahren in Hoffenheim war er gegen den Ball meist linker Teil einer Fünferkette, die offensiv zu einer Dreierkette wurde, so dass Schulz' auch zu zahlreichen Aktionen im Mittelfeld kam.
Schulz in Dortmund noch ohne Assist
In dieser Rolle rannte er bei der TSG die linke Flanke hoch und runter, brachte sein großes Tempo sowie seine Dynamik im Umschaltspiel ein und spielte besonders gute Vor-Vorlagen. In Dortmund dagegen sind seine Defensivaufgaben als Mitglied der Viererkette etwas umfangreicher, die Umschaltmomente etwas geringer geworden.
58 Prozent gewonnene Zweikämpfe und 38 Ballverluste weist die Statistik für Schulz aus. Dazu einen Torschuss, der den Kasten jedoch verfehlte. Assists oder Vor-Vorlagen? Fehlanzeige.
Ein weiterer Grund für seine Anlaufschwierigkeiten ist neben der überwundenen Blessur sicherlich auch Schulz' geringe Erfahrung auf höchstem Niveau. Dass er, der bislang auf 16 internationale Einsätze für Gladbach, Hoffenheim und Dortmund sowie neun Länderspiele für Deutschland kommt, der Musik in dieser Hinsicht noch etwas hinterherrennt, wurde in den Duellen gegen Inter oder den FC Bayern augenscheinlich.
"Es ist schwer zu erklären, aber wenn man in den letzten Spielen nicht so gut gespielt hat, geht man irgendwie anders in ein Spiel. Es ist nicht alles so selbstverständlich, wie es sein sollte oder wie ich die Borussia in der vergangenen Saison von außen betrachtet habe", sagte er kurz vor seinem Comeback Mitte Oktober bei Sport1.
Alternativen zu Schulz sind beim BVB rar gesät
Doch mögliche Alternativen sind im Dortmunder Kader rar gesät. Als Schulz gegen Schalke und Wolfsburg jeweils 90 Minuten auf der Bank saß, bot Favre Raphael Guerreiro als Linksverteidiger auf. Doch der Coach sieht im Portugiesen eher einen Mittelfeldspieler und brachte ihn in diesen Partien vor allem deshalb, um die Belastungen von Schulz nach seiner Verletzung sinnvoll zu verteilen.
Ein weiterer Kandidat ist Achraf Hakimi, der in dieser Saison auf zwei Einsätze links hinten kommt, aber wie auf der gegenüberliegenden Seite immer wieder eklatante Defensivschwächen aufweist. Zudem setzte ihn Favre zuletzt häufiger im Mittelfeld ein. Bliebe noch Urgestein Marcel Schmelzer, doch dem gestand der Schweizer bislang ganze drei Spielminuten zu.
In den kommenden Wochen bis zur Winterpause wird es für Schulz nun um die schwierige Aufgabe gehen, sich in einem wenig stabilen Gebilde zu stabilisieren und weitere Wettkampfhärte anzueignen. Vielleicht benötigt es nur eine oder zwei gute Partien, um einen persönlichen Aufschwung einzuleiten und aus der Stagnation zu kommen. Es wird aber Zeit - für ihn und für den BVB.
Nico Schulz: Die Leistungsdaten seiner Profi-Karriere
Verein | Pflichtspiele | Tore | Assists | Spielminuten |
Hertha BSC (2010-2015) | 98 | 2 | 8 | 5610 |
Borussia Mönchengladbach (2015-2017) | 18 | 1 | 2 | 594 |
TSG 1899 Hoffenheim (2017-2019) | 71 | 4 | 13 | 5483 |
Borussia Dortmund (seit 2019) | 9 | 0 | 0 | 770 |