Josh Sargent startet in die Tiefe. Mit dem linken Arm deutet er Nuri Sahin den Weg, dessen langen Ball über die Augsburger Abwehrkette hält der US-Amerikaner mit Spann und Brust in der Luft, hebt ihn über den herauslaufenden Tomas Koubek und vollendet über die freie Torlinie - ohne, dass das Leder dabei auch nur einmal den Rasen berührt.
Sargents Treffer im Bundesligaspiel des SV Werder Bremen gegen den FC Augsburg (3:2) am vergangenen Spieltag darf mit Fug und Recht als Traumtor bezeichnet werden. Während das Weserstadion explodierte, wirkte der 19-Jährige überraschend unaufgeregt. Vielleicht, weil Sargent schon früh wusste, dass er später auf der großen Bühne stehen würde.
Josh Sargents Vater: "Ich musste nicht nachhelfen"
Geboren am 20. Februar 2000 als Sohn von Liane und Jeff in O'Fallon, Missouri, bekam Sargent das Fußballspielen quasi in die Wiege gelegt. Beide Elternteile hatten auf College-Ebene Fußball gespielt - und schon früh stellte sich heraus, dass auch ihr Spross mit dem roten Lockenkopf einmal hoch hinauswollte. "Er war ungefähr drei oder vier Jahre alt, als er begann, davon zu sprechen, Fußball in Europa spielen zu wollen, weil ich immer die Partien geschaut habe", erinnert sich Jeff im Gespräch mit FourFourTwo: "Er wollte auch für die Nationalmannschaft spielen. Natürlich standen die Chancen nicht gut, aber ich habe ihm nie gesagt, er könne oder werde es nicht schaffen. Ich habe ihn einfach machen lassen, wozu er Lust hatte."
Und das tat Sargent auch, so war er schon immer. "Es ist lustig. Als er zwei Jahre alt war", entsinnt sich sein Vater, "ist sein Cousin, der ein paar Jahre älter ist, mit einem Fahrrad gefahren. Josh ist dann einfach auf das Fahrrad gehüpft und losgefahren, weil ihm niemand gesagt hatte, dass er eigentlich noch gar nicht wissen kann, wie das geht."
Um seinen Traum vom Profifußball zu verwirklichen, trainierte Sargent schon in jungen Jahren viel, "wahrscheinlich mehr, als mir lieb war", sagt Jeff: "Ich weiß, dass viele Eltern versuchen, ihre Kinder ständig anzuspornen, aber das musste ich nie. Er hat mich immer vom Sofa geholt und wollte spielen. Es war einfach in ihm drin, ich musste nicht nachhelfen."
Werders Josh Sargent: Schneller Aufstieg zum Nationalspieler
Mit acht Jahren begann Sargent im Scott Gallagher Soccer Club mit dem Vereinsfußball, Berufungen zu Trainingslagern des US-amerikanischen Fußballverbands ließen nicht lange auf sich warten.
Als 15-Jähriger zog Sargent schließlich ins Brandenton-Fußballinternat nach Florida. "Wenn ich jemandem davon erzähle, bekomme ich oft zu hören‚ das klinge wie ein Gefängnis", beschreibt sein Vater die US-Ausbildungsakademie: "Josh dagegen hat gesagt, nach Florida zu fahren und dort mit den besten Spielern der Nation zu trainieren, sei das Beste gewesen, das ihm je passiert ist."
Sargent wurde zum zweitbesten Highschool-Spieler des Landes gewählt und weckte die Aufmerksamkeit internationaler Top-Klubs. Es folgte ein rasantes Jahr 2017 im Trikot der Stars and Stripes.
Bei der CONCACAF U17-Meisterschaft schoss Sargent die Vereinigten Staaten mit fünf Treffern ins Finale, nur einen Monat später trug er sich bei der U20-Weltmeisterschaft als jüngster amerikanischer Torschütze in die Geschichtsbücher ein. Aufgrund seiner Leistungen wurde er im November für das Herrenteam nominiert - innerhalb eines Jahres stand Sargent also für die U17, die U20 sowie die A-Nationalmannschaft der USA auf dem Rasen.
Plätze an diversen Colleges sowie beim MLS-Klub Sporting Kansas City waren ihm damit sicher - Sargent entschloss sich jedoch, stattdessen seinem Kindheitstraum von Europa zu folgen. "Die MLS war definitiv eine Option", sagte das Stürmertalent zu SBNation: "Es wäre schön gewesen - jeder spricht Englisch und es ist nur drei Stunden von zuhause entfernt. Aber ich glaube fest daran, dass man im Leben Dinge tun muss, die einem schwerfallen, um sich als Person weiterzuentwickeln."
Florian Kohfeldt und die Sorgen vor einer zu großen Erwartungshaltung
Diverse europäische Klubs bekundeten in dieser Phase ihr Interesse an Sargent, darunter wohl auch Bayern München, Schalke 04, der VfB Stuttgart und die PSV Eindhoven. "Es war verrückt", sagt Jeff: "Ich hätte das niemals für möglich gehalten."
Sargents Wahl fiel letztlich auf Werder Bremen. "Ich wollte zu einem Klub gehen, bei dem ich auch Spielzeit bekommen würde", begründete er seine Entscheidung im Planet Futbol Podcast. "Ich habe verschiedene Vereine besucht und hatte in Bremen mit dem Trainerstab einfach ein gutes Gefühl. Also bin ich meiner Intuition gefolgt."
In der Hansestadt musste Sargent jedoch schnell feststellen, dass die Realität nicht so blumig war, wie er sie sich in seinen Kindheitsträumen wohl ausgemalt hatte. "In den ersten zwei Monaten war es sehr schwierig für mich", sagte er der Bild: "Ich wusste nicht wirklich, was mich hier erwartet. Ich hing damals auch ständig am Telefon, habe sehr oft mit meiner Familie und Freunden gesprochen."
Auch sein Trainer Florian Kohfeldt trat auf die Euphoriebremse. Der Neuankömmling wurde zunächst in die zweite Mannschaft geschickt, mit der er in der Regionalliga langsam an den Profifußball herangeführt werden sollte. "Ich habe Sorge, dass eine zu große Erwartungshaltung entsteht, ein Hype, den man nicht mehr einfangen kann. Ich habe da schon schlechte Erfahrungen gemacht", sagte Kohfeldt seinerzeit.
Sargent "Ich will deutlich mehr spielen"
Nach sieben Toren in zwölf Spielen für Bremens zweite Mannschaft war es im Dezember 2018 dann aber soweit: Kohfeldt wechselte Sargent in der 76. Spielminute gegen Fortuna Düsseldorf ein, nicht einmal zwei Minuten später traf der Debütant für die Werderaner zum 3:1. "Er hat ein Tor geschossen", kommentierte Kohfeldt nach der Partie nüchtern und versuchte so, einen möglichen Hype um den 18-Jährigen im Keim zu ersticken.
In der Folge kam Sargent bis Februar 2019 in zehn Einsätzen auf 200 Minuten Spielzeit - gegen Ende der Rückrunde baute sein Trainer jedoch kaum noch auf ihn. Es war ein Anfang für den Amerikaner, nicht mehr. Nach einer guten Vorbereitung auf die aktuelle Saison setzte er sich höhere Ziele. "Ich bin momentan vielleicht in der besten Verfassung meines Lebens.", sagte er der Bild: "Ich will in dieser Saison deutlich mehr spielen als in der vergangenen."
Mit seinem Traumtor gegen Augsburg ließ das Stürmertalent seinen Worten am vergangenen Wochenende Taten folgen. Für Kohfeldt und den SV Werder Bremen könnte nun der Moment gekommen sein, die Sorge vor der zu großen Erwartungshaltung über Bord zu werfen und aufzuhören, den Hype um Sargents Person einfangen zu wollen.
Denn auch, wenn Sargent vielen deutschen Fans erst seit dem dritten Spieltag ein Begriff ist, kommt diese Erwartungshaltung für ihn nicht plötzlich. Schließlich hat er sie sich selbst bereits mit vier Jahren auferlegt - als er sich vornahm, Profifußballer in Europa zu werden.
Josh Sargents Leistungsdaten bei Werder Bremen
Saison | Wettbewerb | Spiele | Tore |
2018/19 | Bundesliga | 10 | 2 |
2018/19 | DFB-Pokal | - | - |
2019/20 | Bundesliga | 2 | 1 |
2019/20 | DFB-Pokal | 1 | - |