Karim Rekik spricht von einem Schlüsselmoment für sein Leben als Fußballer, wenn er von dieser einen Szene erzählt: Training bei Manchester City. Kurz nachdem er als 16-Jähriger von Feyenoord Rotterdam zum englischen Top-Klub gewechselt war. Carlos Tevez, damals einer der besten Stürmer der Welt und eines der Kronjuwelen in Citys Luxuskader, dribbelt in Richtung Tor. Und Rekik, seines Zeichens ja Verteidiger, schaut einfach nur zu.
"Ich lief also hinter ihm her und dachte die ganze Zeit: 'Mann, das ist Carlos Tevez, der größte von allen Stars hier, der verdient so viel Geld, der ist so wichtig für das Team. Den kannst du nicht einfach umhauen. Schon gar nicht von hinten. Vielleicht verletzt er sich und dann bist du der, der ihn kaputtgetreten hat'", erzählte Rekik mal der Berliner Morgenpost.
Er machte nichts, ließ Tevez treffen, die Mitspieler waren stocksauer. "Nach dem Training kam Tevez zu mir und sagte: 'Junge, du hättest mich umhauen müssen. Namen zählen hier nicht.' Da hatte ich verstanden. Nach zwei, drei Monaten hatte ich mich an das Niveau gewöhnt", sagt Rekik.
Heute, rund acht Jahre später, darf sich der Holländer mit tunesischen Wurzeln gestandener Bundesliga-Profi nennen. Mehr noch: Rekik zählt wohl zu den besten Innenverteidigern der Liga, ist zweikampfstark, schnell, gut im Spielaufbau - und bei Hertha BSC längst eine Bank.
Rekik wirkt älter als die 24 Jahre, die er erst auf dem Buckel hat. Wahrscheinlich liegt das daran, dass er trotz seiner Jugend schon so viel erlebt hat als Fußballer. "Ich musste sehr früh und sehr schnell erwachsen werden", betont er selbst. Mit 16, im Sommer 2011, lockte Manchester City ihn auf die Insel, Rekik war seinerzeit eines der größten Talente Europas. Ein paar Wochen zuvor war er als Abwehrchef von Hollands Junioren U17-Europameister geworden, an der Seite von Jungs wie Memphis Depay, Jetro Willems oder Tonny Vilhena. Im Finale schlug Oranje die deutsche Auswahl um Emre Can und Mitchell Weiser spektakulär mit 5:2.
Rekik: Wechsel nach Manchester "ein Traum"
Leicht fiel ihm der Wechsel nach Manchester jedoch nicht. "Als das Angebot kam, war es wie im Traum, aber trotzdem eine schwere Entscheidung. Meine Familie hat alles aufgegeben, was wir in Holland hatten", sagt Rekik. Lange wurde diskutiert, schließlich zugesagt und die ganze Familie kam mit nach England. Der kleine Bruder Omar, der jetzt in Herthas U19 kickt, die Eltern, die alles auf die Karriere des Sohnes ausrichteten. "Meine Mutter hat dafür ihren Job als Grundschuldirektorin hingeschmissen."
Zwar machte die Unterstützung der Familie die Eingewöhnung leichter, den Druck eröhte das gemeinsame Projekt allerdings. "Ich habe kaum Geld verdient und meine Eltern hatten keinen Job", erinnert sich Rekik.
Gut, dass zumindest sportlich zunächst alles schien wie ein einziger Traum. Rekik wurde schnell bereits zur zweiten Mannschaft beordert, kurz darauf nahm ihn der damalige Coach Roberto Mancini mit ins Trainingslager der Profis. "Ich war komplett überwältigt", gesteht Rekik. "Kurz vor meiner Abreise nach England hatte ich in Rotterdam mit diesen Jungs noch auf der Playstation gespielt und plötzlich saß ich mit ihnen in der Umkleide. Sergio Aguero, Yaya Toure, David Silva, Carlos Tevez - alles Weltstars und ich, der 16-jährige Junge mittendrin. Ich hatte einen Heidenrespekt."
In seiner ersten Saison absolvierte der Sohn einer Holländerin und eines Tunesiers immerhin zwei Einsätze für City im Ligapokal, feierte noch drei Monate vor seinem 17. Geburtstag sein Debüt in der ersten Mannschaft. In der Rückrunde wurde er an den Zweitligisten Portsmouth verliehen, ein Jahr später dann an Blackburn, wieder zweite Liga. Wirklich rund lief es dort nicht, hinzu kam der komplizierte Status als verliehenes Top-Talent.
Rekik kam in Portsmouth "in eine Mannschaft voller Männer"
"In Portsmouth kam ich als Junge in eine Mannschaft voller Männer. Alle um die 29, 30 Jahre alt. Glauben Sie nur nicht, dass die darüber erfreut waren, dass da eine Junge kommt, der ihnen den Platz streitig machen will", betont Rekik. "Das will niemand und das ließen sie mich auch spüren. Es ging ja um ihre Arbeitsplätze. Eine lehrreiche, aber auch schwere Zeit."
Rekik reifte, nahm die englische Härte mit auf in sein Spiel. Und bewahrte sich dennoch die spielerische Komponente, die ihn ebenfalls ausmacht, die so typisch ist für einen erstklassig ausgebildeten Verteidiger aus Holland. Dabei stets im Hinterkopf: Italien- und Milan-Legende Paolo Maldini. "Er ist mein einziges Vorbild", sagte Rekik der Zeitung La Provence. "Er war Linksfuß so wie ich und wir spielen die gleiche Position. Ich war noch sehr jung, als er spielte, aber ich habe seine Spiele später auf YouTube geschaut."
Für City sollte Rekik indes lediglich einen einzigen Premier-League-Einsatz absolvieren, kurz vor Weihnachten 2012 gegen Reading war das. Ein halbes Jahr später verließ er Manchester. Zwar zunächst nur leihweise, letztlich kehrte er aber nicht mehr zurück. Und erlebte bei der PSV Eindhoven seine wohl beste Zeit, bevor er in Berlin anheuerte. "Überragend" nennt er sie selbst.
Obwohl bei seiner Ankunft in Eindhoven immer noch erst 18 Jahre alt, macht Trainer Phillip Cocu ihn sofort zum Stammspieler. Gemeinsam mit dem heutigen Wolfsburger Jeffrey Bruma bildet er die wohl beste Innenverteidigung der Eredivisie, debütiert für Hollands A-Nationalmannschaft, wird 2015 holländischer Meister. Doch dann endete die Leihe nach Eindhoven - und City verkaufte Rekik an Olympique Marseille.
Rekik fühlte sich im Süden Frankreichs nicht wohl
Die erste Saison lief sportlich okay, das Leben im Süden Frankreichs gefiel Rekik aber von vornherein nicht sonderlich. "Da war alles zu verrückt. Nach einer Niederlage konnte man sich nicht auf der Straße blicken lassen", sagte er. Zudem hatte er Pech mit den Trainern: Marcelo Bielsa, der ihn unbedingt haben wollte, wurde nach dem ersten Spieltag entlassen. Vier weitere Coaches sah Rekik während seiner Zeit in Marseille kommen und gehen, in der zweiten Saison machte er schließlich nur noch zehn Ligaspiele. In den letzten drei Monaten der Spielzeit stand er kein einziges Mal mehr im Kader.
Der Wechsel zur Hertha im Sommer 2017 war für Rekik daher eine Art Neuanfang. "Ich suche noch den Haken: Warum hat er in Marseille nicht gespielt?", sollte Trainer Pal Dardai schon nach wenigen Wochen fragen.
Seit er da ist, ist Rekik bei den Hauptstädtern eine feste Größe. Wenn er fit ist, spielt er immer, bevor ihn eine Verletzung vorübergehend zurückwarf, kehrte er im Herbst 2017 sogar in die Nationalelf zurück. Dardai schätzte neben der robusten Abwehrarbeit vor allem Rekiks Spielintelligenz, Nachfolger Ante Covic tut das ebenfalls.
"Seit dem ersten Moment in Berlin fühle ich mich entspannt", sagt Rekik. Einer der wichtigsten Integrationshelfer: Salomon Kalou. "Von Sala war ich schon mit elf oder zwölf Jahren Fan, was für ein grandioser Fußballer! Als ich dann nach Berlin kam, dachte ich: 'Wow, jetzt spielst du mit so einem Kerl in derselben Mannschaft'", erzählt der Linksfuß. "Er hat mich dann auch an die Hand genommen und es mir leicht gemacht, bei meinem neuen Verein anzukommen. Seitdem haben wir ein sehr gutes Verhältnis."
Rekik kam mit den Eltern nach Berlin
Zudem sind neben Bruder Omar natürlich auch die Eltern mit nach Berlin gekommen, so wie einst auch nach Manchester. Auf tunesisches Essen durfte er sich daher freuen, sagte er kürzlich dem Tagesspiegel, als er aus dem Trainingslager der Hertha in Vorbereitung auf die anstehende Saison nach Hause zurückkehrte. Auch unter Covic wird Rekik gesetzt sein, nach dem lockeren 5:1-Aufgalopp bei Regionalligist VfB Eichstätt im DFB-Pokal geht es zum Bundesligastart am Freitag (20.30 Uhr LIVE auf DAZN) gleich gegen Rekordmeister Bayern - und für Rekik damit auch ins direkte Duell mit Robert Lewandowski.
Mit dem Polen hat Rekik noch eine Rechnung offen. Beim 0:1 in München Ende Februar kassierte er nach einem Schubser gegen Lewandowski die Rote Karte, jedoch hatte der Bayern-Stürmer den Herthaner beim vorausgehenden Zweikampf im Fallen mit den Stollen im Gesicht getroffen.
Lewandowski sprach nach Abpfiff dennoch von einem klaren Platzverweis, Rekik konterte in der Bild: "Ich bin sehr enttäuscht über seine Aussagen. Ich kenne ihn als großartigen Spieler, aber er sagt aus meiner Sicht nicht die Wahrheit. Ich biete ihm gern an, mit mir die Szene gemeinsam anzusehen. Wenn ich eine berechtigte Rote Karte bekomme, gehe ich in die Kabine und halte den Mund. Warum sagt er so etwas?"
Auf Namen gibt Rekik eben nicht viel, die zählen für ihn nicht. So wie er es einst von Carlos Tevez lernte.