Schalke-Sportvorstand Jochen Schneider im Interview: "Streichlisten gibt es nicht"

Jochen Schneider ist Sportvorstand beim FC Schalke 04.
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Domenico Tedesco ist nach seinem Aus von den Fans im Stadion gefeiert und von den Medien gelobt worden. Auch Sie haben länger gebraucht, ehe Sie sich zu einer Trennung durchringen konnten.

Schneider: Ja, das war extrem schwer. Lassen wir mal das Persönliche außen vor, weil es keine Rolle spielt, dass ich ihn schon aus Stuttgarter Zeiten gut kenne und sehr schätze, weil er ein toller Kerl und ein ganz feiner Mensch ist. Aber er ist auch ein toller Trainer, der eine große Karriere vor sich hat, weil er alles mitbringt für diesen Beruf. Und er hat sich natürlich enorme Verdienste um Schalke 04 erworben mit der Vize-Meisterschaft, dem Einzug ins Pokal-Halbfinale und dem zweiten Platz in der Champions-League-Gruppenphase. Deswegen war es natürlich alles andere als einfach, diese Entscheidung zu treffen.

Huub Stevens Rückkehr war "relativ rasch klar"

War es einfach, Huub Stevens zu überzeugen, der ja eigentlich vor drei Jahren in Hoffenheim seine Trainerkarriere für beendet erklärt hatte?

Schneider: Ich kenne ihn ja auch schon ein paar Jahre und bin ihm dann hier wieder begegnet in seiner Funktion als Aufsichtsrat. Und als ich ihn nach der Trennung von Domenico Tedesco gefragt habe, hat er gesagt, er ist Schalker durch und durch und dann war das auch relativ rasch klar, dass er es macht.

Ist das in der momentanen Situation die Optimallösung, weil Stevens bei den Schalke-Anhängern beliebt ist und schon mehrfach Teams zum Klassenerhalt geführt hat?

Schneider: Ja, das auf jeden Fall, weil er den Klub kennt, die handelnden Personen, die Spieler, sämtliche Trainer und Betreuer. Und die Menschen im Verein kennen ihn, alle wissen, auf was sie sich einlassen. Dass wir uns aus Stuttgart auch noch kannten, ist sicherlich ebenfalls von Vorteil. Außerdem weiß er genau, was in so einer Situation zu tun ist. Das habe ich mit ihm beim VfB ja hautnah miterlebt, wo er die Mannschaft zweimal haarscharf vor dem Abstieg gerettet hat.

Aber wahrscheinlich könnten Sie auf die nervliche Belastung gut verzichten?

Schneider: Ja, Abstiegskampf ist generell belastend und das wünscht man niemandem. Aber das ist ja auch das Schöne an unserem Ligensystem im Fußball. Ich möchte nicht so eine Situation haben, wie im amerikanischen Sport oder wie im deutschen Eishockey, wo es keinen Auf- und Abstieg gibt. Das wird dann langweilig und nimmt viel an Reiz. Doch wenn man drinsteckt, möchte man es natürlich trotzdem nicht haben.

Jochen Schneider: Söldnertruppe? "Das ist für mich reiner Populismus"

Viele Beobachter sehen Schalke im Tabellenkeller allerdings im Nachteil, weil die Mannschaft den Abstiegskampf nicht kennt. Peter Neururer meint sogar, das sei eine andere Sportart. Wie sehen Sie das?

Schneider: Ich kann mit so einer Aussage nichts anfangen, weil es immer noch Fußball ist. Aber richtig ist, dass es eine komplett andere nervliche Belastung ist. Zum zweiten Punkt: Was heißt das denn: nicht Abstiegskampf können? Tatsache ist, dass wir in einer Situation sind, die man sich nicht gewünscht hat, die wir aber jetzt annehmen mussten. Das ging anderen Vereinen auch schon so und die haben sich auch gerettet. Mit viel Arbeit und viel Engagement. Und dafür steht Huub Stevens wie kein Zweiter.

Und was sagen Sie zum Vorwurf, dass es zu viele Söldner gebe und der Mannschaft der Charakter fehle?

Schneider: Damit kann ich auch nichts anfangen. Schalke 04 hat sich für jeden einzelnen Spieler ganz bewusst entschieden. Vielleicht hat man es in der Vergangenheit an der einen oder anderen Stelle versäumt, den Jungs klarzumachen, was es bedeutet für Schalke zu spielen. Auch die Themen Betreuung und Integration spielen gerade bei ausländischen Neuzugängen eine ganz wesentliche Rolle. Ich habe unsere Mannschaft überhaupt nicht als charakterlos wahrgenommen. Im Gegenteil: Wenn das eine charakterlose Truppe wäre, dann hätte sie letztes Jahr nicht Vize-Meister werden und auch diese Saison nicht in der Champions League überwintern können. Also ist das für mich reiner Populismus, der auf jeden Klub angewandt wird, der in einer sportlichen Krise steckt.

Bundesliga-Abstiegskampf: Schalke muss in den Rückspiegel blicken

Pl.TeamSp.ToreDiff.Pkt.
..................
12.1. FSV Mainz 052833:48-1533
13.SC Freiburg2838:48-1032
14.Schalke 042829:46-1726
15.FC Augsburg2837:54-1725
16.VfB Stuttgart2827:60-3321
17.1. FC Nürnberg2823:53-3017
18.Hannover 962825:65-4014

Schalke-Sportvorstand Schneider: "Es gibt keine Streichlisten"

Trotzdem ist überall von einem Umbruch im Sommer und so genannten Streichlisten zu lesen. Sind die Spieler aktuell auch ein bisschen in der Bringschuld, um ihren Wert für Schalke zu beweisen?

Schneider: Die Spieler sind jeden Tag in der Bringschuld, ihre Leistung hier zu erbringen, genauso ist der Verein in der Bringschuld, ein bestmögliches Umfeld zur Verfügung zu stellen, damit die Jungs 100 Prozent Leistung abliefern können. Streichlisten, und das möchte ich an dieser Stelle ausdrücklich betonen, gibt es nicht.

Also haben Sie noch keinen Spieler aussortiert?

Schneider: Definitiv nicht, nein.

In dem Zusammenhang wird Sebastian Rudy, der mit großen Erwartungen vom FC Bayern geholt wurde, schon als Fehleinkauf tituliert. Wie bewerten Sie ihn?

Schneider: Ich kenne Sebastian, seit er 14 ist. Ein super Spieler und ein wunderbarer Mensch mit einem guten Charakter, der aus einem tollen Elternhaus kommt. Der Start auf Schalke war nicht leicht für ihn. Er hatte nach der WM eine relativ kurze Vorbereitung und war noch nicht 100 Prozent fit. Zudem verlief der Bundesligastart unserer Mannschaft alles andere als optimal. Aber ich bin guter Dinge, dass er jetzt Stück für Stück wieder an alte Leistungen anknüpfen kann, die er in Hoffenheim und natürlich bei Bayern München gezeigt hat.

Positives Beispiel für Schalke ist immer die Jugendarbeit, auch aktuell stehen wieder mehrere hoffnungsvolle Talente im Profi-Kader. Welchen Stellenwert hat die Nachwuchsarbeit für Sie?

Schneider: Die Knappenschmiede ist ein Gütesiegel des Vereins, Norbert Elgert der Inbegriff des Talente-Entwicklers im deutschen Fußball. Qualitativ hochwertige und nachhaltige Nachwuchsarbeit war schon unser Weg beim VfB Stuttgart und dafür steht Schalke 04 genauso, wenn nicht noch mehr. Mein Ziel ist es, dem Nachwuchs optimale Bedingungen zu ermöglichen. Und dazu gehört auch möglichst viele hochtalentierte Spieler zu uns zu holen und die dann für die Profimannschaft zu entwickeln. Und wenn diese den Sprung geschafft haben wie Ahmet Kutucu, Weston McKennie oder Alexander Nübel, wollen wir sie auch hier auf Schalke halten. Gerade Alex hat in der Saison eindrucksvoll bewiesen, welch exzellenter Torwart er ist.