SPOX: Wie sehr hat sich denn Ihre Bekanntheit in der Schule gewandelt und wie sind Sie mit dieser Veränderung klargekommen?
Havertz: Leverkusen ist eine kleine Stadt und viele Mitschüler waren natürlich eingefleischte Bayer-Fans. Daher war der Auflauf irgendwann recht groß. Ein paar Mal saß ich auch im Unterricht und eine Lehrerin kam herein, die mich fragte, ob ich nicht ihre Klasse besuchen könnte, weil sich die Kinder sehr darüber freuen würden. Man fühlt sich irgendwann beobachtet, gerade wenn in den Pausen alle Blicke auf einen gerichtet sind und man einfach nur mit seinen Kumpels in Ruhe gelassen werden möchte. In meinem letzten Jahr war ich dann nur noch sehr selten anwesend, da wir vormittags trainiert haben und ich den Unterricht nachmittags alleine mit Lehrern nachholen musste.
SPOX: Gab es da auch Schüler, die plötzlich Ihre besten Freunde werden wollten?
Havertz: Klar, das passierte sogar relativ häufig. Da kamen Leute an, mit denen ich zuvor wenig bis gar nichts zu tun hatte. Die haben dann versucht, Kontakt aufzubauen oder meinten, wir hätten uns doch immer gut verstanden. Ich konnte da aber immer ganz gut unterscheiden und weiß natürlich auch, wer meine Freunde sind, auf die ich mich verlassen kann.
Fritz-Walter-Medaille in Gold: Alle bisherigen U19-Titelträger
Jahr | Spieler |
2005 | Florian Müller |
2006 | Kevin-Prince Boateng |
2007 | Benedikt Höwedes |
2008 | Dennis Diekmeier |
2009 | Lewis Holtby |
2010 | Peniel Mlapa |
2011 | Marc-Andre ter Stegen |
2012 | Antonio Rüdiger |
2013 | Matthias Ginter |
2014 | Niklas Stark |
2015 | Jonathan Tah |
2016 | Benjamin Henrichs |
2017 | Salih Özcan |
2018 | Kai Havertz |
SPOX: Inwiefern sind Sie nach dem geschafften Abitur froh, diesem Trubel nicht mehr ausgesetzt zu sein?
Havertz: Sehr. (lacht) Manchmal denke ich aber auch, dass mir die Zeit mit Schule und Fußball wirklich gut getan hat, weil ich einfach keine Zeit hatte, über die ganze Entwicklung großartig nachzudenken. Ich habe meinen Kopf und meine Konzentration quasi mehrmals am Tag für unterschiedliche Dinge benötigt und dadurch wurden dann manche Themen einfach verdrängt.
SPOX: Sie haben gesagt, ein Abi-Schnitt im Dreierbereich würde Ihnen reichen. Hat das geklappt?
Havertz: Ja, 3,3. Ziel erreicht. (lacht)
Havertz über Stolz auf seine Leistungen und Brandts Weltstar-Aussage
SPOX: Sie wurden im Alter von 18 Jahren und 307 Tagen der jüngste Spieler aller Zeiten mit 50 Bundesliga-Spielen, dabei kommen Sie auf 22 Scorerpunkte. Wie stolz sind Sie auf das bislang Erreichte?
Havertz: Ich bin selbstverständlich zufrieden mit meinen Leistungen. Ich stehe aber nicht jeden Tag auf und feiere mich daheim vor dem Spiegel. Ich denke beim Blick auf die Statistiken eher, dass mir noch ein paar Scorerpunkte fehlen. Bei der Chancenverwertung habe ich definitiv Luft nach oben. Ich mache noch zu wenig aus meinen Möglichkeiten und muss mehr Tore schießen.
SPOX: Nicht erst seitdem wird mit Superlativen um sich geschmissen, wenn Ihr Name fällt. Julian Brandt sagte kürzlich, dass Sie ein Weltstar werden könnten. Haben Sie ihn dafür schon gerüffelt?
Havertz: Wir verstehen uns sehr gut und sind eng befreundet, aber ich hätte nie gedacht, dass er mal so etwas über mich äußern würde. Persönlich würde er mir das niemals so sagen, weil wir uns eigentlich eher häufiger necken oder Quatsch machen. Daher war es sehr nett von ihm, mich so ins Rampenlicht zu schieben. (lacht) Ich habe mich aber natürlich gefreut, dass das jemand wie er gesagt hat, der mit 23 schon bei einigen Turnieren dabei war und so viel erreicht hat.
SPOX: Wie gehen Sie grundsätzlich mit den vielen Superlativen um?
Havertz: Das ist sozusagen die Herausforderung, wenn man bereits mit 17 in der Bundesliga aufläuft. Ich bin allerdings so erzogen worden, dass es mir nicht schwerfällt, trotz allem auf dem Boden zu bleiben und nicht durchzudrehen. Ich bin ein ganz normaler Mensch wie jeder andere auch und werde nie abheben, würde ich behaupten.
SPOX: Sollte Brandt Recht behalten, gingen damit wohl noch mehr Einschränkungen einher als bisher schon. Würde es Ihnen davor grausen?
Havertz: Das gehört als Fußballprofi einfach dazu und damit muss man zurechtkommen. Grundsätzlich freue ich mich darüber, wenn die Leute auf mich zukommen und nach einem Foto oder Autogramm fragen. Hin und wieder will man natürlich auch mal in Ruhe durch die Stadt gehen und seltener angesprochen werden, aber letztlich komme ich damit bis jetzt gut klar.
SPOX: Glauben Sie, dass bald mal eine Phase kommt, in der Sie realisieren, was die letzten Jahre passiert ist und in der sich der Druck höher anfühlt als jetzt?
Havertz: Bestimmt. Während des Abiturs war es gerade nach einem Spiel schwer zu realisieren, dass man ja gestern noch in der Bundesliga gekickt hat. Wir sind im Oktober 2016 in Lotte aus dem DFB-Pokal nach Elfmeterschießen ausgeschieden. Ich war bis tief in die Nacht unterwegs und nächsten Morgen musste ich eine Englisch-Klausur schreiben - das ist dann echt nicht ohne. Doch gerade seitdem ich das Abitur geschafft habe, denke ich häufiger darüber nach, was in der letzten Zeit eigentlich alles passiert und auf mich eingeprasselt ist. Ich denke, dieser Prozess wird in den nächsten Jahren Stück für Stück weitergehen und ich hoffe zu lernen, damit richtig umzugehen.
Havertz über einen möglichen Wechsel und seine Nationalelf-Ambitionen
SPOX: Sollten Sie eines Tages den Verein wechseln, könnte sich die Entfernung zu Ihrer Heimat Aachen deutlich vergrößern. Ist das etwas, dass aktuell schwer vorstellbar ist?
Havertz: Ich würde vor einem solchen Schritt sicherlich Respekt haben, davon gehe ich aus. Natürlich kann ich es jetzt nicht für alle Zeiten ausschließen, niemals den Verein zu wechseln und die Distanz zur Familie damit zu vergrößern. Trotzdem lebt man ja im Hier und Jetzt und da ist ein Vereinswechsel wirklich in weiter Ferne. Ich bin sehr zufrieden in Leverkusen, fühle mich wohl und konzentriere mich ausschließlich auf die weiteren Schritte in meiner Karriere.
SPOX: Julian Brandt gehört wie Sie zu den Gesichtern der Bayer-Zukunft. Er hat nun schon bei Olympia 2016, beim Confed Cup und bei der WM gespielt. Das fehlt Ihnen alles noch. Wie war es, ihn bei der WM zu beobachten?
Havertz: Das war schon beeindruckend zu sehen, was er in solch einem Alter schon erreicht und welche Akzente er zum Beispiel bei der WM in nur geringer Spielzeit gesetzt hat. Das kann ich mir schon ein bisschen zum Vorbild nehmen, auch wenn ich ihn eher als Freund und nicht als Vorbild bezeichnen würde. (lacht) Es ist schade, dass wir schon so früh nach Hause fahren mussten, aber vielleicht hat dieses Turnier auch aufgrund Julians Leistungen anderen Spielern die Türen geöffnet, um künftig in die Nationalelf zu rutschen.
SPOX: Da würde mir einer einfallen. Letztes Jahr haben Sie noch gesagt, die Nationalelf sei als Kapitän der deutschen U19 Ihr Fernziel. Ist das mittlerweile etwas näher gerückt?
Havertz: Ein bisschen vielleicht. Ich bin jetzt 19 Jahre alt. Das ist noch jung und ich muss weiter an mir arbeiten. Es sollte jetzt nach anderthalb ordentlichen Bundesligasaisons dennoch mein Anspruch sein, in nicht allzu weiter Ferne mal ein A-Länderspiel zu machen. Ich sehe das gelassen, habe es aber natürlich im Hinterkopf und will auch irgendwann mehr, nachdem ich jetzt Freunde bei einer WM spielen gesehen habe.
SPOX: Bis zur EM 2020 haben Sie dann schon vier Bundesligaspielzeiten auf dem Buckel. Die Europameisterschaft könnte ein realistisches Ziel sein, oder?
Havertz: Da bin ich dann 21. In diesem Alter kann man schon die Ambition haben, bei einer Europameisterschaft dabei zu sein. Ich versuche, in diesen zwei Jahren so Gas zu geben, damit ich mich ins Blickfeld spiele.
SPOX: Zumal Sie als ein möglicher Nachfolger von Mesut Özil gelten. Was sagen Sie zu seinem Rücktritt?
Havertz: Ich möchte das ausschließlich aus sportlicher Sicht bewerten. Seine fußballerischen Qualitäten anzuzweifeln, ist für mich nicht nachvollziehbar. Er ist schon immer ein Spieler gewesen, dem ich unheimlich gerne zuschaue und dessen Weg ich verfolge. Mesut Özil ist ein richtig großer Spieler, der viel für die Nationalmannschaft und auch seine Vereine geleistet hat.