SPOX: Beim Club haben Sie gegen den VfB in beiden Spielen getroffen. Sie haben das auch in Berlin als Ziel ausgerufen. Gibt es da böses Blut?
Schieber: Nein, gar nicht. Stuttgart war ein wichtiger Teil meiner Karriere und ich habe gerne dort gespielt. Dann kam der Anruf von Jürgen Klopp. Ich habe zuerst gedacht, da will mich jemand verarschen, aber es hat sich herausgestellt, dass es eine seriöse Anfrage war. Wenn du so eine Chance bekommst, zweifelst du nicht. Sobald du dann einen Verein verlässt, wirst du zum Feindbild für die Fans. Ich verstehe die Enttäuschung, mit Schlagworten wie "Söldner" kann ich aber nichts anfangen und finde es extrem schade. Wenn ich heute in Stuttgart spiele und mich warmmache, werde ich immer noch aus der Kurve beleidigt.
SPOX: Sind da die VfB-Fans ein besonderer Schlag? Bei Sven Ulreich war es ebenfalls schon heftig.
Schieber: Sie sind schon sehr emotional. Meiner Meinung nach gehören sie aber zu den Besten der Bundesliga. Im Zweitligajahr war unfassbar, was sie geleistet haben. Sie wollen gemeinsam mit dem Team Erfolg haben. Bei einem Jungen aus den eigenen Reihen sind sie deswegen umso empfindlicher. Es war nichtsdestotrotz die richtige Entscheidung. Ich liebe Stuttgart, aber in der Heimat zu arbeiten, hat sich für mich als negativ herausgestellt. Ich hatte keinen Ruhepol mehr. Deswegen wollte ich den Schritt gehen.
SPOX: Wie viel hatte Klopps Anruf mit Ihrem Doppelpack beim 4:4 gegen den BVB zu tun?
Schieber: Davor gab es keinen Kontakt, es ging auch nicht direkt nach dem Spiel los. Ich würde aber lügen, wenn ich behaupten würde, das Spiel hätte keinen Einfluss gehabt. Freitagabend, Flutlicht, 80.000 in Dortmund und ich schieße zwei Tore. Davon werde ich noch meinen Enkelkindern erzählen. Aber Klopp hat mir vermittelt, dass er mich schon länger beobachtet hat und mein Potenzial gut einschätzen kann. Robert Lewandowski war als Juwel aus Polen gekommen, als er noch viel Luft nach oben hatte. So ähnlich haben sie mich gesehen.
Julian Schieber über seine Rolle beim BVB und das Wunder von Malaga
SPOX: Trotzdem war klar, dass Sie als klare Nummer zwei kommen?
Schieber: Da hat der Verein mit offenen Karten gespielt, ja. Es war klar, dass Lewandowski gesetzt war. Aber ich hatte einen Vierjahresvertrag. Da muss man nicht sofort im ersten Jahr alle Spiele machen, sondern kann sich entwickeln. Im ersten Jahr war ich insgesamt zufrieden. Mir hätte zwar das eine oder andere Tor mehr gelingen müssen, aber meine Einsätze waren da.
SPOX: Wie haben Sie die Teamchemie erlebt?
Schieber: Ich kam nach dem Double. Wenn da die Stimmung nicht gut gewesen wäre, wann dann? Die Jungs haben sich unheimlich gut verstanden, auch viel privat miteinander unternommen. Dazu hatten wir mit Klopp einen tollen Trainer. Auf der einen Seite ist er der Kumpeltyp, der sich mit dir ins Cafe setzen und drei Stunden über alles reden kann, aber er hat auch die nötige Autorität. Das hat alles gut zusammengepasst, deswegen war es für mich einfach, in die Mannschaft zu kommen.
SPOX: In Ihrer ersten Saison waren Sie ein Protagonist beim Wunder von Malaga. Wie oft haben Sie hinterher Felipe Santana auf den Hinterkopf geschlagen, dass er Ihnen das Tor geklaut hat?
Schieber: Mit etwas Abstand dachte ich: "Santana, du Idiot, nimm deinen Fuß da weg!" (lacht) Ich habe aber in dem Moment wirklich nicht wahrgenommen, dass das ein Torklau war. Es war mir völlig egal, wer das Ding über die Linie gedrückt hat. Es war alles surreal. Das ist eines der positivsten Erlebnisse, die ich aus Dortmund mitnehme. Das Spiel wird von den Fans nie vergessen werden. Ich bekomme Gänsehaut, wenn ich daran denke.
SPOX: Neben diesem sehr positiven Erlebnis gab es aber auch Spottgesänge und Häme. Stichwort "Saufen, bis der Schieber trifft"...
Schieber: Den kenne ich noch gar nicht, der ist richtig gut. (lacht)
SPOX: Lässt man so etwas an sich ran?
Schieber: Auf der einen Seite nimmt man solche Schmähgesänge definitiv wahr. Andererseits habe ich eine große Anerkennung dafür empfunden, dass ich ein Arbeiter bin und immer alles gebe.
SPOX: Also ließ Sie das nicht an sich zweifeln?
Schieber: Heute würde ich da zu 100 Prozent drüberstehen. Damals habe ich vielleicht schon an mir gezweifelt. Das ist das, was ich mit Erfahrung meinte. Jetzt bin ich viel klarer im Kopf und habe Selbstvertrauen. Vielleicht hat es mich im zweiten Jahr mehr beschäftigt, als ich mir eingestehen wollte. Obwohl ich über Kevin Großkreutz Kontakt in die Dortmunder Fanszene bekam und dort Wertschätzung empfand.
Schieber über den Dönerwurf von Kevin Großkreutz
SPOX: Mit Großkreutz haben Sie auch die Dönerwurf-Geschichte erlebt. Wie lief das ab?
Schieber: Wir hatten einen freien Tag, an dem uns Manuel Friedrich Düsseldorf zeigen wollte. Der BVB und damit auch Kevin sind ja eher den Kölnern zugeneigt, daher haben wir uns stattdessen für einen Nachmittag in Köln entschieden. Am Abend wollten wir nach Hause, das Taxi stand schon bereit. Kevin hatte aber noch Hunger, also sind wir in den Dönerladen gegangen. Dort wurde Kevin von ein paar Leuten erkannt, die ein Foto mit ihm machen wollten. Er wollte aber nur schnell den Döner holen und ab ins Taxi. Als wir wieder draußen standen, haben ihn diese Leute mit Schmähgesängen verhöhnt. Kevin hat sich aufgeregt, da die Jungs ja gerade noch ein Foto mit ihm machen wollten. Es kam zum Disput und plötzlich lag der Döner auf dem Boden. Das Ganze löste sich aber schnell auf und wir saßen im Taxi. Als ich am nächsten Morgen aufwachte, hatte ich einige Anrufe von Kevin auf dem Handy, der mir per Sprachnachricht mitteilte, dass er wegen dieser Sache angezeigt wurde.
SPOX: Wie ging es weiter?
Schieber: Diese Geschichte war sehr unangenehm für Kevin und mich, wobei das medial viel größer gemacht wurde, als es war. Wir mussten uns ein wenig rechtfertigen, weshalb wir an unserem freien Tag unterwegs waren. Natürlich kann man im Nachhinein auch darüber lachen, wenn man an die ganzen Witze und Collagen zum Thema Kevin und Döner denkt. Für mich ist das aber ein warnendes Beispiel dafür, wie sich plötzlich der Wind drehen und man allein auf der bösen Seite stehen kann. Kevin ist zwar kein Kind von Traurigkeit, aber er hatte nur zwei, drei Fauxpas in seinem Leben. Dass die ihn nun scheinbar für immer begleiten, ist schade und unangemessen. Kevin ist ein guter Junge, sehr familiär und heimatbezogen.