Eine Überraschung war die offizielle Bestätigung nicht mehr. Leon Goretzka wird den FC Schalke 04 im Sommer ablösefrei verlassen und zum FC Bayern München wechseln. Ein Transfer, der sich in den letzten Wochen angebahnt hatte. Und gewissermaßen offensichtlich war.
Die monatelangen Spekulationen, die wöchentlichen Äußerungen, das tägliche Hin und Her - all das hätte man sich in einer idealen Welt sparen können. Dass die Bayern beispielsweise ihr Interesse an Goretzka in Person von Hasan Salihamidzic deutlich machten, um im selben Statement gleich wieder dezent zurückzurudern, nur damit S04-Manager Christian Heidel verwundert darauf reagieren muss, das gehört offenbar zu diesen vielzitierten Mechanismen im Fußballgeschäft.
Ohne sie scheint es heutzutage nicht mehr zu gehen. Weil eben die Fußballbranche seit längerer Zeit so weit weg von einer idealen Welt ist wie die reale Welt auch. Nun ist aber die Katze endlich aus dem Sack und wenn man so will, haben Verein wie Spieler trotz der Mätzchen nach außen ihr Gesicht gewahrt.
"Wir können mit dieser Situation umgehen, total überraschend kam es nicht. Wir sind darauf vorbereitet", sagte Heidel am Freitag.
Leon Goretzka ist Schalke 04 entwachsen
Schalke hat sich bis an die Decke gestreckt, um Goretzka von einem Verbleib zu überzeugen. Der Nationalkicker betont die sportlichen Perspektiven, die ihm in München versprochen wurden.
Man kann nur hoffen, dass der Groll der Schalker Anhänger sich in Grenzen hält und keine Dimensionen annimmt wie 2011 beim Weggang des gebürtigen Gelsenkircheners Manuel Neuer. Denn es hätte jedem eigentlich klar sein müssen, dass Goretzka in seiner Entwicklung dem S04 entwachsen ist.
"Wir hoffen, dass die Fans am Sonntag nicht negativ reagieren", sagte Trainer Domenico Tedesco. "Unsere Anhänger haben das Team immer unterstützt und Leon gehört auch in der Rückrunde natürlich weiterhin zur Mannschaft."
Der bald 23-Jährige ist in den letzten eineinhalb Jahren allerdings eine Kategorie zu groß für die Knappen geworden - so wie es bei Neuer, Mesut Özil, Julian Draxler und Leroy Sane auch war. Spieler dieser Güteklasse streben nach dem Höchsten, sie wollen Titel gewinnen und versuchen, das maximal Mögliche aus ihrer Karriere herauszuholen.
Goretzka nicht der erste ablösefreie Abgang
Dies wollen viele andere Spieler selbstredend auch, doch die genannten Schalker Beispiele sind Akteure, die sportliche Extraklasse verkörpern. Und das tun viele andere Spieler eben nicht.
Natürlich spielt auch immer der finanzielle Aspekt eine Rolle, auch im Fall von Goretzka. In München winken mehr Scheine, über Schalkes wirtschaftliche Schmerzgrenze lachen sie beim FC Bayern.
Äußerst unglücklich ist für Schalke weniger die Tatsache, dass sich Goretzka dem deutschen Branchenprimus anschließen wird, als vielmehr der ablösefreie Wechsel. Das wäre vielleicht einmal zu verschmerzen gewesen, doch in Joel Matip, Sead Kolasinac, auch Eric Maxim Choupo-Moting und möglicherweise bald Max Meyer weisen die Knappen in dieser Beziehung schon eine traurige Historie auf.
Schalke braucht sich nach Goretzka-Wechsel nicht zu grämen
Daraus kann man den aktuell sportlich Verantwortlichen allerdings kaum einen Strick drehen. Die Verträge dieser Profis waren Altlasten aus der Zeit, bevor Heidel auf Schalke zum starken Mann auserkoren wurde.
Der Ex-Mainzer hat in allen Fällen im Rahmen seiner Möglichkeiten versucht, Argumente gegen einen Abgang zu sammeln. Sie reichten aber nicht aus und sind auch nun in der Gegenwart bei Goretzka zu gering, um auf der Gegenseite eine Meinungsänderung herbeiführen zu können.
"Wir sind traurig und enttäuscht, dass wir Leon als Spieler und Typen verlieren, aber haben die Entscheidung zu akzeptieren", sagte Tedesco. Schalke braucht sich nicht zu grämen. Schließlich stehen die Ampeln auf Grün für eine tragfähige Entwicklung des Klubs in der Zukunft.
Schalke mit Heidel und Tedesco gut aufgestellt
Das Duo Heidel/Tedesco hat den Verein für den Moment sportlich stabilisiert und viel wichtiger: Es herrscht Ruhe auf Schalke, das ist schon fast die halbe Miete für eine seriöse und stringente Zusammenarbeit.
Die sportliche Entwicklung ist zweifelsohne positiv - und das, obwohl Goretzka verletzungsbedingt in Bundesliga und DFB-Pokal nur die Hälfte der Partien absolvieren konnte. In Tedesco hat S04 zudem schon jetzt einen der besten deutschen Trainer, der in der Lage ist, die auf junge und entwicklungsfähige Spieler ausgerichtete Philosophie innovativ umzusetzen.
Das allein zeigen schon die taktischen Winkelzüge, die Tedesco in seinem ersten Halbjahr im Ruhrpott ausgepackt hat. Meyer glänzt plötzlich als Sechser, der unter Vorgänger Markus Weinzierl enttäuschende Benjamin Stambouli spielt einen überaus soliden Rechtsverteidiger in der Dreierkette und Weston McKennie wurde erst unter Tedesco zum Bundesligaspieler.
Das Führungstandem bewies in der kurzen Zusammenarbeit darüber hinaus bereits, dass die Kompetenzen klar aufgeteilt sind und beide im Verbund eine gute Überzeugungsarbeit leisten können. Die Zusage des in Europa stark umworbenen Amine Harit dient hierfür als gutes, aber nicht einziges Beispiel. In Mark Uth schließt sich ein Stürmer von gehobenem Bundesligaformat den Knappen an, bei dem das Ende der Fahnenstange noch nicht erreicht sein muss.
Schalkes Top-Transfers unter Christian Heidel
Spieler | Verein | Ablöse |
Naldo | VfL Wolfsburg | abslösefrei |
Mark Uth | 1899 Hoffenheim | ablösefrei |
Guido Burgstaller | 1. FC Nürnberg | 1,5 Mio. Euro |
Daniel Caligiuri | VfL Wolfsburg | 2,5 Mio. Euro |
Bastian Oczipka | Eintracht Frankfurt | 4,5 Mio. Euro |
Benjamin Stambouli | Paris St.-Germain | 8 Mio. Euro |
Yevhen Konoplyanka | FC Sevilla | 12,5 Mio. Euro |
Nabil Bentaleb | Tottenham Hotspur | 19 Mio. Euro |
Breel Embolo | FC Basel | 22,5 Mio. Euro |
Goretzka: "Bei Bayern am einfachsten, Titel zu gewinnen"
Ein weiterer Fall Goretzka, bei dem Schalke eine ordentliche Stange Geld flöten geht, ist in Zukunft auch nicht zwingend zu erwarten. Als Beleg dafür sollte Heidels langjähriges Mainzer Geschäftsmodell ausreichen, das dem FSV mit Verkäufen so viel Geld einbrachte, damit sich der Klub in der Bundesliga verankern konnte.
Bei Sane, dessen Vertrag nicht auslief, die Chancen auf einen Verbleib jedoch verschwindend gering waren, holte der Manager immerhin noch die Schalker Rekordeinnahme von 50 Millionen Euro heraus.
Und bei Goretzka hatte Heidel ja ohnehin keine Handhabe - er hätte schließlich nur das SPOX-Interview aus dem Sommer 2015 lesen müssen. Dort wurde Goretzka mit der Aussage von Herrmann Gerland konfrontiert, wonach man auch mal bei den Bayern gespielt haben müsse, wenn man so gut sei wie Goretzka.
Die Antwort des zukünftigen Münchners: "Dazu fällt mir nur ein, was Christoph Kramer schon einmal sagte. Er meinte, wir seien in einer richtig geilen Zeit geboren, um Fußball zu spielen, aber zugleich auch in einer ganz schlechten Zeit, um in einer anderen Mannschaft Meister zu werden als bei den Bayern. Und genau da gebe ich ihm Recht: Es ist beim FC Bayern am einfachsten, Titel zu gewinnen."