Stell sich einer vor, ein junger Torhüter weckt die Begehrlichkeiten der halben Premier League. Der FC Liverpool klopft an, Everton sucht einen langfristigen Nachfolger für Vereins-Ikone Tim Howard, Southampton und Arsenal wedeln mit den großen Scheinen. Sie alle sind auf die starken Leistungen eines 24-jährigen Norwegers aus Kristiansund aufmerksam geworden.
Und dann kommt Thomas Linke aus dem beschaulichen Ingolstadt auf jenen Keeper zu und bekundet ebenfalls Interesse. Das einzige Argument, das der Sportdirektor des frisch gebackenen Zweitligameisters gegen die scheinbare Übermacht aus England liefern kann, ist Bundesliga-Fußball. Und dieses Argument reicht aus, um einen der meist umworbenen Torhüter Europas nach Oberbayern zu lotsen.
Transfercoup Orjan Nyland
So geschehen bei Orjan Nyland. "Es war immer ein Traum für mich, einmal in der Bundesliga zu spielen. Die sportliche Leitung hat mich in den Gesprächen schnell überzeugt und ich bin sehr glücklich, künftig ein Teil des Clubs sein zu dürfen", begründet er bei seiner Vorstellung seine Entscheidung.
Seit 2013 war er die unumstrittene Nummer Eins im Tor von Molde FK, im selben Jahr ging sein Stern bei der U21-EM endgültig auf, als er mit Norwegen überraschend Bronze holte. Zwei Jahre später befindet er sich als Stammkeeper der A-Nationalmannschaft mitten im Kampf um die Teilnahme an der Europameisterschaft 2016.
Gardemaß zum Discountpreis
"Talentiert und ehrgeizig", nennt Linke seinen Transfercoup und bleibt damit bescheiden. Nyland ist hoch veranlagt: Mit 1,92 Meter bringt der Hüne Garde-Maße mit, mit 24 Jahren ist er schon sehr erfahren und trotzdem immer noch formbar. Mit seiner enormen Spannweite brachte er schon so manchen Stürmer im Eins-gegen-Eins ins Schwitzen.
Englischen Medienberichten zufolge war Everton bereit, über fünf Millionen Euro Ablöse zu zahlen. Ingolstadt stach die Konkurrenten am Ende aus und machte mit angeblich einer Millionen Euro ein echtes Schnäppchen.
Nyland kommt als Nummer Eins nach Ingolstadt und ein Spieler mit dieser Anlage muss ambitioniert sein, die Nummer Eins zu bleiben. Außerdem ist eine Millionen Euro für einen Spieler trotz der Audi-Gelder eine zu hohe Summe für das kleine Ingolstadt, bei dem sonst eher ablösefreie Spieler anvisiert werden. Klare Sache also im Tor der Schanzer?
Der Leitwolf steht im Weg
Mitnichten. Denn dort steht mit Ramazan Özcan seit vier Jahren ein Leitwolf, der seinen Platz nicht freiwillig räumen wird. Von 132 möglichen Einsätzen in der zweiten Liga hat der Österreicher 119 bestritten, in der Aufstiegssaison stieg er endgültig zum Führungsspieler und Publikumsliebling auf.
"Die Situation ist nicht neu für mich", beschreibt der 31-Jährige die neue Konkurrenzsituation nüchtern. Im Winter 2008 lieh Hoffenheim den damaligen Salzburger als Ersatz für den verletzten Daniel Haas aus. Özcan spielte die komplette Rückrunde, marschierte mit den Kraichgauern in die Bundesliga, wurde fest verpflichtet - um dann von Ralf Rangnick aufs Abstellgleis verbannt zu werden.
Rambo wird nicht ruhen
Haas kehrte zurück ins Tor, Özcan kam nur auf acht Bundesligaeinsätze, flüchtete zwischenzeitlich für ein halbes Jahr in die Türkei zu Besiktas. Sein Glück fand er aber erst in Ingolstadt wieder.
Auch dort wurden ihm Konkurrenten an die Seite gestellt, die "Rambo", wie er von den Fans genannt wird, aber nicht gefährlich werden konnten. Unter anderem setzte er sich gegen Andre Weis durch, der aus Stuttgart kam und nun Richtung Frankfurt zum FSV weitergezogen ist.
"Rambo wird nicht ruhen", heißt es im Film-Klassiker mit Sylvester Stallone und so gibt sich auch sein österreichischer Namensvetter kämpferisch: "Ich glaube, seit ich in Ingolstadt bin, habe ich vier sehr gute Jahre gespielt."
Ambition vs. Déjà-vu
"Wir haben zwei Super-Tormänner, das ist die Position, wo wir sicherlich am besten besetzt sind. Das ist für mich eine Luxussituation", gewinnt Trainer Ralph Hasenhüttl der Situation das Positive ab. Egal, wie er sich entscheidet, sportlich braucht er sich auf der Torhüterposition keine Sorgen zu machen. Doch das Luxusproblem hat auch eine Kehrseite. Derjenige, der sich letztlich mit der Bank zufrieden geben muss, kann zum Pulverfass werden.
Özcan wird ein persönliches Déjà-Vu nur schwer akzeptieren und Nyland hat sich nicht für Ingolstadt entschieden, um dann auf der Bank zu versauern. In der ersten Bundesligasaison der Vereinsgeschichte ensteht ein Konfliktpotenzial, das zu einer Dauerbaustelle werden kann. Und jeder Nebenschauplatz ist nur hinderlich für die Herkulesaufgabe Klassenerhalt.
Aus Luxusproblem wird Luxus-Dilemma
Wie soll das Luxus-Dilemma also vermieden werden? "Es kann sein, dass wir mit zwei Nummer-1-Torhütern in die Saison gehen", schnürt Hasenhüttl erste Gedankenpakete. Ein Model nach dem Beispiel Barcelona, wo sich Claudio Bravo und Marc-Andre ter Stegen die Wettbewerbe teilen, macht bei 34 Saison- und maximal sechs Pokalspielen allerdings wenig Sinn. Und den Torhüter ständig zu wechseln, verhindert die Entwicklung einer eingespielten Hintermannschaft und fördert Unsicherheiten.
"Es geht darum, dass der FC Ingolstadt Bundesligareife präsentiert und dass wir als Mannschaft nach dem 34. Spieltag die Nase über dem Strich haben", stellt Rambo individuelle Interessen hinten an. Sein Trainer hält sich bedeckt und meint nur, er "habe da was im Kopf". Was auch immer er sich denkt: Stell sich einer vor, alle Beteiligten sind mit seinem Plan zufrieden. Es wäre einer von vielen Schritten in Richtung Klassenerhalt.
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