Im Rücken von Lucien Favre marschierten Heerscharen von Spielern auf und ab. Seine eigenen, die Borussia hatte beim Telekom Cup gerade das kleine Finale gegen den Hamburger SV verloren. Die des Gegners, der sich in den Katakomben der eigenen Arena die größte Umkleidekabine ausgesucht hatte.
Und die der Bayern und Wolfsburger, die sich gerade bereit machten für das Finale. Es war teilweise ein richtiges Durcheinander, verstärkt durch eine stattliche Anzahl an Betreuern, Teammanagern, Pressesprechern und TV-Teams.
Lucien Favre stand dazwischen und redete. Und manchmal lächelte er auch dazu. Ob denn schon erste Entscheidungen gefallen seien im Kampf um die Stammplätze, wurde etwa gefragt.
"Es ist alles offen", sagte Favre dann, "überall. Wir haben tausend Möglichkeiten". Also auf jeder Position. So ganz mag man dem Schweizer das nicht glauben. Obwohl er für die anstehende Saison sicher einen Kader zur Verfügung hat wie noch nie in seiner Zeit in Mönchengladbach.
Ausgewogener Kader
Die sportliche Leitung der Borussia hat sich eine Mannschaft zusammengebastelt, die sehr ausgewogen daherkommt, auf jeder Position mindestens doppelt und dabei auch hochkarätig besetzt ist. Das schafft jede Menge Alternativen personeller Art und es gibt dem Trainer auch die Möglichkeit, zwischen verschiedenen Spielausrichtungen und -stilen zu wechseln.
Alleine für die beiden Positionen im zentralen defensiven Mittelfeld kann Favre aus bis zu sechs Spielern auswählen. Unterschiedliche Spielertypen - die Kämpfer Nordtveit und Kramer, die spielerischen Typen wie Xhaka und Dahoud oder Routinier Marx und Youngster Schulz - lassen eine Menge Variationen zu.
"Wir haben sehr unterschiedliche Typen für die Sechs, der Trainer kennt unsere Qualitäten", sagt Nordtveit, der in der vergangenen Saison kaum zu Einsätzen gekommen ist, nun aber wieder kräftig mitmischt. "Wir haben im gesamten Team Konkurrenz, das finde ich super. Jeder hat Druck von hinten. Das zeigt, dass wir jetzt ein Top-Klub sind", sagt Nordtveit weiter.
Sehr interessante Ansätze
Beim Telekom Cup am Wochenende hat Borussia Mönchengladbach als Vierter und damit Letzter das Turnier beendet. Aber die Borussia zeigte phasenweise sehr durchdachten, präzisen Fußball. "Wir wollen das Spiel machen und mit Risiko im Aufbau spielen. Da müssen wir aufpassen, wir haben an beiden Tagen Fehler in gefährlichen Bereichen des Spiels gemacht", sagte Favre.
"Aber das ist egal, wir müssen dieses Risiko auf uns nehmen. Insgesamt haben wir sehr positive Sachen gesehen, aber eben auch Dinge, auf die ich keine Lust habe, sie zu sehen." 21 Spieler hatte Favre mit nach Hamburg genommen und alle eingesetzt.Darunter auch die Nachwuchskräfte Marvin Schulz, Mahmoud Dahout, Nico Brandenburg, Thorgan Hazard, Bilal Sezer und Marlon Ritter. "Es ist wichtig für Gladbach, die Nachwuchsspieler zu sehen. Wir müssen mehr wissen über diese Spieler."
Entwicklung in gesundem Tempo
Drei Wochen vor der neuen Saison darf man schon konstatieren, dass es der Borussia - anders als vielen anderen Mannschaften - offenbar gelungen ist, ihre Mannschaft frühzeitig und qualitativ hochwertig zu verstärken. Damit setzt sich jene Bewegung fort, die Favre nach dem überraschenden vierten Platz vor zwei Jahren bereits gefordert hatte: Dass Mönchengladbach sich in einem gesunden Tempo entwickelt.
Damals ging alles sehr schnell, der einstige Abstiegskandidat stürmte beinahe in die Champions League. Die Tagträumer hofften auf die Wiederholung glorreicher Zeiten. Favre blieb nüchtern.
Die Folgen der Verkäufe wichtiger Spieler wie Dante, Roman Neustädter und Marco Reus wirkten bis zuletzt nach. Jetzt erscheint die Borussia so gefestigt und rundumversorgt, dass nach Platz sechs in der abgelaufenen Saison die nächsten Schritte angegangen werden können.
Die Ausgangslage dafür ist eine enorm hohe Variabilität in allen Bereichen. "Wir können nicht sagen, Gladbach ist kontergefährlich, oder ist nach Balleroberung gefährlich, oder spielt einen Fußball, der auf Ballbesitz angelegt ist. Wir versuchen, all diese Elemente zu beherrschen und dann in den richtigen Spielsituationen das richtige Mittel zu wählen" deutete Favre bereits im Frühjahr an, was die Mannschaft nun in der Vorbereitung in die Tat umgesetzt hat.
Variationen, Technik, Geschwindigkeit
Das Team variiert sehr viel, wechselt je nach Spielsituation sein Verhalten - ob mit oder ohne Ball. Mönchengladbach scheint ebenso in der Lage, mit langen Ballbesitzzeiten einen Gegner auseinanderzuspielen, wie ihn nach einem einzigen risikoreichen Pass in die Tiefe bloßzustellen. Der Mix der Elemente ist da, aber er ist noch nicht perfekt.
"Wir spielen sehr laufintensiv und mit sehr viel Technik, ich kann mit meiner Schnelligkeit vorne rein gehen, das ist genau mein Spiel", sagt Zugang Andre Hahn. Dabei fallen dem ehemaligen Augsburger auch noch die kleinen, aber ebenso entscheidenden Fehler auf, die die Mannschaft noch abstellen muss. "Wir müssen uns im Detail noch ein bisschen besser abstimmen, die Laufwege passen noch nicht ganz, aber das ist normal", meint Hahn.
"Das kommt mit der Zeit, dann können wir verschiedene Variationen spielen", weiß Max Kruse, der in der zentralen Offensive ähnlich wie Raffael ungeheuer intelligent die Räume besetzt für den Gegner schwer zu greifen ist. "Dass wir schwer auszurechnen sind und variabel bleiben, ist ganz wichtig", sagt Kruse.
Kommt noch ein Angreifer?
Ein dauerhaftes Element unter den vielen wechselnden Facetten des Gladbacher Spiels ist die Geschwindigkeit. Die Neuen, Hahn, Ibrahima Traore oder Fabian Johnson, bringen eine hohe Schnelligkeit bei entsprechender fußballerischer Qualität mit. "Tempo ist sehr wichtig", sagt Favre.Bleibt noch die Frage, wer die nötigen Tore erzielen soll. Hahn, Raffael, Kruse oder Branimir Hrgota sind torgefährlich, aber keine "echten" Strafraumspieler. Da fehlt unter Umständen noch die Option, dass die flinken Außen im Zentrum einen Abnehmer für mögliche Flanken vorfinden.
Auch wenn Luuk de Jong und Peniel Mlapa zuletzt nicht mehr da beziehungsweise nur Ergänzungsspieler waren, fällt durch ihren Verkauf nun ein Stilmittel vorerst aus.
Auch deshalb bleibt Sportdirektor Max Eberl wachsam und beobachtet den Stürmermarkt. "Was wir suchen, ist ein Spieler, der Qualitäten hat, die wir so noch nicht haben. Die Körpergröße ist nicht entscheidend, aber ein Faktor, auf den wir schauen.
Unser Kader steht, wir sind auch vorn gut aufgestellt. Er muss auf jeden Fall schnell sein und sehr komplett. Wir schauen, was möglich ist, und versuchen, das umzusetzen. Aber nicht um jeden Preis", sagt Eberl.
Sein Trainer wollte sich nicht so offensiv äußern. "Alles ist gut, alles ist okay", sagte Lucien Favre. Sein Lächeln aber ließ erahnen, dass das nicht zwingend ernst gemeint war.
Spielplan Bundesliga-Saison 2014/2015