SPOX-Meinung von Fatih Demireli
So ein bisschen fühlt man sich an Michael Rensing erinnert. Rensing war 2008 beim FC Bayern als klare, neue Nummer eins deklariert worden, nachdem Oliver Kahn seine glorreiche Karriere beim deutschen Rekordmeister beendet hatte. Kahn war der Titan, King Kahn, Chef, der Halsbeißer, der Elfmeter-Held, der Unüberwindbare, der Mann, der Eier einforderte - die er selbst in Übermaßen zur Schau trug.
Rensing war ein junger, talentierter und ambitionierter Torwart, der es verdiente, seine Fähigkeiten unter Beweis zu stellen. Nur hatte er eigentlich keine Chance, weil jeder von ihm erwartete, ein neuer Kahn zu werden. Und Rensing ging, als der FC Bayern schwächelte und er nichts dagegen tun konnte.
Oliver Kahn ist Uli Hoeneß. Christian Nerlinger ist Michael Rensing. Jung, talentiert, ambitioniert und chancenlos, ob der Übermacht seines Vorgängers. Nerlinger machte das bestmögliche aus der Situation: Er bewies, dass er aus dem Schatten der Klub-Riesen treten kann.
Als Uli Hoeneß Louis van Gaal öffentlich verprügelte, verzog Nerlinger keine Miene, als er van Gaal, der Nerlinger anfangs quasi ignoriert hatte, den Rücken stärkte. Als ganz Deutschland auf Philipp Lahm einprügelte, weil dieser ein vermeintlich böses Buch veröffentlicht hatte, war es beim FC Bayern Nerlinger, der seinem Kapitän zur Seite stand.
Auch seine Transferpolitik war nicht prinzipiell falsch. Luiz Gustavo war der erste eigene große Nerlinger-Transfer, Xherdan Shaqiri wurde von zahlreichen Top-Klubs umworben, doch Nerlinger holte den Schweizer nach München. Flops wie Nils Petersen (Wunschspieler von Jupp Heynckes) und Takashi Usami (Asien-Projekt) gehen nicht auf sein Konto. Aber dies und mehr reichte nicht, um sich genügend Kredit zu erspielen. Weder bei den Fans, noch in der Öffentlichkeit und schon gar nicht bei seinen Bossen.
Matthias Sammers Auftrag: Ein neuer FC Bayern
Der FC Bayern versuchte in den letzten Jahren, mit zahlreichen Trainerwechseln für einen Hallo-Wach-Effekt zu sorgen. Die Entlassung Christian Nerlingers und vor allem die Verpflichtung Matthias Sammers ist mehr als das: Es ist ein Erdbeben, die verblüffendste Entscheidung der letzten Jahre - weil sie untypisch ist.
Der FC Bayern sollte von Leuten aus der eigenen Familie geführt werden. "Das ist mein Ding", sagte Hoeneß in seinem Geburtstagsinterview zum Jahreswechsel im Gespräch mit SPOX. Nerlinger, ein Sohn der Familie, muss jetzt gehen, weil seine Ideen nicht mit denen des FC Bayern vereinbar sind. Eine harte Entscheidung, aber auch eine richtige.
Nicht, weil Nerlinger zu unfähig war, sondern weil Sammer zu allem fähig ist, was dem FC Bayern zuletzt abgeht. Ein Mann, der weiß, wie man Strukturen schafft, um Erfolg zu haben und notfalls auch die harte Tour zu wählen bereit ist, um die eigene Sichtweise und Idee durchzusetzen. Beim DFB hat er nicht selten die Konfrontation mit Joachim Löw gesucht - und nicht selten recht behalten.
Nach Analyse des Ist-Zustandes wird Sammer auch beim FC Bayern einige Schwachstellen erkennen und sie ausmerzen wollen. Dies wird zu unpopulären Entscheidungen führen und womöglich auch Uli Hoeneß und Karl-Heinz Rummenigge nicht schmecken. Aber Sammer ist erfahren und clever genug, um dies - anders als Louis van Gaal - nicht öffentlich auszufechten, sondern intern anzusprechen. Sammer ist eine große Chance für den FC Bayern. Der Klub muss sie nur nutzen, dann wird er auf sportlich-nationaler Ebene auch wieder die Nummer 1 sein.
Reaktionen aus der Community
Matthi10: Ich bin begeistert von dieser Verpflichtung. Sammer ist der beste Mann im deutschen Fußball, weil er sowohl den Blick für die spielerischen Lösungen als auch für die charakterliche Eigenschaften hat, die man im Fußball braucht. Ich hoffe nur, dass er von unseren Fans den nötigen Kredit bekommt. Persönlich finde ich den Mann überragend und hoffe, dass er mit seiner Art den Verein wieder in die Bahnen lenkt, die wir gewohnt sind und uns wünschen. Ich freu mich drauf.
ryknow: Von der fußballerischen Kompetenz eine absolute Toplösung. Wenn dann nächstes Jahr noch ein Trainer kommt, der Sammers Philosophie trägt, könnten wir wieder sehr gut aufgestellt sein. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Sammer bei uns Trainer wird, außer vielleicht interimsmäßig, wenn man Heynckes entlassen sollte.
Gnanag: Nerlinger hat sicherlich einen anständigen Job gemacht, aber wenn man Sammer bekommen kann, muss man zuschlagen. Er hat die Kompetenz und die Fähigkeit, den FCB zu stärken und in einigen Bereichen entscheidend zu verbessern. Zudem ist er unbestritten eine sehr starke Persönlichkeit, also jemand, der zum FCB passt. Wenn der Vorstand ihm nun den notwendigen Freiraum gibt (wovon ich ausgehe) kann das eine sehr erfolgreiche Zusammenarbeit werden.
Gotti1963: Sammer ist für mich eine logische Konsequenz aus dem brutal beschissenen Ende der letzten Saison. Ein "Weiter so" war schlicht und ergreifend ausgeschlossen. Da musste einfach ein Hammer her, und Sammer als Sportdirektor ist ein Megahammer. Wenn der von Motivation, Siegeswillen und Identität spricht, hat das auf die Truppe einen ganz anderen Impact, als wenn Nerlinger darüber parliert. Man hat die letzte Saison analysiert, man hat Schlüsse gezogen, man hat gehandelt. Das ist mein FC Bayern. Richtige Entscheidungen werden getroffen und umgesetzt, auch wenn es weh tun könnte und wenn da auch ein Freund auf der Strecke bleiben muss.
Voegi:Ich glaube, dass Sammer Bayern weiterhelfen kann. Allerdings weniger als Sportdirektor (ich sehe jetzt nicht, was er am Verein realistischerweise grundlegend umstrukturieren kann) als vielmehr als Trainer. Ich bin überzeugt: Er wird Heynckes eines Tages ablösen. Vielleicht ist dieser Tag sogar gar nicht so fern. Wenn Heynckes in der kommenden Saison irgendwann in die Schussbahn gerät und sich die Stimmung allmählich dreht, wird Sammer der neue Mann sein. In jedem Falle kann ich mir vorstellen, dass er perfekt nach München passt. Immerhin verkörpert er doch unbändigen Willen und absolute Siegermentalität, wie sie zuletzt doch nur selten zum Ausdruck kam.
Tweets zum Thema:
Markus Krautberger: Hammer Sammer!!
Marvin Ronsdorf: Ob Sammer zu charakterstark für den FCB ist? Nerlinger war immer Ullis Lehrling #Lehrlinger
Ozolot: Die Sammer-Krönung ist auch im Hinblick auf das neue Jugendkonzept des FCB sinnvoll. Für den DFB bedeutet das aber einen riesen Verlust.
Haico76: Mit Sammer hat man endlich den "Sauhund" fürs Mittelfeld gefunden. Lahm wird die Binde wohl abgeben müssen.
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