SPOX: "Oliver Kahn zuzuschauen war immer eine Freude. Mit ihm mal eine Stunde auf dem Bolzplatz zocken und mir ein bisschen etwas von seinen Fähigkeiten abschauen, das wäre schon was Feines. Ich durfte einmal an seiner Hand ins Stadion einlaufen, als ich noch klein war. Das war ein super Erlebnis für mich." Herr ter Stegen, wissen Sie, von wem diese Worte stammen?
Marc-Andre ter Stegen: Das waren meine Worte.
SPOX: Richtig. Im SPOX-Interview im Mai 2009. Haben Sie Kahn inzwischen kennengelernt?
ter Stegen: Nein, noch nicht. Zu der Zeit, als ich das gesagt habe, war er ein Torwart wie kein anderer. Dass man Vorbilder wie ihn hat, ist doch klar.
SPOX: Ist er es immer noch?
ter Stegen: Es war wichtig und gut, dass ich einen Torwart wie Oliver Kahn immer beobachten konnte und mir einiges abschauen konnte. Aber mittlerweile schaue ich auf mich selbst. Ich bin ich.
SPOX: Im gleichen Interview sagten Sie damals auch: "Wenn ich ins Stadion gehe, habe ich jedes Mal dieses besondere Gefühl. Ich spiele jetzt schon seit 13 Jahren für Gladbach und deshalb ist es auch mein Ziel, dort irgendwann einmal Profi zu werden." Das ist noch nicht mal drei Jahre her und Sie sind mit 19 Jahren und 30 Bundesligaspielen auf dem Buckel unangefochtener Stammspieler. Hätten Sie gedacht, dass es so schnell geht?
ter Stegen: Ja. Man muss immer Vertrauen in sich selbst haben. Ich habe damals gesagt, dass ich Profi werden will. Genauso ist es jetzt, wenn ich mir andere Ziele setze.
SPOX: Wie sehen diese Ziele aus?
ter Stegen: Das sind Sachen, die ich für mich behalte und sie für mich selbst ausführen möchte. Ich hole mir da keinen Druck von außen. Ich mache mir den Druck schon selbst.
SPOX: Sie sind nun fast ein Jahr Bundesligaprofi, es könnte für Sie kaum besser laufen. Läuft es denn wie erwartet?
ter Stegen: Nein. So etwas kann man nicht erwarten. Es ist schön, dass es so kommt, wie es kommt, aber es zählt nicht die Leistung des Einzelnen. Wir haben bisher eine gute Saison gespielt. Wir haben es letztes Jahr geschafft, in der Liga zu bleiben, und das war nicht die Leistung von irgendeinem, sondern von allen. Von allen, die drum herum waren. Das zählt noch immer.
SPOX: Viele Spieler haben aber eine größere Bundesliga-Erfahrung, Sie dagegen haben noch nicht einmal ein ganzes Jahr absolviert. Sie blenden Ihre persönliche Entwicklung doch nicht aus.
ter Stegen: Natürlich schaue ich auch auf mich selbst. Es wäre seltsam, wenn es nicht so wäre. Aber es reicht nicht, nur auf sich selbst zu achten. Man muss alles einbringen - für die beste Leistung der Mannschaft. Diese Denke hat uns alle weitergebracht. Wir sind eine Einheit in Mönchengladbach.
SPOX: Eine Einheit, die mit Lucien Favre Ihren Segen gefunden hat. Inwiefern ist Favre auch ein Segen für Sie persönlich?
ter Stegen: Der Trainer hat mich in einer Situation eingesetzt, in der es nicht jeder Trainer gemacht hätte. Ich bin Lucien Favre sehr dankbar und froh, dass er mich zum Bundesligaprofi gemacht hat und ich jede Woche zeigen kann, was ich kann. Ein Trainer, der einem derartig das Vertrauen schenkt, bleibt einem immer in Erinnerung.
SPOX: Sie haben nicht nur Lucien Favre als großen Befürworter. Gehen wir sie mal durch: Gladbachs Ex-Torhüter Jörg Stiel sagte uns im Interview, dass er keinen Besseren als Sie kennt und sich Manuel Neuer bis zur WM 2014 warm anziehen muss. Wie nehmen Sie das wahr?
ter Stegen: Ich kenne ihn noch aus alten Gladbacher Zeiten, als er noch hier gespielt hat. Ich habe diese Worte gerade zum ersten Mal gehört. Das ist schon ein extrem schönes Lob. Das sind Meinungen, die ich gerne höre.
SPOX: Machen wir weiter mit Ihren Fans. Joachim Löw höchstpersönlich hat Sie nach dem Frankreich-Spiel der A-Nationalmannschaft ausdrücklich gelobt. Nehmen Sie das einfach so zur Kenntnis oder ist das etwas Besonderes, wenn der wichtigste Trainer des deutschen Fußballs Sie explizit erwähnt?
ter Stegen: Ich muss keinem sagen, dass es schön ist, wenn ich vom Bundestrainer ein Lob bekomme. Ich nehme es erst einmal hin, freue mich darüber, aber am Wochenende hilft mir kein Lob, wenn ich meine Leistung nicht zeige. Deswegen ist es wichtiger, dass ich konzentriert bleibe und diese Meinungen des Bundestrainers und der anderen bestätige.
SPOX: Wer ist in Leistungsfragen und Feedback Ihre wichtigste Bezugsperson?
ter Stegen: Das ist in erster Linie mein Torwarttrainer Uwe Kamps, mit dem ich tagtäglich zusammenarbeite.
SPOX: Kamps war ein überragender Mann auf der Linie. Ihre große Stärke ist die Strafraumbeherrschung. Wie sieht Ihre tägliche Arbeit mit ihm aus?
ter Stegen: Wir machen sehr viel Analyse, achten wirklich auf jedes Detail. Unter der Woche arbeiten wir an den Dingen, die uns an den Wochenenden auffallen und versuchen diese eventuell wieder abzustellen, wenn etwas nicht passt. Es geht für mich um Perfektion.
SPOX: Sie haben kürzlich gegen Griechenland in der U-21-Nationalmannschaft debütiert und den Vorzug vor Bernd Leno bekommen, mit dem Sie schon seit der U 17 konkurrieren. Leno spielt eine starke Saison in Leverkusen, Sie in Mönchengladbach. Wie deuten Sie den Vorzug?
ter Stegen: Wenn sich der Trainer für mich entscheidet, dann hat das schon einen Grund. Das war ein guter Schritt für mich und ein gelungener Auftakt bei der U 21. Ich versuche meine Leistung weiter zu bringen, dann wollen wir schauen, wie es weitergeht.
SPOX: Vielleicht in der A-Nationalmannschaft? Sie haben seit 2007 jedes Jahr die nächste Jahrgangsstufe beim DFB erreicht. 2007 U 16 bis 2012 U 21. Nach dem Gesetz der Serie müssten Sie 2013 A-Nationalspieler werden. Wäre Ihnen das zu spät?
ter Stegen: Auch wenn es nervt, wenn ich das sage: Am Ende zählt die Leistung.
SPOX: Herr ter Stegen, Sie dürfen ruhig etwas hoffnungsvoller sein...
ter Stegen: Klar hoffe ich, dass ich auf mich aufmerksam mache und dass dann etwas passiert. Ich will einfach nur ein guter Rückhalt sein. Allen voran für meine Mannschaft in Gladbach. Den Rest kann ich aber nicht so einfach beeinflussen.
SPOX: Sie spielen allerdings schon so überzeugend, dass es heißt, der FC Barcelona denke über Sie nach. Abgesehen davon, ob die Spekulationen stimmen oder nicht: Marc-Andre ter Stegen im Camp Nou vor 90.000 Zuschauer als Rückhalt der großen Stars. Hört sich doch gut an, oder?
ter Stegen: Zugegeben, es ist schön für einen Fußballer, auch für mich, wenn man mit dem besten Verein der Welt in Verbindung gebracht wird. Dennoch konzentriere ich mich nur auf Mönchengladbach.
SPOX: Inwiefern beschäftigt Sie Ihre langfristige Karriereplanung? Machen Sie sich Gedanken, wenn Spieler wie Marco Reus und Roman Neustädter sicher und Dante fast sicher weg sind. Stichwort: Rückschritt...
ter Stegen: Wir könnten viel diskutieren und spekulieren, aber die aktuelle Saison ist noch gar nicht vorbei. Wer weiß, was noch kommt. Natürlich wollen wir, dass der Verein sich weiter entwickelt. Es wäre schlecht, wenn es nicht so käme. Die Abgänge von Roman und Marco sind Fakt, aber für mich ist es einfach wichtig, dass wir erst einmal diese Saison vernünftig zu Ende bringen.
SPOX: Wie soll das Ende für Gladbach konkret aussehen? Verbal halten Sie sich in Mönchengladbach immer noch stark zurück.
ter Stegen: Wir genießen, dass wir oben sind. Es ist klar, dass wir so lange wie möglich oben bleiben wollen.
SPOX: Meisterschaft, Champions League, Europa League - alles ist möglich. Letzteres sogar schon in der Tasche?
ter Stegen: Schon möglich, aber die Bundesliga ist kein Selbstläufer. Das ist auch bei Bayern oder Dortmund so. Bei uns war es nicht unbedingt zu erwarten, dass man so einen Lauf hat, aber es wäre vermessen, darüber hinaus zu schauen und nicht an das nächste Spiel zu denken.
SPOX: Wie Dortmund und Bayern spielen, ist in Sachen Titel- und Champions-League-Kampf für Mönchengladbach nicht uninteressant. Wie oft geht der Blick auf die Tabelle und zu den Konkurrenten?
ter Stegen: Man hat ja am Wochenende gesehen, dass wir nicht auf andere schauen dürfen. Auch wenn es kein Beinbruch ist: Wir haben zuletzt zwei Mal nicht gewonnen und sind nun genug mit uns beschäftigt. Man sieht, wie schnelllebig das Ganze ist. Von daher gilt es, so weiterzumachen und nicht an die anderen zu denken.
SPOX: In der Vorsaison gab es nach zwei sieglosen Spielen Abstiegsängste. Jetzt ist die Situation anders. Ist die Wahrnehmung anders?
ter Stegen: Niederlagen wurmen immer, ob man oben oder unten steht. Zum Glück haben wir bis jetzt nicht allzu oft verloren.
Marc-Andre ter Stegen im Steckbrief