Die Entlassung von Michael Oenning als Trainer des Hamburger SV ist keine Überraschung. Die Kampagne, die die großen Medien seit gut drei Wochen gegen den 45-Jährigen fuhren, war selbst für Bundesligaverhältnisse ungewöhnlich aggressiv, seine Bilanz in der Tat auch spektakulär schlecht.
Unter Verweis auf die Sparzwänge dämpfte der HSV zwar schon im Sommer vorsorglich die Erwartungen, um für Geduld mit dem notwendigen "Umbruch" zu werben, allerdings dürften damals selbst pessimistische Kalkulationen mit sieben bis neun Punkten zum Saisonstart gerechnet haben. Nach sechs Spieltagen ist es nur einer. Ein eher schmeichelhafter gegen Aufsteiger Hertha BSC.
Überraschend war allenfalls der Zeitpunkt der Entlassung, keine 48 Stunden nach der Loyalitätserklärung von Sportchef Frank Arnesen. "Michael Oenning wird auch gegen Stuttgart auf der Trainerbank sitzen", versicherte der Däne nach der 0:1-Niederlage gegen Gladbach am Samstag. Im Nachhinein: ein Lippenbekenntnis.In den Stunden vor seinem Meinungsumschwung habe er "viele Gespräche" geführt, sagte Arnesen schließlich am Montag, als er dann doch den Rauswurf des Trainers erklären musste. Am Ende habe er dann "nicht mehr mit dem Herzen sondern mit dem Verstand" entschieden.
Aufgabenstellung hat sich verändert
Und tatsächlich reicht wohl auch der gesunde Menschenverstand, um zu verstehen, dass sich die Aufgabenstellung beim HSV entscheidend verändert hat. In erster Instanz ging es nun nicht mehr um Frage, ob Oenning einen mittelfristigen Umbruch verwalten kann, sondern darum, ob er in der Lage ist, die Dynamik aus Enttäuschung und Blockade zu durchbrechen, die sich in Hamburg Jahr für Jahr neurotisch wiederholt - und mit jeder Wiederholung noch lähmender zu werden scheint.
Und als Mittel der Wahl haben sich dafür nun mal Trainerentlassungen im Profifußball etabliert. Es geht dabei weniger um taktische Feinheiten oder Spielphilosophien sondern um einen psychologischen Effekt. Denn der HSV muss zunächst punkten, egal wie, bevor der Abstand zum Mittelfeld der Tabelle zu einem mathematischen Problem wird.
Dass mit U-23-Trainer Rodolfo Cardoso ein Mann in Stuttgart auf der Bank sitzen wird, der gar keine ausreichende Trainerlizenz hat und deshalb auch explizit als Interimslösung präsentiert wurde, zeigt auch, wie akut der kurzfristige Handlungsbedarf eingeschätzt wurde.
Der unterentwickelte Kader
Sich nun um eine langfristige Nachfolge für Michael Oenning zu bemühen, ist aber die eigentliche Herkules-Aufgabe der Verantwortlichen. Denn Hamburg sucht nicht nur einen Mann, der genügend Ausstrahlung und Autorität hat, um Mannschaft und Umfeld Selbstvertrauen und den Glauben an eine Zukunft zurückzugeben.
Gesucht wird auch ein Trainer, der den HSV zu allererst in eine fußballerische Gegenwart führt. Denn das personelle und inhaltliche Chaos auf dem Trainerposten hat nicht zuletzt auch dazu geführt, dass der vorhandene Kader in seiner Entwicklung vollkommen stagnierte. Bestenfalls.
Der Fußball, den die Mannschaft in den letzten knapp zwei Jahren anbot, wirkte phasenweise merkwürdig antiquiert und - vor allem individualtaktisch - deutlich unterentwickelt. Selbst Mannschaften aus dem unteren Tabellendrittel sind am HSV vorbeigezogen, messbar unter anderem am fehlenden Tempo, der regelmäßig unterlegenen Laufleistung und mangelnden taktischen Routinen auf fast allen Positionen.
Feuerwehrmann oder Konzepttrainer?
Umso schwieriger wird der Spagat, den Arnesen bei der Trainersuche zu bewältigen hat. Zumal auch die Integration der neuen, jungen Spieler noch immer im Prozess ist. Den Druck, einen ausgewiesenen Feuerwehrmann zu holen, der kurzfristig punktet, die Entwicklung aber vernachlässigt, hat er sich durch den relativ frühen Zeitpunkt der Entlassung zwar grundsätzlich genommen.
Trotzdem ist der Zustand der Mannschaft alarmierend genug, um einen explizit langfristig orientierten "Konzepttrainer" zumindest als riskant einzustufen. Arnesen selbst hat sein Anforderungsprofil bereits am Montag umrissen - komplex genug: "Es ist wichtig, dass der Neue Deutsch spricht, Leidenschaft hat, Respekt ausstrahlt und taktisch gut ist."Wie der "Spiegel" berichtet, heißt sein Wunschkandidat dabei Marco van Basten. Der Niederländer, der seit seinem Rücktritt bei Ajax im Frühjahr 2009 ohne Anstellung ist, erfüllt tatsächlich die Kriterien. Er spricht Deutsch, genießt immer noch den Respekt eines Weltstars, baut auf junge Spieler, und dass er sich auch leidenschaftlich für taktische Neuerungen einsetzt, bewies er nicht zuletzt, als er sich als Bondscoach sogar mit dem Nationalheiligen Johan Cruyff anlegte und während der EURO 2008 nur mit einem anstatt mit drei Stürmern spielen ließ - und das durchaus spektakulär.
"Die deutsche Liga ist eine interessante Liga. Sollte Hamburg uns kontaktieren, werden wir uns definitiv anhören, was sie zu sagen haben", sagte van Bastens Berater Perry Overeem.
Das Geld aus dem Elia-Transfer
Eines der Probleme dürfte jedoch sein, dass der 46-Jährige als Premiumlösung nicht für lau in Hamburg anheuern würde. Allerdings kein unlösbares Problem: Erstens hält sich die Abfindung für Michael Oenning in Grenzen, zweitens hat der HSV fast unverhofft noch gut vier Millionen Euro "übrig". Weil der Deal mit Wolfsburgs Ja-Cheol Koo Ende August überraschend platzte, bleibt noch Geld aus dem Verkauf von Eljero Elia zu Juventus Turin.
Der Restbetrag war eigentlich für Verstärkungen in der Winterpause vorgesehen. Im Augenblick aber scheint die Trainerfrage deutlich dringlicher. Zumal der Markt auf den ersten Blick auch wenig Alternativen bietet.
Gehandelt wird unter anderem Michael Laudrup. Auch er erfüllt die wichtigsten Kriterien und hat außerdem engen Kontakt zu seinem Landsmann Arnesen. Allerdings hat der 47-Jährige einen laufenden Vertrag bei Real Mallorca, Hamburg müsste gegebenenfalls eine Ablöse bezahlen.
Auch Morten Olsen ist mit Arnesen befreundet, auch der 62-Jährige aber hat ein laufendes Engagement. Als Nationaltrainer Dänemarks will er sich für die EM 2012 qualifizieren. Anders als van Basten und Laudrup ist er in den letzten Jahren auch schon bei einigen Bundesligisten durchs Assessment-Center gefallen, auch seine Trainerstation in Köln (1993-95) wird zwiespältig beurteilt. Sein Ruf in Deutschland ist längst nicht so gut wie in Dänemark.
Namedropping: Von Hrubesch bis Stevens
Fast zwangsläufig taucht auch immer wieder der Name Horst Hrubesch auf: Vereinsidol und ein Stück Hamburger Folklore, der beim DFB zudem nachgewiesen hat, dass er mit jungen Spielern sehr erfolgreich arbeiten kann. Als Vereinstrainer hat er aber eine eher dürftige Vita.
Bliebe noch Huub Stevens. Der Dauerbrenner bei vielen Hamburger Fans, die sich nach einer harten Hand und vor allem nach solider, schnörkelloser Arbeit sehnen. Der 57-Jährige ist derzeit vereinslos und hat sich, ähnlich wie Bernd Schuster, auch bereits unumwunden selbst angeboten. Wohl eher ein Zeichen, dass Frank Arnesen noch nicht bei ihm durchgeklingelt hat.Entsprechend weitet sich der Kreis möglicher Alternativen für Marco van Basten fast stündlich aus: Marcel Koller (vereinslos) stand schon im letzten Sommer in Hamburg auf dem Zettel, bei Markus Babbel sollen sich die Verantwortlichen bereits früher informiert haben, bei Franco Foda wird immer wieder über ein Bundesliga-Engagement spekuliert.
Und wer den Sinn für Humor noch nicht verloren hat, wirft auch die Namen Lothar Matthäus oder Dermot Drummy in die Runde. Ersterer wurde just am Montag als bulgarischer Nationaltrainer entlassen. Und Drummy trainiert die Reserve des FC Chelsea.
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