Was ein einziges Tor doch manchmal ausmachen kann: Hätte Schiedsrichter Robert Hartmann am Sonntag Hannovers regulären Treffer kurz vor Spielende gegeben, wäre in dieser Woche mit großer Wahrscheinlich vom Fehlstart des Aufsteigers aus der Hauptstadt gesprochen worden. So hält die Hertha jedoch bei zwei Punkten aus drei Spielen und konnte dabei zusehen, wie sich die Medien lieber auf den HSV oder den 1. FC Köln stürzten.
"Wir haben gute Leistungen gezeigt, aber zu wenig Punkte." Mit seiner Kurzanalyse des Saisonstarts trifft Hertha-Kapitän Andre Mijatovic den Nagel auf den Kopf. Und genau deshalb stehen die Berliner vor der Partie gegen den VfB Stuttgart (20.15 Uhr im LIVE-TICKER und bei Sky) bereits unter Druck.
Trainer Markus Babbel vertraut weiter seiner Elf, die er zuletzt nur in Nuancen veränderte. Dabei ist sein Entscheidungsprozess kein leichter. SPOX zeigt drei Berliner Brennpunkte auf.
Viererkette
Dreimal in Serie ließ Babbel dieselbe Abwehrformation auflaufen. Die baldige Rückkehr von Roman Hubnik könnte das Innenverteidigerpärchen Mijatovic/Maik Franz allerdings sprengen. Zumal beide ihren Anteil an den ersten drei Gegentoren der Saison hatten.
"Die beiden Innenverteidiger haben zweimal 89 Minuten alles richtig gemacht", bilanziert Babbel zwar, kritisiert jedoch auch "Situationen, in denen sie unglücklich gewirkt haben."
Hubnik hingegen genießt bei Babbel hohes Ansehen. Der 27-Jährige pausierte zuletzt wegen einer Mittelfußprellung, die er sich im Test gegen Real Madrid einfing und die ihn drei Wochen lang nur mit einem Spezialschuh trainieren ließ.
Am vergangenen Wochenende feierte er in der zweiten Mannschaft gegen den VFC Plauen (1:1) sein Saisondebüt und scheint nun bereit, selbiges auch im Profiteam zu tun. Babbel ließ bereits tief blicken: "Wir sprechen ja nicht von irgendwem, sondern von einem tschechischen Nationalspieler, der uns in Topform wirklich weiterbringt."
Für Hubniks Rückkehr in die Anfangsformation spricht zudem die Statistik: Seit seinem Wechsel zur Hertha im Januar 2010 stand er fast durchgehend in der Startelf und bestach dabei vor allem in der Aufstiegssaison durch gute Antizipation und effektive Zweikampfführung.
Fraglich nur, wen Babbel für Hubnik opfern würde. Mijatovic gilt als Wortführer im Team, eine Degradierung des Kapitäns würde eine neue Baustelle öffnen und käme einer Demontage gleich.
Franz, dessen Einsatz gegen den VfB aufgrund eines Nasenbeinbruchs noch nicht endgültig geklärt ist, könnte auch rechts in die Viererkette rutschen. Da macht jedoch Christian Lell einen ordentlichen Job und hat einen klaren Vorsprung.
Babbel hat in den kommenden Wochen also die Qual der Wahl, was die Innenverteidigung angeht.
Auch die linke Abwehrseite, wo Levan Kobiaschwili derzeit konkurrenzlos ist, verdient einen kurzen Blick. Angesichts der aktuellen Lage der beiden Alternativen Ronny und Nico Schulz - Ersterer ist laut Babbel weit von der ersten Elf entfernt, Letzterer laboriert an den Folgen eines Pfeifferschen Drüsenfiebers - wäre ein Ausfall des Georgiers fatal.
Raffael
Noch während der Vorbereitung ging Babbel mit Mittelfeldakteur Raffael hart ins Gericht, sprach ihm die Torgefährlichkeit und Konstanz ab und nannte ihn "eine Wundertüte". Es wunderte daher nicht, dass der Brasilianer am 1. Spieltag nur auf der Bank Platz nahm. Dieses Schicksal widerfuhr Raffael erst acht Mal, seit er Anfang 2008 an die Spree wechselte - sechs Mal davon unter Babbel.
An Raffael scheiden sich nicht erst seit heute die Geister, er ist quasi ein traditioneller Fußballspieler aus Brasilien: Kreativ, ballsicher und spielintelligent, aber auch eigensinnig und lethargisch in der Rückwärtsbewegung.
Daher sucht Babbel immer wieder das Gespräch mit dem 26-Jährigen, um ihm zu verdeutlichen, was er von ihm verlangt: "Seine Leistung hat noch zu viele Aufs und Abs. Er spielt auch defensiv sehr gut, wenn er es will. Wenn er so spielt, hat er immer einen Platz bei mir."
Nach der Auftaktpleite gegen Nürnberg reagierte Babbel - sowohl auf die großen Lücken, die mehrfach das Mittelfeld entblößten, als auch auf Raffaels starke Trainingswoche. Er brachte den Brasilianer als kreativen Kopf im Zentrum des 4-2-3-1-Systems und opferte dabei mit Pierre-Michel Lasogga (siehe unten) den Shootingstar des Vorjahres.
Es ist davon auszugehen, dass Babbel bis auf Weiteres dieser Formation vertrauen wird, auch wenn Raffael in Hamburg und Hannover allenfalls solide Leistungen zeigte.Mit der neuen Anordnung im Mittelfeld kam jedoch die Balance zwischen den Mannschaftsteilen zurück, die gegen Nürnberg noch komplett fehlte. Hertha stand kompakter im Spiel gegen den Ball und agierte variantenreicher als noch beim planlosen Ballgeschiebe gegen die Franken.
Pierre-Michel Lasogga
Irgendetwas musste Babbel ändern, das war nach der Ernüchterung am 1. Spieltag klar. Dass er mit Lasogga die Entdeckung des Vorjahres für den arg gescholtenen Raffael eintauschte, kam jedoch schon ein wenig überraschend.
Lasogga nannte seinen ersten Bankplatz seit Dezember 2010 "enttäuschend", akzeptierte die Entscheidung jedoch aufgrund ihrer taktischen Notwendigkeit, die ihm Babbel auch im persönlichen Gespräch erklärte.
Adrian Ramos spielt fortan als Stoßstürmer in der Spitze, auch weil er seine Bundesligatauglichkeit bereits unter Beweis stellen konnte. Da kann Lasogga trotz seines ersten Treffers im Oberhaus beim Remis in Hannover naturgemäß noch nicht mithalten, so dass diese Maßnahme als Entscheidung für Lasoggas Entwicklung gesehen werden sollte.
"Wir müssen dem Jungen auch einfach mal Zeit geben. Er hat sich ein Jahr lang sensationell entwickelt, aber das kann nicht ewig so weitergehen. Er ist ja schließlich erst ein Jahr im Profifußball", hebt Babbel den Zeigefinger.
In der Tat wäre es fatal für die Berliner, sollte der 19-Jährige ein physisches oder gar psychisches Tal durchschreiten müssen. Herthas Personaldecke im Angriff ist äußerst dünn, zumal die Zeichen bei Dauerreservist Rob Friend auf Abschied stehen.
Lasogga hat den Lernprozess, den er aktuell zu durchlaufen hat, erkannt und angenommen. Er bringt eine ausgeprägte Athletik mit, muss sich in der Bundesliga allerdings noch an die erhöhte Intensität, gerade in Zweikämpfen und beim Abschirmen des Balles, gewöhnen.