SPOX: Vor fast genau einem Jahr wurden Sie zum neuen Manager von 1899 Hoffenheim befördert - und erklärten, dass Sie 18 Stunden pro Tag zu arbeiten hätten und immer erst um Mitternacht das Büro verlassen würden. Das kann nicht gesund sein.
Ernst Tanner: Das stimmt - aber damals ging es nicht anders. Ich musste mich einarbeiten, außerdem gab es viel zu tun an der Mannschaft und im Umfeld. Die Situation hat sich jedoch entschärft: Auch in diesem Sommer ist der Aufwand groß, aber der Kader steht zu weiten Teilen und wir haben unser Funktionsteam beisammen. Ich kann mich nicht zurücklehnen - aber immerhin etwas früher nach Hause gehen. (lacht)
SPOX: Sie machten sich zuvor einen Namen als einer der besten Nachwuchsexperten des Landes. Was haben Sie in Ihrem ersten Jahr als Verantwortlicher einer Profimannschaft gelernt?
Tanner: Sehr viel. Mir kam es zwar zugute, dass ich in Hoffenheim zuvor der Leiter des Nachwuchsleistungszentrums war und daher die Abläufe innerhalb des Vereins kannte. Aber ich musste mich erst einmal mit den Spielern und der Bundesliga an sich vertrauter machen. Darunter fallen auch die mitunter hart geführten Verhandlungen und die Öffentlichkeitsarbeit.
SPOX: Wie schwer fiel Ihnen die Umstellung auf das doch andere Miteinander in der Bundesliga? Sie gelten als geradlinig und ehrlich, aber eben auch als sehr stur und dickköpfig.
Tanner: Jeder hat eben seinen eigenen Stil - und meinen haben Sie exakt beschrieben. Ich bin geradlinig und ehrlich, manchmal aber auch etwas stur und dickköpfig. Einige stören sich daran, aber ich sehe es nicht ein, warum ich mich verändern soll. Ich bekomme auch sehr gutes Feedback, weil es vielen Leuten lieber ist, wenn jemand klar und offen sagt, was er haben möchte und was nicht - und entsprechend berechenbar ist. Das klingt für mich vernünftiger, als um den heißen Brei herumzureden und mit unklaren Informationen auseinanderzugehen.
SPOX: Ihr recht kompromissloser Stil hatte in der Rückrunde jedoch auch einen Anteil an den Unruhen im Verein, nachdem Sie sagten, dass dem damaligen Trainer Marco Pezzaiuoli die nötige Leidenschaft fehlen würde und dieser sich daraufhin angegriffen fühlte.Tanners Antrittsinterview bei 1899: "In Hoffenheim entsteht Großes"
Tanner: Natürlich kam es unglücklich rüber. Ich habe damals gesagt, dass der zukünftige Trainer Holger Stanislawski ein leidenschaftlicher und emotionaler Typ sei und wurde dann gefragt, ob der Mannschaft die Leidenschaft fehlt - was ich bejaht habe. Das wurde speziell auf Pezzaiuoli interpretiert, was einfach nicht stimmt. Aber damit muss ich leben. Wer geradlinig antwortet, fährt einigen an die Karre. Das gehört dazu.
SPOX: Sie erlebten im ersten Jahr einige Extreme: Der umstrittene Luiz-Gustavo-Verkauf, die darauffolgende Trennung von Ralf Rangnick, Demba Bas fast schon absurd anmutender Streik. Was ging Ihnen am meisten an die Nieren?
Tanner: Die Ba-Geschichte unmittelbar nach der Trennung von Ralf Rangnick war sehr, sehr hart. Mit so etwas rechnet man nicht. Der Gustavo-Verkauf wurde durch David Alabas Kommen sofort kompensiert, aber dann geht plötzlich Ba und wir müssen in der ohnehin schwierigen Winter-Transferperiode einen schlagkräftigen Stürmer finden. So kamen wir in eine extreme und schwer zu meisternde Drucksituation.
SPOX: Wie schwer wog die menschliche Enttäuschung?
Tanner: Der Fall Demba Da ist für mich abgeschlossen. Blicken wir lieber in die Zukunft.
Hoffenheim startet in die Saison: Stani übernimmt, Beck bleibt wohl
SPOX: Sie wie auch Gönner Dietmar Hopp betonen wiederholt, dass sich der Verein für die kommende Saison keine allzu hohen Ziele setzen sollte. Doch nach dem 33. Spieltag, als Hoffenheim auf Rang neun lag, sagte Hopp, dass er eine bessere Platzierung und attraktiven Fußball erwartet. Klingt durchaus ambitioniert.
Tanner: Unsere Zielsetzung lautet: einstelliger Tabellenplatz. Wir sind am letzten Spieltag zwar auf Platz elf heruntergefallen, mit einem Sieg gegen Wolfsburg wären wir jedoch Siebter gewesen. Daher halte ich unsere Vorgabe für nicht unrealistisch. Ich erwarte, dass der Wettbewerb härter wird, weil es keine WM gibt und alle Mannschaften sich komplett auf die Saison vorbereiten können und es dadurch nicht so viele Ausreißer nach unten geben wird. Andererseits könnten wir davon profitieren, dass uns nach der vergangenen Saison nicht so viel zugetraut wird. Das ist eine Chance.
SPOX: Ein großes Thema der kommenden Saison wird die bisher mangelnde Verzahnung zwischen dem Profi- und Jugendbereich sein. Woran liegt es, dass trotz der intensiven Förderung keinem Eigengewächs der Sprung in die Bundesliga gelingt? Zuletzt verließ Christoph Hemlein den Verein und sucht in Stuttgart sein Glück.
Tanner: Was wir brauchen, ist etwas mehr Zeit.
SPOX: Sind fünf Jahre oder mehr nicht genug?
Tanner: Es ist nicht so, dass wir untätig sind. Wir haben in diesem Sommer einiges verändert, vor allem im Coachingbereich. Von der U 16 über die U 23 bis zu den Profis haben wir neue Trainer. Wir versuchen, zukünftig noch mehr darauf zu achten, nahe an der Trainerausbildung zu sein und unsere Trainer auf die Hoffenheim-Philosophie einzuschwören. Wir werden im Jugendbereich noch einmal angreifen, dann wird es nur eine Frage der Zeit sein, bis ein Eigengewächs die nötige Qualität für die Bundesliga mitbringt.
SPOX: Bernhard Peters, Direktor für Sport und Nachwuchsförderung, führte im SPOX-Interview das Konzept von der "zweiten Identität" aus, woran sich auch die Trainer zu halten hätten. Wurden die falschen Trainer ausgesucht?
Tanner: Es ist nicht so, dass wir unzufrieden waren. U-23-Trainer Markus Gisdol hat sich definitiv verbessert, indem er als Co-Trainer von Ralf Rangnick zu Schalke folgte. Xaver Zembrod trainiert statt unserer U 17 die U 23 von Freiburg, das ist auch nicht schlecht. Wir sind einfach an den Punkt gekommen, an dem man sagt: Wir müssen etwas anders machen und frischen Wind reinbringen.
Teil II: Tanner über Nserekos Absturz und Pfannenstiels Scouting