Ganze 31 Sekunden Bundesliga-Erfahrung sammelte Hannovers Sommer-Neuzugang Carlitos beim Saisonauftakt gegen Eintracht Frankfurt. Dann riss das Kreuzband des Portugiesen bei einer unglücklichen Aktion. Was folgte, waren sechs Monate des Leidens, Wartens und Schuftens.
Nun meldet sich der 28-Jährige Offensivspieler zurück und will den Sprung in das eingespielte Team schaffen. "Ich fühle mich klasse, bin bereit", ließ Carlitos bereits wissen.
Selbstbewusster Auftritt bei Vorstellung
Rückblende. "Es gibt sehr gute Spieler in der Bundesliga, und mit mir kommt noch einer dazu", erklärte Carlitos bei seiner Vorstellung in Hannover im vergangenen Sommer selbstbewusst - Bescheidenheit klingt anders.
Auch sein Erscheinungsbild zeugte nicht zwingend von Understatement: Carlitos kam mit funkelnden Brilliantenohrringen, Unterarm-Tattoos und extravaganten Bartstyling daher. Auf dem Platz setzt der quirrlige Dribbelkünstler nach Treffern für gewöhnlich zum Rückwärtssalto an.
Hat sich 96 da etwa einen Showman an Land gezogen? Mitnichten, meint zumindest Basel-Coach Thorsten Fink, der in der Schweiz zwei Jahre mit Carlitos zusammenarbeitete.
Fink voll des Lobes
"Er ist ein ruhiger Vertreter, redet nicht viel - eigentlich gar nichts. Er bringt einfach seine Leistung", erklärt Fink gegenüber SPOX: "Er hat sich immer in den Dienst der Mannschaft gestellt und nicht für sich gespielt - auch als bereits feststand, dass er gehen wird."
In den ersten Trainingseinheiten an der Leine wirkte der Portugiese eher schüchtern, fast ein wenig unsicher. Fink ist jedoch davon überzeugt, dass Carlitos auch nach seinem Comeback in der Bundesliga groß auftrumpfen kann - "wenn er mal verletzungsfrei bleibt".
Entsprechend hätte Fink seinen Flügelspieler auch gerne in Basel gehalten, aber: "Er wollte eben weiterkommen und es in einer Top-Liga versuchen."
"Antritt wie eine Gazelle"
Statt der Bundesliga wäre es um ein Haar die Serie A geworden. Nach seinem starken Europa-League-Auftritt gegen den AS Rom folgte 2010 ein intensiver Flirt mit dem Hauptstadtklub. Eine langwierige Verletzung von Carlitos verhinderte den Deal damals jedoch in letzter Sekunde - ganz zur Freude von Hannover 96.
Die Stärken von Carlitos liegen unbestritten in der Offensive. "Er ist clever, technisch stark und hat einen Antritt wie eine Gazelle, das ist schon enorm", lobt Fink seinen Ex-Schützling. In Sachen Effizienz, Torabschluss und Präzision bei Flanken sieht er jedoch noch Luft nach oben.
Presseberichte, die dem 96er Faulheit im Defensivspiel attestierten, weist der Basel-Coach dagegen zurück: "Er ist nun mal ein Südländer und kein Schotte, der immer am Limit spielt und alles niederrennt. Er hat bei mir aber trotzdem viel nach hinten gearbeitet." Angesichts Hannovers taktischer Ausrichtung ist dies auch unter Coach Mirko Slomka ein absolutes Muss.
Carlitos ein Feierbiest?
Einen ausgemachten Musterknaben darf man in Hannover wohl trotzdem nicht erwarten. In seinen vier Schweizer Jahren vermied Carlitos es konsequent, sich der deutschen Sprache zu bemächtigen - seine Französichkenntnisse reichten ihm offenbar. Mit Sergio Pinto steht in Hannover aber zum Glück ein kompetenter Dolmetscher zur Verfügung.
Auch den Verlockungen des Nachtlebens konnte der Portugiese nicht immer widerstehen. "Er hat eben ein südländisches Temperament und geht sicherlich gerne feiern. Da muss man eben ein bisschen drauf achten", sagt Fink pragmatisch.
Um die private Eingewöhnung des Südländers in Niedersachsen kümmerte sich derweil 96-Sportkoordinator Valerien Ismael höchstpersönlich. "Portugiesen sind ähnlich sensibel wie Südamerikaner. Ich kenne das aus München mit Lucio und Ze Roberto. Solche Spieler brauchen eine besondere Zuwendung", erklärte der Franzose der "Bild".
Als Joker vielleicht noch wichtig
Nach Monaten in der Reha steht Carlitos nun wieder zur Verfügung - auch wenn Mirko Slomka derzeit keinen Grund hat, etwas an seiner Stammelf zu ändern. Ein Faustpfand im Kampf um die Champions-League-Plätze könnte der Portugiese dennoch werden.
"Vom Typ her erinnert er mich ein bisschen an Szabolcs Huszti", weckte Mitspieler Christian Schulz bereits Erinnerungen an den letzten großen Dribbler bei Hannover. Nachdem sich Carlitos in Lissabon wieder fit gemacht hat, holte er sich zweimal mit den Amateuren in der Regionalliga Spielpraxis und saß zuletzt schon zweimal bei den Profis auf der Bank.
Slomka zeigte sich jedenfalls angetan von Carlitos' Fortschritten: "Wir sind sehr zufrieden mit ihm." Sollte der 28-Jährige den hohen Erwartungen nach seinem Comeback gerecht werden, darf sich Hannovers Manager Jörg Schmadtke für die Verpflichtung des ablösefreien Dribbelkünstlers getrost auf die Schulter klopfen. Und das Publikum in der AWD-Arena zukünftig womöglich den ein oder anderen Rückwärtssalto bestaunen.
Hannover 96 - Der Kader im Überblick