Die Wichtigkeit der Personalie war an der feierlichen Stimmung im HSV-Presseraum zu erkennen. Fast der komplette Aufsichtsrat war versammelt, die Vorstände Bernd Hoffmann, Katja Kraus und Oliver Scheel, selbst der introvertierte Finanzchef Kay Dingwort zeigten sich.
Aufsichtsratschef Ernst-Otto Dieckhoff gab dann am späten Sonntagvormittag vor rund hundert Medienvertretern schließlich zu Protokoll: "Wir haben vergangenen Freitag Frank Arnesen vom FC Chelsea als neuen Sportdirektor verpflichtet." Arnesen soll den Traditionsklub in eine neue, bessere Zukunft führen. Der 54-jährige Däne beginnt im Juli und erhält einen Dreijahres-Vertrag, dotiert mit zwei Millionen Euro per annum.
"Frank Arnesen hat nicht nur als Manager internationaler Topklubs Erfahrungen gesammelt, sondern insbesondere durch seinen Fokus auf Nachwuchsarbeit und Ausbildung von Spielern genau die Kompetenz, die für uns in Zukunft von richtungsweisender Bedeutung ist", sagte Rieckhoff voller Stolz und Überzeugung. Bernd Hoffmann beobachtete das Geschehen im feinsten Sonntagszwirn.
"Er hat uns auf diese Option hingewiesen", lobte Rieckhoff den Vereinsboss als Initiator. Der Aufsichtsrat habe der Verpflichtung des Chelsea-Sportchefs dann einstimmig mit 12:0 zugestimmt. Arnesens Kollege in Chelseas Scouting-Team, Lee Congerton, soll künftig "Technischer Direktor" bei den Hanseaten werden.
Ein Fingerzeig für Hoffmann
Rieckhoff wirkte selbstbewusst und souverän. Auch dass er noch einmal die schwere Niederlage mit der geplatzten Verpflichtung des DFB-Sportdirektors Matthias Sammer erwähnte, tat dem keinen Abbruch. Doch wer ist nun dieser Frank Arnesen?
Ist er die lange gesuchte sportliche Kompetenz, das fehlende Puzzlestück in den Führungsgremien des HSV? Oder haben die Räte sich gar von zwei glänzenden Verkäufern - Hoffmann ist einer, Arnesen gilt ebenfalls als blank polierter Elder Statesman - einlullen lassen? Immerhin wird zeitnah auch über Hoffmanns Zukunft als Vorstandsvorsitzender (Vertrag läuft Ende 2011 aus) entschieden. Dass er den Deal eingefädelt hat, gilt als Fingerzeig für seine persönliche Zukunft. Vertragsverlängerung wahrscheinlich.
Wer ist Frank Arnesen?
Frank Arnesen, mit Vereinstiteln dekorierter, 52-facher dänischer Nationalspieler, machte als Sportdirektor des PSV Eindhoven, wo er zwischen 1994 und 2004 wirkte, auf sich aufmerksam. Er kann sich ans Revers heften, spätere Topstars wie Ronaldo und Romario auf dem Weg zu Weltruhm durchgeschleust zu haben.
Auch der jetzige HSV-Angreifer Ruud van Nistelrooy wurde an seiner Seite groß, ebenso Bayern-Star Arjen Robben. Nach einer kurzen Zwischenstation bei Tottenham Hotspur landete Arnesen 2005 zunächst als Nachwuchsleiter und Chefscout beim FC Chelsea, seit 2009 ist er dort Sportdirektor.
Tiefen Kenntnisse in internationalen Schlüsselländer
"Er hat weite und tiefe Kenntnisse in internationalen Schlüsselländern", rühmte Rieckhoff die Neuverpflichtung, das gelte selbstredend auch für den deutschen Markt. "Wir haben eigene Ressourcen, das wird sich gut ergänzen", schwärmte der Kontrollrat, hier würden sich zwei Schwergewichte auf Augenhöhe begegnen.
Über Arnesens Motivation, an die Elbe zu wechseln, wusste er zu berichten: "Der Reiz war, dass der HSV eine internationale Marke ist. Der HSV hat einen hohen Bekanntheitsgrad." Arnesen habe den HSV als "Sleeping Giant" bezeichnet.
Blog über den Mann, der Ronaldo zu PSV holte: Das ist Frank Arnesen
Arnesen, der fünf Sprachen spricht, war bei Chelsea keinesfalls unumstritten. Einst von Klubboss und Großspender Roman Abramowitsch inthronisiert, war es für Arnesen auch notgedrungen ein ständiger Spagat zwischen Investitionen im großen Stil und nachhaltiger Arbeit, von der auch der HSV in Zukunft profitieren will.
"Seine Arbeit ist in die Zukunft gewendet", verspricht sich Hoffmann vor allem eine Reanimierung des längst zum Politikum gewordenen Jugendinternats, das, ohne lange wirklich Früchte getragen zu haben, fünf Millionen Euro im Jahr schluckt. Hoffmann: "Er hat die Jugendakademie von Chelsea aufgebaut. Mehr als eine Handvoll überragender Nachwuchstalente haben er und sein Team hervorgebracht."
Rainer Bonhof berichtet nur Gutes
Auch Rainer Bonhof, zwischen 2006 und 2008 Chelsea-Scout, weiß im Gespräch mit SPOX über Arnesen, den er seit 31 Jahren kennt, nur Gutes zu berichten: "Frank ist ein Fußballverrückter. Sein Knowhow und seine weltweite Vernetzung werden dem HSV ungemein helfen. Er kann sehr wertvoll werden."
Doch ganz so weiß, wie die Hamburger sie verkaufen wollen, ist Arnesens Weste nicht. Während es nun explizit gewünscht ist, dass er als stiller Stratege eher hinter den Kulissen arbeitet, spotteten einige englische Sportjournalisten, er wäre eine graue Eminenz, jemand, der sich kaum zeigen und wenig reden würde, dafür eine ungleich gewichtigere Macht bei Chelsea gehabt hätte.
Bonhof hierzu: "Da wird er sich erstmal umgucken. Denn in Deutschland läuft der Austausch mit den Medien ja doch anders als in England. Da gibt es in der Woche einen einzigen Medientag. Das war's. Da wird er sich anpassen müssen."
Auch die Summe, die er für junge Talente weltweit ausgegeben habe, sei Kritikern zufolge aus einer anderen Welt gewesen. Im Jahr 2007 kam es schließlich bei der Verpflichtung des damals 16-jährigen französischen Supertalentes Gael Kakuta zu einem Fauxpas. Arnesen und Co. hatten gegen Transferbestimmungen der FIFA verstoßen. 2009 wurden dem FC Chelsea als Strafe sämtliche Transferaktivitäten bis Januar 2011 verboten, im Februar 2010 wurde das Urteil jedoch wieder aufgehoben.
74 Millionen Euro für Jugendakademie
"Arnesen hat Abramowitschs Geld für junge Talente so schnell ausgegeben, wie frisches Öl in der sibirischen Tundra quellt", schrieb damals ein bitterböser Kommentator. Und rechnete vor, Arnesen habe zwischen 2005 und 2009 rund 74 Millionen Euro für Spieler der Jugendakademie ausgegeben und keiner der Youngster hätte es in die erste Mannschaft geschafft.
Arnesens Ruf als Fachmann ist unbestritten, ebenso wie sein exzellentes Netzwerk im internationalen Fußball. Trotzdem sind die Zeugnisse der Beobachter gerade für seine Jugendarbeit beim FC Chelsea in der Regel zumindest ambivalent. Erschwerend kam damals allerdings hinzu, dass er sich phasenweise zwischen den starken Persönlichkeiten im Klub aufrieb.
Undurchsichtig etwa auch das Ränkespiel mit Jose Mourinho. Es ging um Kompetenzen und Hoheitsfragen in puncto Transfers. Mourinho verlor Abramowitschs Vertrauen und musste 2007 gehen.
Den HSV mit Chelsea zu vergleichen wäre sicherlich schief, denn die Hamburger sind auf "mittelfristige Planung", wie Hoffmann den Kurs beschreibt, angewiesen und können das Geld nicht mit vollen Händen ausgeben. Und so bilanzierte der Vorstandsboss euphorisch: "Es war ein guter Tag für den HSV, wir sind froh. Es war eine gute Entscheidung, die ausschließlich aus inhaltlichen Punkten getroffen wurde."
Lediglich Vorstandskollege Bastian Reinhardt war nicht zu sehen. Er wird sein Mandat im Sommer niederlegen und "entsprechende Aufgaben im sportlichen Bereich übernehmen", formulierte Rieckhoff noch ungenau das neue Betätigungsfeld des Sportchefs auf Abruf.
Hoffmann: "Arnesen steht für Kompetenz und Leidenschaft"
Hoffmann erklärte dann nochmal en detail das Einfädeln des Arnesen-Deals: "Ich kenne ihn lange. Er ist kein unbeschriebenes Blatt. Er steht für Kompetenz und Leidenschaft, für alles, was den Fußball ausmacht." Es wäre dann zwangsläufig gewesen, Rieckhoff zu informieren, dann habe der Aufsichtsrat übernommen.
Auch Trainer Armin Veh sei erfreut gewesen. Über dessen Zukunft über den Sommer hinaus ist ja noch nicht entschieden worden. Ob Arnesen in diese Personalie involviert sei? "Er beginnt bei uns im Juli", antwortete Hoffmann bissig. Wohlwissend, dass die Trainerfrage bis dahin nicht auf sich warten lassen kann, schließlich hängt an dieser auch die dringend benötigte Restrukturierung des Kaders. Kaum anzunehmen, dass der Strippenzieher aus London hier nicht mitmischen wird.
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