SPOX: Der VfB war in der jüngeren Vergangenheit dafür bekannt, dass er nach guten Phasen regelmäßig abstürzt. Nach der grandiosen Rückserie wäre es demnach wieder soweit. Warum passiert das dieses Mal nicht?
Gross: Ich habe mich mit Kennern der Stuttgarter Szene unterhalten und weiß um diese Problematik. Für uns wird ganz entscheidend sein, dass wir einen guten Start erwischen. Alle Teams wollen immer gut starten, aber ich denke, dass es in dieser Saison für uns wirklich extrem wichtig sein wird. Wir müssen mit Überzeugung in die Saison reingehen.
SPOX: Was ist das Ziel für diese Saison?
Gross: Wir wollen einen guten Start schaffen und einheitlich auftreten. Eine konkrete Zielsetzung mit einer genauen Platzierung werden Sie von mir nicht hören.
SPOX: Egal, ob die gewünschten Neuzugänge noch kommen oder nicht, kann der VfB wieder auf seine hervorragende Nachwuchsarbeit bauen. Daniel Didavi, Clemens Walch und Patrick Funk sind wohl am nächsten dran, den Sprung zu schaffen. Wem trauen Sie es am schnellsten zu? Und wie macht sich Sven Ulreich als neue Nummer eins?
Gross: Grundsätzlich traue ich vielen vieles zu. Sie streben alle danach, so einen Beginn ihrer Karriere zu haben, wie es Thomas Müller bei den Bayern gelungen ist - aber in der Bundesliga weht ein anderer Wind als sie es gewöhnt sind. Nicht jeder kann sich gleich so in Szene setzen. Wir müssen mit diesen Jungs Geduld haben. Was Sven Ulreich angeht, ist mein Eindruck durchweg positiv. Er macht stetig körperliche Fortschritte und ist absolut im Plan.
SPOX: Plan ist ein gutes Stichwort. Viele Leute, die Sie gut kennen, beschreiben Sie als Trainer, der einen sehr genauen Plan von der Spielweise seiner Mannschaft hat. Wie soll eine von Christian Gross trainierte Mannschaft Fußball spielen?
Gross: (überlegt) Wissen Sie, ich könnte mir es jetzt einfach machen und Ihnen sagen: 'Meine Mannschaft soll erfolgreich kämpfend spielen.' Der Fußball beinhaltet so viele Facetten. Ich will in erster Linie eine erfolgreiche Mannschaft, die sehr zielgerichtet arbeitet. Das geht nur über ein geschlossenes Auftreten. Ohne fighten hat es noch keine Mannschaft geschafft. Es muss eine gute Mischung aus viel Geschlossenheit und viel Herz sein. An unserem System werden wir nichts ändern, es bleibt bei der Doppelsechs mit der Betonung der Außen.
SPOX: Sie haben den Ruf, sehr, sehr, sehr viele Fußball-DVDs pro Tag anzuschauen. Hand aufs Herz: Wie viele sind es denn?
Gross: (lacht) So viele sind es gar nicht, es hält sich im Rahmen. Ich schaue sie mir einfach sehr genau an. Beim Halbfinale zwischen Deutschland und Spanien habe ich mich gefragt, wie es gewesen wäre, wenn das deutsche Team auf mehr Ballbesitz gegangen wäre. Die deutsche Strategie war auf schnelle Konter ausgerichtet und das Team wollte das auch umsetzen, aber es ging auf Kosten der Präzision. Wobei man auch sagen muss, dass Spanien nicht nur beim Ballbesitz herausragend war, sondern auch in der Balleroberung.
SPOX: Was ist Ihnen bei der deutschen Niederlage noch aufgefallen?
Gross: Es hat sich für mich eine Sache bestätigt. Wenn es den Fall gibt, dass ein Rechtsfuß auf der linken und ein Linksfuß auf der rechten Seite spielen, die beide immer wieder nach innen ziehen, dann muss man sich als Trainer fragen, wie weit meine beiden Außenverteidiger mitgehen sollen, ohne dass sie die eigene Viererabwehr entblößen. Pedro und Iniesta hatten viel zu viel Raum. Bei Bayern mit Robben und Ribery und auch bei Leverkusen mit Barnetta und Kroos ist es das gleiche Spiel: Wer übernimmt diese Spieler, wenn sie einrücken?
SPOX: Das entscheidende Gegentor fiel dann aber nicht deswegen, sondern es fiel nach einer Ecke.
Gross: Das war auch hoch interessant. Die Spanier hatten bis zu diesem Zeitpunkt alle Ecken kurz getreten, dann spielen sie den Eckball einmal lang und schon ist der Ball drin. Die entscheidende Frage bei Standards ist: Spiele ich Raum- oder Manndeckung? Wir haben im letzten halben Jahr mit der Manndeckung an und für sich gute Erfahrungen gemacht. Wobei man auch sagen muss, dass die Standards insgesamt bei der WM nicht die große Bedeutung hatten.
SPOX: Welche Erkenntnisse hat die WM dann für Sie gebracht?
Goss: Die WM hat ja immer als großer Ideengeber gegolten, aber dieses Mal muss ich sagen, dass ich keine neuen Tendenzen gesehen habe. Dafür aber Bestätigungen. Dass ein einheitliches, geschlossenes Auftreten wichtig ist. Dass man sich nicht zu sehr auf den Gegner einstellen, sondern seine eigene Grundidee durchziehen sollte.
SPOX: Spanien hat das am besten gemacht und ist jetzt Weltmeister. Macht Sie es eigentlich stolz, dass die Schweiz Spanien geschlagen hat, Deutschland aber nicht?
Gross: Wenn Toni Kroos die Chance nutzt, hättet ihr Deutschen es nach einem ähnlichen Muster wie wir machen können. Der Sieg gegen Spanien hat mich natürlich sehr gefreut, das war ja ein historischer Triumph für die Schweiz. Aber im Nachhinein muss man auch sagen, dass der Sieg so einen Druck aufgebaut hat, dass der Achtelfinal-Einzug plötzlich ein Muss war. So schlecht wie wir uns im letzten Spiel gegen Honduras präsentiert haben, sind wir nicht. Irgendwie war der Druck zu hoch in diesem Spiel.
SPOX: Letzte Frage: Mit Raul kommt ein Superstar in die Bundesliga. Was halten Sie davon?
Gross: Raul ist sicher einer der populärsten spanischen Fußballer überhaupt. Vom Namen her immer noch ein Superstar, den man sich gerne anschaut. Er wird die Attraktivität der Bundesliga noch einmal steigern. Wenn er so einschlägt wie Robben, der ja auch von Real in die Bundesliga kam, wird es sehr interessant. Ich denke, dass der Wechsel auch zeigt, dass die Spieler spüren, dass die Bundesliga boomt. Ein paar Klubs in der englischen Liga und einige große spanische Vereine sind verlockend, aber ansonsten bleiben die Spieler in der Bundesliga - oder sie kommen wie Raul. Das ist toll.
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