Heynckes: Mit Risiken und Nebenwirkungen

Von Haruka Gruber
Bayer-Boss Holzhäuser (l.) und Sportdirektor Völler (r.) begrüßen Heynckes in Leverkusen
© Getty

Er gilt als altmodisch, reaktionär und war schon in Rente. Dennoch legt Bayer Leverkusen das Schicksal in die Hände von Jupp Heynckes. Ein Wagnis - für beide.

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Es mag erstaunen, aber Jupp Heynckes ist kein Mann der Prinzipien. Zumindest keiner, der sich an das Geschwätz von gestern oder von vor fünf Tagen erinnert.

"Es ist gut, sich wieder zurückzuziehen. Denn so perfekt wie beim FC Bayern werde ich es bei keinem anderen Verein vorfinden - besser kann man es nicht haben", sagte der 64-Jährige nach seinem letzten Testspiel als Interimscoach der Bayern im niederländischen Sittard. Das war am 1. Juni.

Heynckes neuer Bayer-Coach

Umso überraschender folgte nun die Wende. Jupp Heynckes ist nach nicht einmal einer Woche Pause wieder zurück im Bundesliga-Geschäft. Als Cheftrainer von Bayer Leverkusen. Bayer Leverkusen?

"Das war eine Entscheidung aus dem Bauch heraus. Rudi Völler hat mich erst am Donnerstag angerufen. Am Freitag früh habe ich ja gesagt. Ich sehe großes Potenzial", sagte Heynckes, der in Leverkusen einen Zwei-Jahres-Vertrag erhält, der "AZ".

Bayer-Geschäftsführer Wolfgang Holzhäuser erklärt: "Nach Bruno Labbadias Weggang war Jupp Heynckes für uns erste Wahl, zumal wir uns schon in den vergangenen Jahren immer wieder mit diesem Thema befasst hatten."

Riskante Entscheidung - für beide

Doch bei aller Zufriedenheit: Für beide Parteien ist die Zusammenarbeit ein Wagnis. Für Bayer, weil Heynckes' letzte Trainerstationen von seinem Intermezzo bei den Bayern abgesehen enttäuschend verliefen. Und für Heynckes, weil er bei einem Verein anfängt, durch den nach der enttäuschenden Saison tiefe Risse verlaufen.

Die Mannschaft revoltierte gegen den mittlerweile zum HSV gewechselten Labbadia und erzürnte damit Holzhäuser und Sportdirektor Völler, diese wiederum mussten sich nach den Misserfolgen und der katastrophalen Außendarstellung gegenüber dem Gesellschafter-Ausschuss und dem Bayer-Konzernchef Werner Wenning verantworten.

Den seit 30 Jahre in Leverkusen angestellten Manager Michael Reschke, wegen seiner Kompetenz im Grunde unverzichtbar, droht nach dem Zerwürfnis mit Labbadia die Degradierung.

Wieder beerbt Heynckes einen Reformer

Aus dieser sportlichen und zwischenmenschlichen Sinnkrise soll Heynckes den Verein führen. Vermutlich fanden es die Verantwortlichen imponierend, wie Heynckes als Krisenmanager den FC Bayern zurück in die Erfolgsspur geführt hat, nachdem Jürgen Klinsmann entlassen wurde. Klinsmann, der wie Labbadia die moderne Trainergeneration verkörpert und eine ähnlich ambitionierte Philosophie verfolgt. Wohl kein Zufall.

"Wir sind überzeugt, dass gerade unsere junge Mannschaft von Heynckes' Erfahrung und seiner natürlichen Autorität profitieren wird", sagt Holzhäuser und erklärt damit indirekt, warum Heynckes zum Teil jüngeren, dafür aber weniger routinierten Kandidaten wie Mirko Slomka vorgezogen wurde.

Heynckes ist der Prototyp des Fußball-Lehrers. Er spricht nicht über vertikales Aufbauspiel, die Erziehung eines Fußballers zum mündigen Athleten oder Yoga-Stunden zwischen zwei Trainingseinheiten. Er lehrt die Grundlagen des Fußballs - und fand damit den richtigen Zugang zu den Bayern-Spielern.

Seine Old-School-Attitüde bescherte Heynckes demnach den Job bei Bayer - dabei war ausgerechnet diese verantwortlich dafür, dass er die Jahre zuvor als Auslaufmodell abgeschrieben war.

Vom Auslaufmodell zum umworbenen Trainer

Noch in den 80er und 90er Jahren galt Heynckes als Koryphäe. Mit 33 Jahren begann der Ex-Nationalstürmer bei seinem Heimatverein Mönchengladbach 1979 seine Trainerkarriere, später gewann er mit dem FC Bayern zwei Meistertitel, führte Bilbao und Teneriffa in die spanische Spitze und holte mit Real Madrid 1998 die Champions League sowie den Weltpokal.

2000 wäre er fast zum Bundestrainer ernannt worden, hätte er das Angebot des DFB wegen einer schweren Krankheit seiner Ehefrau nicht abgelehnt.

"Heynckes hat einen unglaublich hohen Stellenwert. Die Spieler haben auch wegen seinen Erfolgen im Ausland unglaublich viel Respekt vor ihm. Er ist ein fantastischer Trainer und Mensch", sagt Jos Luhukay, ehemaliger Co-Trainer von Heynckes in Mönchengladbach, zu SPOX.

Ähnlich positiv äußerte sich Peter Pander. Der frühere Borussia-Sportdirektor lotste Heynckes im Sommer 2006 zurück zu seinem Heimatverein und sagt: "Seine größten Stärken sind seine Geradlinigkeit und Ehrlichkeit."

Assauer verhöhnt Heynckes: "Wir haben 2004"

Aber genau diese Stärken erwiesen sich in Heynckes' Karriere auch als seine größten Schwächen. Schon früh in seiner Trainerkarriere zeichnet sich ab, dass er am besten ist, wenn er junge Spieler formen kann. Seine auf Disziplin beruhende Coachingphilosophie entwickelte jedoch meist selbstdestruktive Tendenzen, wenn Heynckes in der Vergangenheit versucht hatte, diese auch bei Spitzenteams konsequent durchzudrücken.

Nachdem sich Heynckes in Bilbao und Teneriffa einen vorzüglichen Ruf erarbeitet hatte, wechselte er zu Real Madrid, gewann die Königsklasse - und wurde dennoch entlassen. Ihm fehlte die Unterstützung im Team und aus dem Vorstand. Seine nächste Station bei Benfica Lissabon war ebenfalls nach einem Jahr beendet, weil er zu engstirnig und arrogant aufgetreten sei.

Nach zwei überwiegend erfolgreichen Jahren während seiner zweiten Tätigkeit in Bilbao heuerte er 2003 auf Schalke an und erlebte ein Fiasko. "Wo ich bin, muss Erfolg sein", sagt er bei seiner Antrittsrede, 14 Monate später wurde er entlassen. "Der Jupp ist ein Fußballer der alten Schule, aber wir haben 2004", sagte Manager Rudi Assauer höhnisch.

Desolat in Frankfurt und Mönchengladbach

Ähnlich desolat verlief seine Rückkehr nach Mönchengladbach 2006. Nach sieben Monaten, zwölf sieglosen Spielen in Serie und erstzunehmenden Drohbriefen gegen Heynckes einigten sich beide Parteien auf ein sofortiges Ende der Zusammenarbeit. Die Borussia reagierte erleichtert.

Zum größten Reinfall entwickelte sich sein Engagement in Frankfurt vor 15 Jahren. Mit dem Ziel Meisterschaft angetreten (Heynckes: "Ich bin nicht nach Frankfurt gekommen, um in den UEFA-Cup zu kommen. Wir wollen den Titel!"), suspendierte Heynckes Anthony Yeboah, Jay-Jay Okocha sowie Maurizio Gaudino und brachte die Mannschaft gegen sich auf. Von Grabenkämpfen zermürbt, gab Heynckes nach neun Monaten auf.

Jüngst wurde er gefragt, ob er etwas von seiner erfolglosen Zeit in Mönchengladbach gelernt habe. Heynckes beließ es bei einem: "Nein, das ist abgehakt."

Wiederholt sich Geschichte?

2008 zog er sich zurück, weil er mit gesundheitlichen Problemen zu kämpfen hatte. Jetzt ist er wieder genesen und setzt seine wechselvolle Karriere in Leverkusen fort. Heynckes kennt kein Mittelmaß, keine Graustufen. Im Saisonendspurt führte er die Bayern in die Champions League und gab sich von seiner lockeren Seite - und in Leverkusen?

Heynckes war extrem erfolgreich - oder er versagte kolossal. Er war zu seinen Spielern geradlinig und ehrlich - oder eben zu geradlinig und zu ehrlich. Daran scheiterte in Leverkusen schon einer. Er hieß Bruno Labbadia.

Jupp Heynckes im Steckbrief