Hermann Gerland, Peter Neururer, Hans Meyer, Felix Magath - Zvjezdan Misimovic ist in seiner Karriere nicht gerade an Trainer geraten, die ihre Spieler mit Samthandschuhen anpacken. Wahrscheinlich hat es der 26-Jährige aber auch genau so gebraucht.
Talent hatte der derzeit beste Vorbereiter der Bundesliga (14 Assists) schon immer. Das jedoch auch abzurufen, war lange sein Problem.
Keine Macht den Pfunden
Schön sind vor allem die Anekdoten, die Bayerns U-23-Coach Gerland über Misimovic erzählen kann. Als der heutige Wolfsburger einst als Jungprofi bei Bayerns zweiter Mannschaft zuviel auf den Rippen hatte, wurde es dem Trainer zu bunt.
"Wenn er unter 80 Kilo wiegt, spielt er jeden auf der Welt her. Aber wehe, er hat über 80 Kilo. Einmal stand er sogar bei 84,9 Kilo. Da hab ich ihm gesagt: 'Geh laufen, du fette Sau!' Das hat er dann auch gemacht", plaudert der Tiger gegenüber SPOX aus dem Nähkästchen.
Die Worte verfehlten ihre Wirkung nicht - so gewichtig wie damals war Misimovic seither nicht mehr. Aktuell steht er bei 79 Kilogramm. Das passt also. Seine Leistung auch. Mit dem VfL Wolfsburg ist er derzeit auf einem fast beispiellosen Siegeszug durch die Liga. Sieben Siege in Folge sind Vereinsrekord - und der gebürtige Münchner hat als VfL-Gehirn gehörigen Anteil daran.
"Brauchte jemanden, der mir in den Hintern tritt"
"Er hat eine unglaubliche Ballbehandlung und sprüht vor Ideen. Da kommen selbst seine Mitspieler manchmal nicht mit", sagt Gerland über die herausragenden Fähigkeiten seines Ex-Schützlings. Misimovic und Gerland - die beiden verband schon immer mehr als eine schnöde Spieler-Trainer-Beziehung.
Als Misimovic in die erste Mannschaft der Bayern drängte, dort aber ein Überangebot an gestandenen Profis vorherrschte, riet ihm Gerland zum Wechsel nach Bochum. 2004 war das, und selbst heute denkt Misimovic immer noch gerne an die Tage unter Gerlands Obhut zurück.
"Er ist ein echt harter Kerl, und genau so einen habe ich auch gebraucht: jemanden, der mir mal in den Hintern tritt und mir zeigt, wo es lang geht", schreibt Misimovic auf seiner Homepage.
Homestorys sind nicht sein Ding
Genügend Tritte in den Hintern dürfte er derzeit auch von Magath bekommen. Zusammen mit Edin Dzeko und Grafite bildet Misimovic das gefährlichste Offensiv-Trio der Liga - und der Bosnier steht dabei nicht so im Rampenlicht, wie die beiden Stürmer vor ihm.
Ein Umstand, der dem 26-Jährigen ganz recht sein dürfte. Homestorys und Fotoshootings sind nicht sein Ding. "Ich mag Interviews nicht besonders gerne und halte mich lieber etwas im Hintergrund. Ich bin einfach nicht der Typ für so was, schätze ich", schreibt er im Internet.
So lässt der 26-Jährige lieber Leistung sprechen - und die ist mit 6 Treffern und 14 Torvorlagen in dieser Saison schlichtweg herausragend. Nur sechs Assists fehlen ihm in den letzten neun Spielen zum Bundesliga-Rekord.
So kostbar wie keiner für den VfL
Vor allem mit Landsmann Dzeko versteht sich Misimovic blind. Auf dem Platz nennen sich die beiden "Bruder" - auf bosnisch, versteht sich. Vom "Kicker" wurde Misimovic noch vor Bremens Diego zum besten zentralen Mittelfeldspieler der Hinrunde gewählt.
In den vergangenen Spielen gab es Kostproben zuhauf, warum Misimovic für Wolfsburg so wertvoll ist. Beim Tor zum 3:1 gegen Schalke zog er drei Gegenspieler auf sich und steckte dann mit einem Zuckerpass auf den freistehenden Grafite durch.
Bei Wolfsburgs Konter zum 1:0 gegen Bielefeld hatte er seine Füße zwar nicht selbst am Ball, zeigte dem über links nach vorne stürmenden Grafite aber über 30, 40 Meter lang an, den mitgelaufenen Christian Gentner hinter ihm anzuspielen.
Grafite spielte dennoch Misimovic in den Lauf - und der Bosnier ließ uneigennützig durch auf Gentner, der freistehend einnetzte. Ein Tor, das ohne Misimovic' Zutun nie so gefallen wäre.
Auf seine Torvorlagen angesprochen, bleibt er dennoch bescheiden. "Bei den Mannschaften, bei denen ich vorher gespielt habe, sind mir auch einige Vorlagen gelungen", so Misimovic, "aber wir haben hier mit Edin Dzeko und Grafite Top-Stürmer, die die Bälle auch reinmachen."
Das Genie, das nie nach Vorschrift spielt
Dass der Bosnier zum entscheidenden Faktor im Wolfsburger Spiel werden könnte, trauten ihm vor der Saison nicht viele zu. In Bochum und Nürnberg war er nie über die Rolle des Talents hinaus gekommen. Manche sagten ihm nach, in wichtigen Spielen gerne abzutauchen.
Doch Magath hielt von Anfang an große Stücke auf ihn, schickte sogar Marcelinho in die Heimat zurück, weil er Misimovic die Rolle hinter den Spitzen ebenso zutraute. Und der Trainer war es auch, der den Bosnier dort, wo er am gefährlichsten ist, mit allen Freiheiten ausstattete."Er ist ein Spieler, der intuitiv spielt, das ist das Genie in ihm. Er kann nicht nach Vorschrift spielen", sagte Thomas von Heesen einst, als er Misimovic in Nürnberg trainierte.
Aussterbende Rasse
Misimovic gehört einer aussterbenden Rasse an: die Spielmacher. Echte "Zehner" findet man in der Bundesliga allenfalls noch in Dortmund (Tamas Hajnal) und Bremen (Diego). In Wolfsburg lässt man den Bosnier gewähren - weil Magath weiß, dass er so am meisten von ihm hat.
Bei seiner Vorstellung in Wolfsburg meinte der Bosnier jedenfalls bereits selbstbewusst: "Ich sehe mich als Zehner. Und auch der Trainer hat mir gesagt, dass er die besten Partien von mir auf der Spielmacherposition gesehen hat."
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Eine Position, auf der er in Bochum und Nürnberg nur selten ran durfte. "Mit Dariusz Wosz in Bochum und Marek Mintal in Nürnberg hatte ich nicht gerade Pappnasen als Konkurrenz", kontert Misimovic die Vorwürfe, sich nicht durchgesetzt zu haben.
Gerland: "Uli ist der Ober, ich der Unter"
Dieser Makel hängt ihm seit seiner Zeit beim FC Bayern an. Bei den Bayern wollte man den als talentiert, aber eben auch als schwierig geltenden bosnischen Jungnationalspieler trotz Gerlands Lobeshymnen nicht halten. "Zwetschge hat damals keine Chance gehabt", bestätigte auch Karl-Heinz Rummenigge dieser Tage in der "Sport-Bild".
Gerland erklärt das anhand eines bayerischen Kartenspiels: "Das ist wie beim Schafkopfen. Der Uli Hoeneß ist der Ober, ich bin der Unter. Wenn ich sage, der Misimovic ist super, der Uli aber sagt, wir brauchen ihn nicht, hab ich keine Chance."
Zu lauffaul und zu langsam war das Urteil der Bayern-Oberen damals, was Gerland später mit einem "wenn er schneller wäre, würde er immer noch bei Bayern spielen" konterte. Mittlerweile hat Misimovic die Scheu vor ungeliebten Laufwegen abgelegt.
Und zum anderen Defizit meint er: "Ich glaube, dass man nicht vorhandene Grundschnelligkeit mit Schnelligkeit im Kopf wettmachen kann. Man muss seine Stärken kennen, um Schwächen kaschieren zu können." Und sollte Misimovic mal wieder nicht richtig spuren, gibt's bestimmt jemanden, der ihm in den Allerwertesten tritt.
Misimovic' Leistungsnachweis beim VfL Wolfsburg