SPOX: Ein Zitat von Ihnen geht so: "In den Kabinen hatte jeder Spieler einen eigenen Spucknapf - das Rotzen ist in China normal."
Misimovic: Dieses Verhalten sieht man auch auf der Straße. Die Chinesen ziehen gerne die Nase hoch und spucken es aus. Das ist dort völlig normal. Ich selbst habe mir aber keinen Spucknapf gegönnt, so weit ging's dann doch nicht. (lacht)
SPOX: China hat in den zurückliegenden Monaten surreale Summen in die Hand genommen, um seine Liga und den Fußball im Land voran zu bringen. Für Kölns Anthony Modeste wurden kürzlich 40 Millionen Euro Ablöse geboten. Wie stehen Sie zu dieser Offensive?
Misimovic: Mir wird ein viel zu großer Hype darum gemacht. Gefühlt hat jeder zweite Profi aus den europäischen Top-5-Ligen ein Angebot aus China erhalten und dann doch abgesagt. Es dürfen pro Verein aber sowieso nur wenige Ausländer im Kader stehen. Die Preise sind natürlich übertrieben, denn ein Modeste ist doch keine 40 Millionen Euro wert. Auch mittelmäßige chinesische Spieler wechseln für 20 Millionen den Verein, in Deutschland würden die keine 300.000 Euro kosten. Es befindet sich alles im Aufbau, der Nachholbedarf ist riesig. Es gibt dort keine Nachwuchsarbeit, jetzt erst werden die ersten Fußballschulen gebaut. Fußball ist mittlerweile auch Schulfach. Es wird noch einige Jahre dauern, bis man die ersten kleinen Früchte ernten kann.
SPOX: Sie haben damals in Russland eine ähnliche Entwicklung miterlebt, die sich längst wieder beruhigt hat. Könnte das auch in China passieren oder nimmt man das dort ernster?
Misimovic: Nein, das könnte in der Tat ähnlich laufen wie damals in Russland. Die chinesischen Klubs gehören meist Oligarchen, die mit ihren riesigen Investitionen dem fußballverrückten Staatspräsidenten Xi Jinping gefallen wollen - und natürlich auf dicke Rendite hoffen. Wenn das aber nicht eintritt, sind die schneller wieder weg als man gucken kann. Es gibt bereits erste Veränderungen: Der Präsident von Guangzhou Evergrande, dem FC Bayern Chinas, hat beispielsweise angekündigt, in drei Jahren nur noch mit chinesischen Spielern auflaufen zu wollen. Dazu wurde die Ausländerregel kürzlich spezifiziert. Da gab es Druck von einem Minister der Regierung. Und wenn von oben eine solche Anordnung kommt, dann wird das umgehend umgesetzt.
SPOX: Unter diesen Voraussetzungen ist es schwer vorstellbar, dass ein Trainer wie Felix Magath, der momentan den chinesischen Erstligisten Shandong Luneng trainiert, seinen Willen durchsetzen kann.
Misimovic: Soweit ich weiß, hat er auch relativ wenig Mitspracherecht bei Transfers. Die Trainer sind im Grunde ganz normale Angestellte des Vereins und haben keine exponierte Stellung. Bei uns kam der Präsident während der Halbzeitpause in die Kabine und hat einfach drauflos telefoniert. Da hat niemand etwas gesagt. Dass es für Magath ungewohnt ist, kann ich mir gut vorstellen. Für mich war er einer der besten Trainer. Er hat einen in Ruhe gelassen und man konnte unter ihm in der Freizeit tun und lassen, was man wollte. Wenn aber um 10 Uhr Training war, dann hat er Vollgas verlangt. Hat man das hingekriegt, gab es nie Probleme mit ihm.
SPOX: Nach zweieinhalb Jahren in Guiyang wurde Ihr Verein nach Peking umgesiedelt. Dort spielten Sie noch ein Jahr, zwischenzeitlich hatten Sie aber Ihre Karriere beendet - allerdings nur acht Monate lang. Was war da genau los?
Misimovic: Ich stand eigentlich kurz davor, Teammanager der bosnischen Nationalelf zu werden, da das Team in der EM-Qualifikation ein wenig in Schwierigkeiten steckte. Anschließend hätte ich technischer Direktor aller bosnischen Nationalmannschaften werden sollen. Ich saß dann beim Champions-League-Halbfinale 2016 zwischen Bayern und Atletico im Stadion, als sich die Präsidentin von Beijing Renhe bei mir meldete. Der Verein steckte im Abstiegskampf und sie bat mich, in der Rückrunde noch einmal zu helfen. Ich meinte nur: Ich habe acht Monate lang nicht gekickt und stehe bei den Bosniern im Wort.
SPOX: Und dann?
Misimovic: Ihr war das egal. Bosnien hatte am 12. Juni ein wichtiges Spiel gegen Israel, die Rückrunde in China begann am 24. Juni. Ich sagte ihr, dass ich frühestens am 15. Juni dort sein könnte. Allerdings war ich der Meinung, dass das alles nicht viel bringen würde mit den paar Tagen an Training. Sie bat mich aber eindringlich und nach Gesprächen mit meiner Familie habe ich nochmal für ein halbes Jahr mitgemacht. Sie wollte von mir auch Tipps für weitere Spielertransfers. Noch am Vortag hatte ich mit Sejad Salihovic gesprochen, er wollte Hoffenheim unbedingt verlassen. Am Ende saßen wir beide im Flugzeug nach Guiyang. (lacht)
SPOX: Am Ende stieg der Verein aber dennoch ab. Wie lange hatten Sie sich zuvor mit dem Gedanken als Karriereende auseinandergesetzt?
Misimovic: Schon eine Weile. Ich hatte noch ein paar Angebote vorliegen und sprach mit Vereinen aus der Bundesliga und der 2. Liga. Da war aber nichts dabei, was mich derart gereizt hätte, um noch einmal ein oder zwei Jahre dranzuhängen. Es hat sich einfach nichts mehr ergeben. Ich hatte auch keine Angst davor, die Karriere zu beenden. Dass irgendwann mal der Zeitpunkt kommt, war ja klar. Ich kicke jetzt nebenbei in einer Freizeitmannschaft, aber mir fehlt der Fußball nicht.
SPOX: Wie sehen bei Ihnen nun Gegenwart und Zukunft aus?
Misimovic: Die Sache beim bosnischen Verband kommt nicht mehr wirklich in Frage, weil ich dann häufig in Sarajevo sein müsste und ich mit meiner Familie entschieden habe, in unserer Heimat München bleiben zu wollen. Ich möchte dem Fußball auf jeden Fall erhalten bleiben. Zudem habe ich eine Immobilienfirma namens M10 und da läuft es auch super.
SPOX: Worum geht es da genau?
Misimovic: Ich hatte die Idee mit Stefan Niedermeier, meinem besten Freund aus Kinderzeiten. Angefangen haben wir mit einer Villa im Münchner Vorort Grünwald, die wir kernsaniert haben. Das war ursprünglich für meine Familie gedacht, doch da ich noch einmal zurück nach China bin, haben wir sie letztlich an Douglas Costa vom FC Bayern verkauft. Ansonsten sind wir fleißig unterwegs, knüpfen Kontakte und beobachten den Markt. Unser Hauptaugenmerk liegt auf Frankfurt, München und Mallorca. Wir haben auch ein paar Projekte zusammen mit Profifußballern laufen. Immobilien sind eine bessere Geldanlage als teure Autos, das Potential ist momentan riesig.